Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

plicationen wachsenden Schwierigkeiten noch ihre Bewältigung
erlauben werden.

Bei dem raschen Eroberungszug der Induction liess
sich, als die Scheidelinie der Physiologie erreicht war, vor-
aussehen*), dass bald auch die Psychologie von den Natur-
wissenschaften würde beansprucht werden. Dies geschah
dann, als die richtige Zeit gekommen war, in der Biologie,
im Widerstreit gewissermassen zum philosophischen Stand-
punkt.

Doch hatte auch von ihm aus bereits neben Fries und
Apelt, besonders Beneke diese Reform anzustreben gewünscht.
An thatsächlichem Material, das richtig als unumgängliche
Vorbedingung erkannt wurde**), dachte er nicht zu ermangeln,
da es nöthigenfalls aus der Selbstbeobachtung reichlich zu
vermehren.

*) Nachdem in die Naturphilosophie die inductive Methode eingeführt
sei, würde nach ihr auch die Moralphilosophie zur Ausbildung kommen
(meinte schon Newton).
**) Wie für die Naturforscher die äussere, so bleibt für die Philo-
sophen die innere Erscheinung die alleinige Quelle aller Wahrheit (nach
Beneke). Der Seelenforscher geht ebenso, wie der Naturforscher, zuvörderst
den Weg der Induction (Aufzählung des Einzelnen), d. h. er sammelt die
einzelnen Thatsachen, stellt sie zur Vergleichung zusammen, und verfährt
also zuerst synthetisch. Dann zerlegt er in Gedanken das so Gefundene,
das immer aus mehr weniger zusammengesetzten, oft sehr verwickelten
Processen besteht, in seine Factoren, und gelangt so auf analytischem
Wege zu den Grundkräften und Grundgesetzen, durch welche die Seelen-
vorgänge bedingt sind (s. Dressler). . Das Eigenthümliche der inductiven
Methode besteht darin, dass man überhaupt zunächst von allen Hypothesen
abstrahirt, kein Princip voraussetzt, sondern von dem unmittelbaren Ge-
wissen, von den einzelnen Thatsachen ausgeht, diese rein und vollständig
auszusondern sucht, nach ihrer neuen Verwandschaft anordnet und ihnen
selbst dann die Gesetze, unter denen sie stehen, die sie, als Bedingung
ihrer Existenz voraussetzen, abfrägt und so rückwärts fortschreitet bis
man zu den höchsten Begriffen und Gesetzen gelangt, bei denen sich eine
weitere Ableitung als unmöglich erweist (s. Schleiden).

plicationen wachsenden Schwierigkeiten noch ihre Bewältigung
erlauben werden.

Bei dem raschen Eroberungszug der Induction liess
sich, als die Scheidelinie der Physiologie erreicht war, vor-
aussehen*), dass bald auch die Psychologie von den Natur-
wissenschaften würde beansprucht werden. Dies geschah
dann, als die richtige Zeit gekommen war, in der Biologie,
im Widerstreit gewissermassen zum philosophischen Stand-
punkt.

Doch hatte auch von ihm aus bereits neben Fries und
Apelt, besonders Beneke diese Reform anzustreben gewünscht.
An thatsächlichem Material, das richtig als unumgängliche
Vorbedingung erkannt wurde**), dachte er nicht zu ermangeln,
da es nöthigenfalls aus der Selbstbeobachtung reichlich zu
vermehren.

*) Nachdem in die Naturphilosophie die inductive Methode eingeführt
sei, würde nach ihr auch die Moralphilosophie zur Ausbildung kommen
(meinte schon Newton).
**) Wie für die Naturforscher die äussere, so bleibt für die Philo-
sophen die innere Erscheinung die alleinige Quelle aller Wahrheit (nach
Beneke). Der Seelenforscher geht ebenso, wie der Naturforscher, zuvörderst
den Weg der Induction (Aufzählung des Einzelnen), d. h. er sammelt die
einzelnen Thatsachen, stellt sie zur Vergleichung zusammen, und verfährt
also zuerst synthetisch. Dann zerlegt er in Gedanken das so Gefundene,
das immer aus mehr weniger zusammengesetzten, oft sehr verwickelten
Processen besteht, in seine Factoren, und gelangt so auf analytischem
Wege zu den Grundkräften und Grundgesetzen, durch welche die Seelen-
vorgänge bedingt sind (s. Dressler). . Das Eigenthümliche der inductiven
Methode besteht darin, dass man überhaupt zunächst von allen Hypothesen
abstrahirt, kein Princip voraussetzt, sondern von dem unmittelbaren Ge-
wissen, von den einzelnen Thatsachen ausgeht, diese rein und vollständig
auszusondern sucht, nach ihrer neuen Verwandschaft anordnet und ihnen
selbst dann die Gesetze, unter denen sie stehen, die sie, als Bedingung
ihrer Existenz voraussetzen, abfrägt und so rückwärts fortschreitet bis
man zu den höchsten Begriffen und Gesetzen gelangt, bei denen sich eine
weitere Ableitung als unmöglich erweist (s. Schleiden).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0038" n="4"/>
plicationen wachsenden Schwierigkeiten noch ihre Bewältigung<lb/>
erlauben werden.</p><lb/>
        <p>Bei dem raschen Eroberungszug der Induction liess<lb/>
sich, als die Scheidelinie der Physiologie erreicht war, vor-<lb/>
aussehen<note place="foot" n="*)">Nachdem in die Naturphilosophie die inductive Methode eingeführt<lb/>
sei, würde nach ihr auch die Moralphilosophie zur Ausbildung kommen<lb/>
(meinte schon Newton).</note>, dass bald auch die Psychologie von den Natur-<lb/>
wissenschaften würde beansprucht werden. Dies geschah<lb/>
dann, als die richtige Zeit gekommen war, in der Biologie,<lb/>
im Widerstreit gewissermassen zum philosophischen Stand-<lb/>
punkt.</p><lb/>
        <p>Doch hatte auch von ihm aus bereits neben Fries und<lb/>
Apelt, besonders Beneke diese Reform anzustreben gewünscht.<lb/>
An thatsächlichem Material, das richtig als unumgängliche<lb/>
Vorbedingung erkannt wurde<note place="foot" n="**)">Wie für die Naturforscher die äussere, so bleibt für die Philo-<lb/>
sophen die innere Erscheinung die alleinige Quelle aller Wahrheit (nach<lb/>
Beneke). Der Seelenforscher geht ebenso, wie der Naturforscher, zuvörderst<lb/>
den Weg der Induction (Aufzählung des Einzelnen), d. h. er sammelt die<lb/>
einzelnen Thatsachen, stellt sie zur Vergleichung zusammen, und verfährt<lb/>
also zuerst synthetisch. Dann zerlegt er in Gedanken das so Gefundene,<lb/>
das immer aus mehr weniger zusammengesetzten, oft sehr verwickelten<lb/>
Processen besteht, in seine Factoren, und gelangt so auf analytischem<lb/>
Wege zu den Grundkräften und Grundgesetzen, durch welche die Seelen-<lb/>
vorgänge bedingt sind (s. Dressler). . Das Eigenthümliche der inductiven<lb/>
Methode besteht darin, dass man überhaupt zunächst von allen Hypothesen<lb/>
abstrahirt, kein Princip voraussetzt, sondern von dem unmittelbaren Ge-<lb/>
wissen, von den einzelnen Thatsachen ausgeht, diese rein und vollständig<lb/>
auszusondern sucht, nach ihrer neuen Verwandschaft anordnet und ihnen<lb/>
selbst dann die Gesetze, unter denen sie stehen, die sie, als Bedingung<lb/>
ihrer Existenz voraussetzen, abfrägt und so rückwärts fortschreitet bis<lb/>
man zu den höchsten Begriffen und Gesetzen gelangt, bei denen sich eine<lb/>
weitere Ableitung als unmöglich erweist (s. Schleiden).</note>, dachte er nicht zu ermangeln,<lb/>
da es nöthigenfalls aus der Selbstbeobachtung reichlich zu<lb/>
vermehren.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0038] plicationen wachsenden Schwierigkeiten noch ihre Bewältigung erlauben werden. Bei dem raschen Eroberungszug der Induction liess sich, als die Scheidelinie der Physiologie erreicht war, vor- aussehen *), dass bald auch die Psychologie von den Natur- wissenschaften würde beansprucht werden. Dies geschah dann, als die richtige Zeit gekommen war, in der Biologie, im Widerstreit gewissermassen zum philosophischen Stand- punkt. Doch hatte auch von ihm aus bereits neben Fries und Apelt, besonders Beneke diese Reform anzustreben gewünscht. An thatsächlichem Material, das richtig als unumgängliche Vorbedingung erkannt wurde **), dachte er nicht zu ermangeln, da es nöthigenfalls aus der Selbstbeobachtung reichlich zu vermehren. *) Nachdem in die Naturphilosophie die inductive Methode eingeführt sei, würde nach ihr auch die Moralphilosophie zur Ausbildung kommen (meinte schon Newton). **) Wie für die Naturforscher die äussere, so bleibt für die Philo- sophen die innere Erscheinung die alleinige Quelle aller Wahrheit (nach Beneke). Der Seelenforscher geht ebenso, wie der Naturforscher, zuvörderst den Weg der Induction (Aufzählung des Einzelnen), d. h. er sammelt die einzelnen Thatsachen, stellt sie zur Vergleichung zusammen, und verfährt also zuerst synthetisch. Dann zerlegt er in Gedanken das so Gefundene, das immer aus mehr weniger zusammengesetzten, oft sehr verwickelten Processen besteht, in seine Factoren, und gelangt so auf analytischem Wege zu den Grundkräften und Grundgesetzen, durch welche die Seelen- vorgänge bedingt sind (s. Dressler). . Das Eigenthümliche der inductiven Methode besteht darin, dass man überhaupt zunächst von allen Hypothesen abstrahirt, kein Princip voraussetzt, sondern von dem unmittelbaren Ge- wissen, von den einzelnen Thatsachen ausgeht, diese rein und vollständig auszusondern sucht, nach ihrer neuen Verwandschaft anordnet und ihnen selbst dann die Gesetze, unter denen sie stehen, die sie, als Bedingung ihrer Existenz voraussetzen, abfrägt und so rückwärts fortschreitet bis man zu den höchsten Begriffen und Gesetzen gelangt, bei denen sich eine weitere Ableitung als unmöglich erweist (s. Schleiden).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/38
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/38>, abgerufen am 02.05.2024.