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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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geschlossener Wechselwirkung, das damit allerdings die Keime
zu höheren Offenbarungen wird einschliessen müssen.

In den Culturvölkern haben wir die Meisterstücke der
Menschenbildung vor uns, in vollkommenster, doch deshalb
auch complicirter, Gestaltung, der Blick trifft in ihnen glän-
zende Spitzen, aber somit seltene Ausnahmsfälle, die in dem
Durchschnittsmassstab eher ab, als hinleiten. Dieser ist schwer
in unserer eigenen Gesellschaftsform zu finden, wo die vie-
lerlei fremden Einströmungen, die unter mächtiger Geschichts-
bewegung durch einander gerüttelt sind, überall verschwim-
mende oder in einander verstrickte Uebergangszustände hervor-
gerufen haben, die es oft unmöglich bleibt (für die Eliminirung,
wie sie gefordert sein würde) aus solchem Zusammengewirr
deutlich und bestimmt in ihre Componenten wieder aus-
einander und frei zu legen.

Dafür nun, um den Durchschnittsmenschen zu finden,
werden die einfachen Verhältnisse der Naturvölker zur Aus-
hülfe eintreten, indem sie in ihrer klaren Durchsichtigkeit
leicht durchschaut werden, und uns das Gesuchte, das all-
gemeine Niveau der Menschennatur um so umfassender zu
gewähren vermögen, weil zugleich unter vergleichender Zu-
sammenstellung sämmtlicher Wandlungen in den geographi-
schen Provinzen über den Globus, das Allgemeingültige, als
Gleichartiges, von selbst zusammenfällt, und somit dann,
ebenfalls von selbst, das Particuläre, also Singuläre, als
solches für sich allein stehen bleibend, dadurch mar-
kirt ist.

Die Verwicklungen unserer socialen Zustände beruhen
zum grossen Theil darauf, dass dem zu sehr durch die Cultur-
fragen gebundenen Blick, unserem durch das Gelärm der
Tagesinteressen betäubtem Ohr, der Durchschnittsmensch ver-
loren gegangen ist, und wenn sein Verständniss zunächst
aus den Naturvölkern wieder gewonnen würde, hätte damit
bereits die Ethnologie einen Dienst geleistet, der befähigen
mag, die Gesellschaftsbedürfnisse auf gesetzlicher Natur-

geschlossener Wechselwirkung, das damit allerdings die Keime
zu höheren Offenbarungen wird einschliessen müssen.

In den Culturvölkern haben wir die Meisterstücke der
Menschenbildung vor uns, in vollkommenster, doch deshalb
auch complicirter, Gestaltung, der Blick trifft in ihnen glän-
zende Spitzen, aber somit seltene Ausnahmsfälle, die in dem
Durchschnittsmassstab eher ab, als hinleiten. Dieser ist schwer
in unserer eigenen Gesellschaftsform zu finden, wo die vie-
lerlei fremden Einströmungen, die unter mächtiger Geschichts-
bewegung durch einander gerüttelt sind, überall verschwim-
mende oder in einander verstrickte Uebergangszustände hervor-
gerufen haben, die es oft unmöglich bleibt (für die Eliminirung,
wie sie gefordert sein würde) aus solchem Zusammengewirr
deutlich und bestimmt in ihre Componenten wieder aus-
einander und frei zu legen.

Dafür nun, um den Durchschnittsmenschen zu finden,
werden die einfachen Verhältnisse der Naturvölker zur Aus-
hülfe eintreten, indem sie in ihrer klaren Durchsichtigkeit
leicht durchschaut werden, und uns das Gesuchte, das all-
gemeine Niveau der Menschennatur um so umfassender zu
gewähren vermögen, weil zugleich unter vergleichender Zu-
sammenstellung sämmtlicher Wandlungen in den geographi-
schen Provinzen über den Globus, das Allgemeingültige, als
Gleichartiges, von selbst zusammenfällt, und somit dann,
ebenfalls von selbst, das Particuläre, also Singuläre, als
solches für sich allein stehen bleibend, dadurch mar-
kirt ist.

Die Verwicklungen unserer socialen Zustände beruhen
zum grossen Theil darauf, dass dem zu sehr durch die Cultur-
fragen gebundenen Blick, unserem durch das Gelärm der
Tagesinteressen betäubtem Ohr, der Durchschnittsmensch ver-
loren gegangen ist, und wenn sein Verständniss zunächst
aus den Naturvölkern wieder gewonnen würde, hätte damit
bereits die Ethnologie einen Dienst geleistet, der befähigen
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[10/0044] geschlossener Wechselwirkung, das damit allerdings die Keime zu höheren Offenbarungen wird einschliessen müssen. In den Culturvölkern haben wir die Meisterstücke der Menschenbildung vor uns, in vollkommenster, doch deshalb auch complicirter, Gestaltung, der Blick trifft in ihnen glän- zende Spitzen, aber somit seltene Ausnahmsfälle, die in dem Durchschnittsmassstab eher ab, als hinleiten. Dieser ist schwer in unserer eigenen Gesellschaftsform zu finden, wo die vie- lerlei fremden Einströmungen, die unter mächtiger Geschichts- bewegung durch einander gerüttelt sind, überall verschwim- mende oder in einander verstrickte Uebergangszustände hervor- gerufen haben, die es oft unmöglich bleibt (für die Eliminirung, wie sie gefordert sein würde) aus solchem Zusammengewirr deutlich und bestimmt in ihre Componenten wieder aus- einander und frei zu legen. Dafür nun, um den Durchschnittsmenschen zu finden, werden die einfachen Verhältnisse der Naturvölker zur Aus- hülfe eintreten, indem sie in ihrer klaren Durchsichtigkeit leicht durchschaut werden, und uns das Gesuchte, das all- gemeine Niveau der Menschennatur um so umfassender zu gewähren vermögen, weil zugleich unter vergleichender Zu- sammenstellung sämmtlicher Wandlungen in den geographi- schen Provinzen über den Globus, das Allgemeingültige, als Gleichartiges, von selbst zusammenfällt, und somit dann, ebenfalls von selbst, das Particuläre, also Singuläre, als solches für sich allein stehen bleibend, dadurch mar- kirt ist. Die Verwicklungen unserer socialen Zustände beruhen zum grossen Theil darauf, dass dem zu sehr durch die Cultur- fragen gebundenen Blick, unserem durch das Gelärm der Tagesinteressen betäubtem Ohr, der Durchschnittsmensch ver- loren gegangen ist, und wenn sein Verständniss zunächst aus den Naturvölkern wieder gewonnen würde, hätte damit bereits die Ethnologie einen Dienst geleistet, der befähigen mag, die Gesellschaftsbedürfnisse auf gesetzlicher Natur-

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/44>, abgerufen am 24.11.2024.