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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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indianischen Totem gleichfalls) bis auf den mythischen Ahn-
herrn im Thier, und in Thierform erscheint daher der Atua-
fale sowohl, wie der Districtsgott (mit seinem Tattoo oder
Wappen), während in der classischen Zeit auch bei den
Grossen Göttern die heiligen Thiere als Symbole verblieben.

Im Volksglauben hat sich noch die wahrsagende Kraft
der Thiere*) erhalten (beim Hund, als Todtenreder, beim
Kuckuck, Storch, Hahn u. s. w.), aber der frühere Thier-
Cultus, der sich von Aegypten aus durch ganz Afrika re-
flectirt (während er in Indien zu den halbthierischen Formen
der Avataren entstellt ist), war am Mittelmeer bereits er-
blichen, als die dortigen Volksstämme in die Geschichte
eintraten, und mit letzten Resten (wie in den Sagen von
Io u. s. w.) bald von mythologisirenden Dichtungen verflüchtigt,
oder reducirte auf den Namen (s. Varro) ab utroque pecore
(Porcius, Ovilius, Caprilius oder Equitius, Taurus). Dagegen
finden wir wieder weiter im Binnenlande die Thiere in Tempel-
hainen (publice aluntur), der Pferde praesagia ac monitus (bei
Tacitus), und später noch bis an den Strand der Ostsee bei
den Preussen (bei Lutizer, Rugier, Liven) und die Pferde-
köpfe auf den Bauernhäusern mögen "mit dem heidnischen
Glauben zusammenhängen" (Grimm). Die Celten schworen
beim Stier (s. Plutarch) und der persische Urstier (mit
Gayomert erschaffen) führt auf scandinavische Audhumbla
(und ihr Wiederschein in heiliger Kuh der Brahmanen),
während dem "Heiligbär" mit ostasiatischen Reminiscenzen
der Fuchs als (japanischer) Reineke zur Seite steht, und (von
gegenseitiger Küste, von Koloschen, herüber) der Fenris-Wolf

*) Das Thier empfindet die Zukunft voraus, es zeigt in dem, was es
hervorbringt, eine Kunst, einen Verstand, der jede menschliche Production,
besonders des rohen Wilden weit hinter sich zurücklässt, und doch scheint
das Thier nicht nach Ueberlegung und Vernunft, wie der Mensch, zu
handeln. Daher sieht er in ihm gleichsam die Hülle eines Gottes, das Leben
eines Naturgeistes (Richter). Nach den Papagos unterhielten sich früher
Menschen und Thiere in gegenseitig verständlicher Sprache.

indianischen Totem gleichfalls) bis auf den mythischen Ahn-
herrn im Thier, und in Thierform erscheint daher der Atua-
fale sowohl, wie der Districtsgott (mit seinem Tattoo oder
Wappen), während in der classischen Zeit auch bei den
Grossen Göttern die heiligen Thiere als Symbole verblieben.

Im Volksglauben hat sich noch die wahrsagende Kraft
der Thiere*) erhalten (beim Hund, als Todtenreder, beim
Kuckuck, Storch, Hahn u. s. w.), aber der frühere Thier-
Cultus, der sich von Aegypten aus durch ganz Afrika re-
flectirt (während er in Indien zu den halbthierischen Formen
der Avataren entstellt ist), war am Mittelmeer bereits er-
blichen, als die dortigen Volksstämme in die Geschichte
eintraten, und mit letzten Resten (wie in den Sagen von
Io u. s. w.) bald von mythologisirenden Dichtungen verflüchtigt,
oder reducirte auf den Namen (s. Varro) ab utroque pecore
(Porcius, Ovilius, Caprilius oder Equitius, Taurus). Dagegen
finden wir wieder weiter im Binnenlande die Thiere in Tempel-
hainen (publice aluntur), der Pferde praesagia ac monitus (bei
Tacitus), und später noch bis an den Strand der Ostsee bei
den Preussen (bei Lutizer, Rugier, Liven) und die Pferde-
köpfe auf den Bauernhäusern mögen „mit dem heidnischen
Glauben zusammenhängen“ (Grimm). Die Celten schworen
beim Stier (s. Plutarch) und der persische Urstier (mit
Gayomert erschaffen) führt auf scandinavische Audhumbla
(und ihr Wiederschein in heiliger Kuh der Brahmanen),
während dem „Heiligbär“ mit ostasiatischen Reminiscenzen
der Fuchs als (japanischer) Reineke zur Seite steht, und (von
gegenseitiger Küste, von Koloschen, herüber) der Fenris-Wolf

*) Das Thier empfindet die Zukunft voraus, es zeigt in dem, was es
hervorbringt, eine Kunst, einen Verstand, der jede menschliche Production,
besonders des rohen Wilden weit hinter sich zurücklässt, und doch scheint
das Thier nicht nach Ueberlegung und Vernunft, wie der Mensch, zu
handeln. Daher sieht er in ihm gleichsam die Hülle eines Gottes, das Leben
eines Naturgeistes (Richter). Nach den Papagos unterhielten sich früher
Menschen und Thiere in gegenseitig verständlicher Sprache.
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[34/0068] indianischen Totem gleichfalls) bis auf den mythischen Ahn- herrn im Thier, und in Thierform erscheint daher der Atua- fale sowohl, wie der Districtsgott (mit seinem Tattoo oder Wappen), während in der classischen Zeit auch bei den Grossen Göttern die heiligen Thiere als Symbole verblieben. Im Volksglauben hat sich noch die wahrsagende Kraft der Thiere *) erhalten (beim Hund, als Todtenreder, beim Kuckuck, Storch, Hahn u. s. w.), aber der frühere Thier- Cultus, der sich von Aegypten aus durch ganz Afrika re- flectirt (während er in Indien zu den halbthierischen Formen der Avataren entstellt ist), war am Mittelmeer bereits er- blichen, als die dortigen Volksstämme in die Geschichte eintraten, und mit letzten Resten (wie in den Sagen von Io u. s. w.) bald von mythologisirenden Dichtungen verflüchtigt, oder reducirte auf den Namen (s. Varro) ab utroque pecore (Porcius, Ovilius, Caprilius oder Equitius, Taurus). Dagegen finden wir wieder weiter im Binnenlande die Thiere in Tempel- hainen (publice aluntur), der Pferde praesagia ac monitus (bei Tacitus), und später noch bis an den Strand der Ostsee bei den Preussen (bei Lutizer, Rugier, Liven) und die Pferde- köpfe auf den Bauernhäusern mögen „mit dem heidnischen Glauben zusammenhängen“ (Grimm). Die Celten schworen beim Stier (s. Plutarch) und der persische Urstier (mit Gayomert erschaffen) führt auf scandinavische Audhumbla (und ihr Wiederschein in heiliger Kuh der Brahmanen), während dem „Heiligbär“ mit ostasiatischen Reminiscenzen der Fuchs als (japanischer) Reineke zur Seite steht, und (von gegenseitiger Küste, von Koloschen, herüber) der Fenris-Wolf *) Das Thier empfindet die Zukunft voraus, es zeigt in dem, was es hervorbringt, eine Kunst, einen Verstand, der jede menschliche Production, besonders des rohen Wilden weit hinter sich zurücklässt, und doch scheint das Thier nicht nach Ueberlegung und Vernunft, wie der Mensch, zu handeln. Daher sieht er in ihm gleichsam die Hülle eines Gottes, das Leben eines Naturgeistes (Richter). Nach den Papagos unterhielten sich früher Menschen und Thiere in gegenseitig verständlicher Sprache.

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/68>, abgerufen am 17.05.2024.