Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

weit in Wehrwölfen schweift. Dazu kommen dann Vögel in
Zahl, und die Schlangen wie überall.

Im Allgemeinen stehen die hochfliegenden Vögel in
directer Beziehung zu Himmelsgöttern, und entziehen sich
menschlicher Sorge, die sich dagegen den nähern zuwendet,
und auf Samoa das Tödten der (wie in Babylon einst, bei
den Mandan unverletzlichen) Tauben, zum Besten der Häupt-
linge, verbietet. Wer eine sterzmeise fahet, der ist umb leib
und guet und unsers herrn ungnad. Wie auch: "Wer da
fehet ein bermeisen" (in den Weisthümern) und "wer eine
kolmeise fienge", wird mit höchster "Busse" (s. Grimm) be-
straft. Bei den Letten heisst der Wahrsager Schlneeks
(von sihle, Meise oder Zaunkönig gleich dem Papagei Ha-
waiki's).

Die Langobarden verehrten Viperae simulaerum, und
den Unken giebt man "Kuhmilch zu saufen", wenn mit
Goldkronen einer Schlangenkönigin (in Immeneich). Das
Weibchen des Schröter erscheint in Böhmen als Babka
(Grossmütterchen) und der Sonnenkäfer in seinem Namen.

In Uebertragung der Kobong auf umfangreichere Ver-
hältnisse ergeben sich bei Bulgaren (s. Schafarik) der Türke
als Schlange, der Russe als Fischotter, der Litauer als Auer-
ochse (Tur), der Bulgare als Stier (Bulgarin byk), der Serbe
als Wolf. Neben Adler und Wolf führten die Römer den
Mannstier in den Feldzeichen. Wie die Könige Abyssiniens von
urweltlicher Schlange, stammen*) die Ashantie vom Schlangen-
mensch, Bore, und in Indien blicken Naga überall hervor.

Während der Atua, der, wenn böswillig gesinnt, in Thier-
gestalt in den Körper eingeht, um Krankheiten zu erregen,
auch die Seele verschlingt, liegt der Thiergestalt des Wiesels**)

*) Einwohnender Seele schon darum nahe, weil nach dem Volksglauben
das Junge aus dem Munde gebärend.
**) Der Choctaw stammte vom Hummer, mit dem halben Leib noch
unter der Erde', descendirend oder ascendirend, die vom Wolf stammenden
Californier haben ihre Schwänze durch die Gewohnheit des Sitzens ver-
3*

weit in Wehrwölfen schweift. Dazu kommen dann Vögel in
Zahl, und die Schlangen wie überall.

Im Allgemeinen stehen die hochfliegenden Vögel in
directer Beziehung zu Himmelsgöttern, und entziehen sich
menschlicher Sorge, die sich dagegen den nähern zuwendet,
und auf Samoa das Tödten der (wie in Babylon einst, bei
den Mandan unverletzlichen) Tauben, zum Besten der Häupt-
linge, verbietet. Wer eine sterzmeise fahet, der ist umb leib
und guet und unsers herrn ungnad. Wie auch: „Wer da
fehet ein bermeisen“ (in den Weisthümern) und „wer eine
kolmeise fienge“, wird mit höchster „Busse“ (s. Grimm) be-
straft. Bei den Letten heisst der Wahrsager Schlneeks
(von sihle, Meise oder Zaunkönig gleich dem Papagei Ha-
waiki’s).

Die Langobarden verehrten Viperae simulaerum, und
den Unken giebt man „Kuhmilch zu saufen“, wenn mit
Goldkronen einer Schlangenkönigin (in Immeneich). Das
Weibchen des Schröter erscheint in Böhmen als Babka
(Grossmütterchen) und der Sonnenkäfer in seinem Namen.

In Uebertragung der Kobong auf umfangreichere Ver-
hältnisse ergeben sich bei Bulgaren (s. Schafarik) der Türke
als Schlange, der Russe als Fischotter, der Litauer als Auer-
ochse (Tur), der Bulgare als Stier (Bulgarin byk), der Serbe
als Wolf. Neben Adler und Wolf führten die Römer den
Mannstier in den Feldzeichen. Wie die Könige Abyssiniens von
urweltlicher Schlange, stammen*) die Ashantie vom Schlangen-
mensch, Bore, und in Indien blicken Naga überall hervor.

Während der Atua, der, wenn böswillig gesinnt, in Thier-
gestalt in den Körper eingeht, um Krankheiten zu erregen,
auch die Seele verschlingt, liegt der Thiergestalt des Wiesels**)

*) Einwohnender Seele schon darum nahe, weil nach dem Volksglauben
das Junge aus dem Munde gebärend.
**) Der Choctaw stammte vom Hummer, mit dem halben Leib noch
unter der Erde’, descendirend oder ascendirend, die vom Wolf stammenden
Californier haben ihre Schwänze durch die Gewohnheit des Sitzens ver-
3*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0069" n="35"/>
weit in Wehrwölfen schweift. Dazu kommen dann Vögel in<lb/>
Zahl, und die Schlangen wie überall.</p><lb/>
        <p>Im Allgemeinen stehen die hochfliegenden Vögel in<lb/>
directer Beziehung zu Himmelsgöttern, und entziehen sich<lb/>
menschlicher Sorge, die sich dagegen den nähern zuwendet,<lb/>
und auf Samoa das Tödten der (wie in Babylon einst, bei<lb/>
den Mandan unverletzlichen) Tauben, zum Besten der Häupt-<lb/>
linge, verbietet. Wer eine sterzmeise fahet, der ist umb leib<lb/>
und guet und unsers herrn ungnad. Wie auch: &#x201E;Wer da<lb/>
fehet ein bermeisen&#x201C; (in den Weisthümern) und &#x201E;wer eine<lb/>
kolmeise fienge&#x201C;, wird mit höchster &#x201E;Busse&#x201C; (s. Grimm) be-<lb/>
straft. Bei den Letten heisst der Wahrsager Schlneeks<lb/>
(von sihle, Meise oder Zaunkönig gleich dem Papagei Ha-<lb/>
waiki&#x2019;s).</p><lb/>
        <p>Die Langobarden verehrten <hi rendition="#i">Viperae simulaerum</hi>, und<lb/>
den Unken giebt man &#x201E;Kuhmilch zu saufen&#x201C;, wenn mit<lb/>
Goldkronen einer Schlangenkönigin (in Immeneich). Das<lb/>
Weibchen des Schröter erscheint in Böhmen als Babka<lb/>
(Grossmütterchen) und der Sonnenkäfer in seinem Namen.</p><lb/>
        <p>In Uebertragung der Kobong auf umfangreichere Ver-<lb/>
hältnisse ergeben sich bei Bulgaren (s. Schafarik) der Türke<lb/>
als Schlange, der Russe als Fischotter, der Litauer als Auer-<lb/>
ochse (Tur), der Bulgare als Stier (Bulgarin byk), der Serbe<lb/>
als Wolf. Neben Adler und Wolf führten die Römer den<lb/>
Mannstier in den Feldzeichen. Wie die Könige Abyssiniens von<lb/>
urweltlicher Schlange, stammen<note place="foot" n="*)">Einwohnender Seele schon darum nahe, weil nach dem Volksglauben<lb/>
das Junge aus dem Munde gebärend.</note> die Ashantie vom Schlangen-<lb/>
mensch, Bore, und in Indien blicken Naga überall hervor.</p><lb/>
        <p>Während der Atua, der, wenn böswillig gesinnt, in Thier-<lb/>
gestalt in den Körper eingeht, um Krankheiten zu erregen,<lb/>
auch die Seele verschlingt, liegt der Thiergestalt des Wiesels<note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="**)">Der Choctaw stammte vom Hummer, mit dem halben Leib noch<lb/>
unter der Erde&#x2019;, descendirend oder ascendirend, die vom Wolf stammenden<lb/>
Californier haben ihre Schwänze durch die Gewohnheit des Sitzens ver-</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0069] weit in Wehrwölfen schweift. Dazu kommen dann Vögel in Zahl, und die Schlangen wie überall. Im Allgemeinen stehen die hochfliegenden Vögel in directer Beziehung zu Himmelsgöttern, und entziehen sich menschlicher Sorge, die sich dagegen den nähern zuwendet, und auf Samoa das Tödten der (wie in Babylon einst, bei den Mandan unverletzlichen) Tauben, zum Besten der Häupt- linge, verbietet. Wer eine sterzmeise fahet, der ist umb leib und guet und unsers herrn ungnad. Wie auch: „Wer da fehet ein bermeisen“ (in den Weisthümern) und „wer eine kolmeise fienge“, wird mit höchster „Busse“ (s. Grimm) be- straft. Bei den Letten heisst der Wahrsager Schlneeks (von sihle, Meise oder Zaunkönig gleich dem Papagei Ha- waiki’s). Die Langobarden verehrten Viperae simulaerum, und den Unken giebt man „Kuhmilch zu saufen“, wenn mit Goldkronen einer Schlangenkönigin (in Immeneich). Das Weibchen des Schröter erscheint in Böhmen als Babka (Grossmütterchen) und der Sonnenkäfer in seinem Namen. In Uebertragung der Kobong auf umfangreichere Ver- hältnisse ergeben sich bei Bulgaren (s. Schafarik) der Türke als Schlange, der Russe als Fischotter, der Litauer als Auer- ochse (Tur), der Bulgare als Stier (Bulgarin byk), der Serbe als Wolf. Neben Adler und Wolf führten die Römer den Mannstier in den Feldzeichen. Wie die Könige Abyssiniens von urweltlicher Schlange, stammen *) die Ashantie vom Schlangen- mensch, Bore, und in Indien blicken Naga überall hervor. Während der Atua, der, wenn böswillig gesinnt, in Thier- gestalt in den Körper eingeht, um Krankheiten zu erregen, auch die Seele verschlingt, liegt der Thiergestalt des Wiesels **) *) Einwohnender Seele schon darum nahe, weil nach dem Volksglauben das Junge aus dem Munde gebärend. **) Der Choctaw stammte vom Hummer, mit dem halben Leib noch unter der Erde’, descendirend oder ascendirend, die vom Wolf stammenden Californier haben ihre Schwänze durch die Gewohnheit des Sitzens ver- 3*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/69
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/69>, abgerufen am 17.05.2024.