Devrient's Gestalten aufsteigen, der hätte recht eigent¬ lich Belege für diese zwiefache Richtung der Bühnen¬ kunst. In Wolff war Classicität: sein ganzes Spiel ging lediglich aus dem Verständniß des Dichters hervor; die Idee des Poeten zu erreichen, schien ihm das Höchste, ein anderes Ziel kannte er nicht. Devrient's Spiel war nie das Ergebniß der Re¬ flexion, er hatte nie den Zweck, durch Studium den Gedanken des Dichters zur Erscheinung zu bringen. Er hatte gleichsam seinen eigenen Gott für sich, der ihn so, und nicht anders seine Rolle auffassen hieß, ihn nicht selten ganz irre führte, aber ihn, wo er zutraf, der größten Effekte gewiß machte. War seine Darstellung einer Rolle mit der Inten¬ tion des Dichters identisch, hatte sein Genius rich¬ tig getappt, so sah man wie durch wunderbares Walten das Höchste zur Erscheinung kommen. In Wolff feierte das Talent, in Devrient das Genie seine Triumphe.
Bei dieser Unterscheidung aber stehen bleiben und sie auf eine einzelne Erscheinung, die vielleicht noch nicht das Höchste, was sie vermag, erreicht hat, beziehen, hieße irre gehen. Hier wird weit weniger von einem großen Styl, als von Manieren
Devrient's Geſtalten aufſteigen, der hätte recht eigent¬ lich Belege für dieſe zwiefache Richtung der Bühnen¬ kunſt. In Wolff war Claſſicität: ſein ganzes Spiel ging lediglich aus dem Verſtändniß des Dichters hervor; die Idee des Poeten zu erreichen, ſchien ihm das Höchſte, ein anderes Ziel kannte er nicht. Devrient's Spiel war nie das Ergebniß der Re¬ flexion, er hatte nie den Zweck, durch Studium den Gedanken des Dichters zur Erſcheinung zu bringen. Er hatte gleichſam ſeinen eigenen Gott für ſich, der ihn ſo, und nicht anders ſeine Rolle auffaſſen hieß, ihn nicht ſelten ganz irre führte, aber ihn, wo er zutraf, der größten Effekte gewiß machte. War ſeine Darſtellung einer Rolle mit der Inten¬ tion des Dichters identiſch, hatte ſein Genius rich¬ tig getappt, ſo ſah man wie durch wunderbares Walten das Höchſte zur Erſcheinung kommen. In Wolff feierte das Talent, in Devrient das Genie ſeine Triumphe.
Bei dieſer Unterſcheidung aber ſtehen bleiben und ſie auf eine einzelne Erſcheinung, die vielleicht noch nicht das Höchſte, was ſie vermag, erreicht hat, beziehen, hieße irre gehen. Hier wird weit weniger von einem großen Styl, als von Manieren
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[VIII/0020]
Devrient's Geſtalten aufſteigen, der hätte recht eigent¬
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kunſt. In Wolff war Claſſicität: ſein ganzes Spiel
ging lediglich aus dem Verſtändniß des Dichters
hervor; die Idee des Poeten zu erreichen, ſchien
ihm das Höchſte, ein anderes Ziel kannte er nicht.
Devrient's Spiel war nie das Ergebniß der Re¬
flexion, er hatte nie den Zweck, durch Studium den
Gedanken des Dichters zur Erſcheinung zu bringen.
Er hatte gleichſam ſeinen eigenen Gott für ſich, der
ihn ſo, und nicht anders ſeine Rolle auffaſſen
hieß, ihn nicht ſelten ganz irre führte, aber ihn,
wo er zutraf, der größten Effekte gewiß machte.
War ſeine Darſtellung einer Rolle mit der Inten¬
tion des Dichters identiſch, hatte ſein Genius rich¬
tig getappt, ſo ſah man wie durch wunderbares
Walten das Höchſte zur Erſcheinung kommen. In
Wolff feierte das Talent, in Devrient das Genie
ſeine Triumphe.
Bei dieſer Unterſcheidung aber ſtehen bleiben
und ſie auf eine einzelne Erſcheinung, die vielleicht
noch nicht das Höchſte, was ſie vermag, erreicht
hat, beziehen, hieße irre gehen. Hier wird weit
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/20>, abgerufen am 21.11.2024.
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