herzliche Art, daß ich wirklich wähnte, unter Freunden zu sein. Die Stücke waren musterhaft einstudirt, ganz vortreffliche Künstler hatte Direktor Dölle zu fesseln ge¬ wußt, und die Rigaer verwöhnten mich förmlich durch ihre gastfreie, liebenswürdige Aufnahme.
Jetzt, Anfangs März 1831, konnten wir die Düna noch mit unserem bepackten Reisewagen passiren. Das Eis war noch so fest, daß man mit Kanonen hätte darüber fahren können. Kaum waren wir wieder in der "Stadt London" unter dem gastlichen Dache der liebenswürdigen Madame Seemann angelangt, so waren wir auch schon von Bekannten umringt und so herzlich begrüßt, als hätten wir ihnen erst vor drei Tagen Lebe¬ wohl gesagt.
Wie war die Stimmung in dem frohmüthigen, theaterlustigen Riga aber jetzt so gedrückt! Man sprach nur von dem blutigen Unterdrückungskriege Rußlands gegen das arme Polen, das immer noch nicht sterben wollte und sich jetzt wieder im Todeskampfe gegen das Czaarenthum aufgebäumt hatte ...
Man rieth uns, nicht weiter zu reisen, bis die Truppendurchzüge nach Polen beendet wären. Die Wege seien überdies bodenlos von den vielen Kanonen. Reisende seien von den ersten Stationen wieder zurückgekehrt, halb todt von den verschiedensten Alterationen. --
Wir ruhten gern einige Wochen in dem gastlichen Riga aus, und als die neue Direktrice, Frau von Tschernjäwski -- mein alter, braver Dölle hatte in¬
herzliche Art, daß ich wirklich wähnte, unter Freunden zu ſein. Die Stücke waren muſterhaft einſtudirt, ganz vortreffliche Künſtler hatte Direktor Dölle zu feſſeln ge¬ wußt, und die Rigaer verwöhnten mich förmlich durch ihre gaſtfreie, liebenswürdige Aufnahme.
Jetzt, Anfangs März 1831, konnten wir die Düna noch mit unſerem bepackten Reiſewagen paſſiren. Das Eis war noch ſo feſt, daß man mit Kanonen hätte darüber fahren können. Kaum waren wir wieder in der »Stadt London« unter dem gaſtlichen Dache der liebenswürdigen Madame Seemann angelangt, ſo waren wir auch ſchon von Bekannten umringt und ſo herzlich begrüßt, als hätten wir ihnen erſt vor drei Tagen Lebe¬ wohl geſagt.
Wie war die Stimmung in dem frohmüthigen, theaterluſtigen Riga aber jetzt ſo gedrückt! Man ſprach nur von dem blutigen Unterdrückungskriege Rußlands gegen das arme Polen, das immer noch nicht ſterben wollte und ſich jetzt wieder im Todeskampfe gegen das Czaarenthum aufgebäumt hatte …
Man rieth uns, nicht weiter zu reiſen, bis die Truppendurchzüge nach Polen beendet wären. Die Wege ſeien überdies bodenlos von den vielen Kanonen. Reiſende ſeien von den erſten Stationen wieder zurückgekehrt, halb todt von den verſchiedenſten Alterationen. —
Wir ruhten gern einige Wochen in dem gaſtlichen Riga aus, und als die neue Direktrice, Frau von Tſchernjäwski — mein alter, braver Dölle hatte in¬
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herzliche Art, daß ich wirklich wähnte, unter Freunden
zu ſein. Die Stücke waren muſterhaft einſtudirt, ganz
vortreffliche Künſtler hatte Direktor Dölle zu feſſeln ge¬
wußt, und die Rigaer verwöhnten mich förmlich durch
ihre gaſtfreie, liebenswürdige Aufnahme.
Jetzt, Anfangs März 1831, konnten wir die Düna
noch mit unſerem bepackten Reiſewagen paſſiren. Das
Eis war noch ſo feſt, daß man mit Kanonen hätte
darüber fahren können. Kaum waren wir wieder in
der »Stadt London« unter dem gaſtlichen Dache der
liebenswürdigen Madame Seemann angelangt, ſo waren
wir auch ſchon von Bekannten umringt und ſo herzlich
begrüßt, als hätten wir ihnen erſt vor drei Tagen Lebe¬
wohl geſagt.
Wie war die Stimmung in dem frohmüthigen,
theaterluſtigen Riga aber jetzt ſo gedrückt! Man ſprach
nur von dem blutigen Unterdrückungskriege Rußlands
gegen das arme Polen, das immer noch nicht ſterben
wollte und ſich jetzt wieder im Todeskampfe gegen das
Czaarenthum aufgebäumt hatte …
Man rieth uns, nicht weiter zu reiſen, bis die
Truppendurchzüge nach Polen beendet wären. Die Wege
ſeien überdies bodenlos von den vielen Kanonen. Reiſende
ſeien von den erſten Stationen wieder zurückgekehrt,
halb todt von den verſchiedenſten Alterationen. —
Wir ruhten gern einige Wochen in dem gaſtlichen
Riga aus, und als die neue Direktrice, Frau von
Tſchernjäwski — mein alter, braver Dölle hatte in¬
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/214>, abgerufen am 22.11.2024.
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