rerin zu geben, welche zu einer Reise in ihr Vaterland, Kanton Genf, Urlaub erhalten hat. Nachdem ich mei¬ nen Auftrag ausgerichtet und die holden Wesen gar lieb mit mir plauderten, sagte ich: "Wollen Ew. Hoheiten lesen, wie es Fremden in der schönen Residenz ergeht? -- Wollen Sie den Armen beistehen?" -- "Gewiß!" rie¬ fen drei frohe, helle Stimmen. Ich las also Ihren Brief vor. Die älteste Großfürstin, Marie, nahm ihn mir aus der Hand, rufend: "Das muß Mama auch lesen!" und eilte davon. Die Anderen gingen an ihre Ripptischchen und zogen zierliche Beutelchen hervor, tauchten die Händchen hinein und brachten mir mit kind¬ licher Freude blanke Goldstücke. Nicht lange währte es, so öffnete sich die Thür des Nebensaales, und wer trat zu uns? -- der Kaiser, die Großfürstin Marie an der Hand führend! -- "So recht!" rief er huldvoll. "So recht, Pastor! Sie haben meinen Töchtern Gelegenheit gegeben, Gutes zu thun, und ich freue mich herzlich, daß es meine Kinder beglückt!"
"O, wenn Sie die Gruppe gleich mir hätten be¬ wundern können!" rief Muralt begeistert, "der majestä¬ tische Vater und die reizenden Töchter. Großfürstin Marie hielt den Kaiser umschlungen, Olga ruhte an seine Brust gelehnt, die Jüngste, Alexandra, hielt seine Hand und küßte sie zärtlich -- es war ein entzückender An¬ blick!"
"Bei der Fahrt zu Brede," sagte der Pastor, mußte ich an Hebels "Winter" denken. Sie wissen ja,
rerin zu geben, welche zu einer Reiſe in ihr Vaterland, Kanton Genf, Urlaub erhalten hat. Nachdem ich mei¬ nen Auftrag ausgerichtet und die holden Weſen gar lieb mit mir plauderten, ſagte ich: »Wollen Ew. Hoheiten leſen, wie es Fremden in der ſchönen Reſidenz ergeht? — Wollen Sie den Armen beiſtehen?« — »Gewiß!« rie¬ fen drei frohe, helle Stimmen. Ich las alſo Ihren Brief vor. Die älteſte Großfürſtin, Marie, nahm ihn mir aus der Hand, rufend: »Das muß Mama auch leſen!« und eilte davon. Die Anderen gingen an ihre Ripptiſchchen und zogen zierliche Beutelchen hervor, tauchten die Händchen hinein und brachten mir mit kind¬ licher Freude blanke Goldſtücke. Nicht lange währte es, ſo öffnete ſich die Thür des Nebenſaales, und wer trat zu uns? — der Kaiſer, die Großfürſtin Marie an der Hand führend! — »So recht!« rief er huldvoll. »So recht, Paſtor! Sie haben meinen Töchtern Gelegenheit gegeben, Gutes zu thun, und ich freue mich herzlich, daß es meine Kinder beglückt!«
»O, wenn Sie die Gruppe gleich mir hätten be¬ wundern können!« rief Muralt begeiſtert, »der majeſtä¬ tiſche Vater und die reizenden Töchter. Großfürſtin Marie hielt den Kaiſer umſchlungen, Olga ruhte an ſeine Bruſt gelehnt, die Jüngſte, Alexandra, hielt ſeine Hand und küßte ſie zärtlich — es war ein entzückender An¬ blick!«
»Bei der Fahrt zu Brede,« ſagte der Paſtor, mußte ich an Hebels »Winter« denken. Sie wiſſen ja,
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rerin zu geben, welche zu einer Reiſe in ihr Vaterland,
Kanton Genf, Urlaub erhalten hat. Nachdem ich mei¬
nen Auftrag ausgerichtet und die holden Weſen gar lieb
mit mir plauderten, ſagte ich: »Wollen Ew. Hoheiten
leſen, wie es Fremden in der ſchönen Reſidenz ergeht?
— Wollen Sie den Armen beiſtehen?« — »Gewiß!« rie¬
fen drei frohe, helle Stimmen. Ich las alſo Ihren
Brief vor. Die älteſte Großfürſtin, Marie, nahm ihn
mir aus der Hand, rufend: »Das muß Mama auch
leſen!« und eilte davon. Die Anderen gingen an
ihre Ripptiſchchen und zogen zierliche Beutelchen hervor,
tauchten die Händchen hinein und brachten mir mit kind¬
licher Freude blanke Goldſtücke. Nicht lange währte es,
ſo öffnete ſich die Thür des Nebenſaales, und wer trat
zu uns? — der Kaiſer, die Großfürſtin Marie an der
Hand führend! — »So recht!« rief er huldvoll. »So
recht, Paſtor! Sie haben meinen Töchtern Gelegenheit
gegeben, Gutes zu thun, und ich freue mich herzlich,
daß es meine Kinder beglückt!«
»O, wenn Sie die Gruppe gleich mir hätten be¬
wundern können!« rief Muralt begeiſtert, »der majeſtä¬
tiſche Vater und die reizenden Töchter. Großfürſtin
Marie hielt den Kaiſer umſchlungen, Olga ruhte an ſeine
Bruſt gelehnt, die Jüngſte, Alexandra, hielt ſeine Hand
und küßte ſie zärtlich — es war ein entzückender An¬
blick!«
»Bei der Fahrt zu Brede,« ſagte der Paſtor,
mußte ich an Hebels »Winter« denken. Sie wiſſen ja,
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/265>, abgerufen am 22.11.2024.
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