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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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er ist mein Lieblingsdichter. Bitte, sprechen Sie die
Schlußverse -- zum Lohn für mein Bemühen!"

"O wie gern, prächtiger Herr Pfarrer!" rief ich,
und mit Andacht las ich die unvergleichliche Dichtung.
Wie trefflich paßten die Worte zu dem Erlebten --

"'s mueß wohr sy, wie 's e Sprüchli git:
Sie seihe nit und ernde nit!
sie hen kei Pfluegg und hen kei Joch,
und Gott im Himmel nährt sie doch'"

"Und nun eilen Sie zu unserm Krösus, Baron
Stieglitz, wenn dieser Matador unter Ihren Brief eine
Summe zeichnet, folgen die ersten Häuser seinem Bei¬
spiel."

Und auch dieser Schritt wurde reich belohnt.

Nach acht Tagen sagte Brede seinen Söhnen Lebe¬
wohl; ein Uhrmacher und ein Sattler hatten die Knaben
zu sich genommen und bebandelten sie wie die eigenen
Kinder. Das Kleinste war einer braven Amme anver¬
traut worden und sollte von einigen deutschen Müttern
überwacht werden. Der Vater mit der Tochter, bestens
ausgestattet und mit Reisegeld reichlich versehen, kehrten
in die deutsche Heimat zurück. Nach Abzug aller Kosten
blieben 3000 Rubel als Kapital. Das Geld wurde gut
angelegt, um so vermehrt einstens den erwachsenen Kindern
eingehändigt zu werden.


er iſt mein Lieblingsdichter. Bitte, ſprechen Sie die
Schlußverſe — zum Lohn für mein Bemühen!«

»O wie gern, prächtiger Herr Pfarrer!« rief ich,
und mit Andacht las ich die unvergleichliche Dichtung.
Wie trefflich paßten die Worte zu dem Erlebten —

»'s mueß wohr ſy, wie 's e Sprüchli git:
Sie ſeihe nit und ernde nit!
ſie hen kei Pfluegg und hen kei Joch,
und Gott im Himmel nährt ſie doch'«

»Und nun eilen Sie zu unſerm Kröſus, Baron
Stieglitz, wenn dieſer Matador unter Ihren Brief eine
Summe zeichnet, folgen die erſten Häuſer ſeinem Bei¬
ſpiel.«

Und auch dieſer Schritt wurde reich belohnt.

Nach acht Tagen ſagte Brede ſeinen Söhnen Lebe¬
wohl; ein Uhrmacher und ein Sattler hatten die Knaben
zu ſich genommen und bebandelten ſie wie die eigenen
Kinder. Das Kleinſte war einer braven Amme anver¬
traut worden und ſollte von einigen deutſchen Müttern
überwacht werden. Der Vater mit der Tochter, beſtens
ausgeſtattet und mit Reiſegeld reichlich verſehen, kehrten
in die deutſche Heimat zurück. Nach Abzug aller Koſten
blieben 3000 Rubel als Kapital. Das Geld wurde gut
angelegt, um ſo vermehrt einſtens den erwachſenen Kindern
eingehändigt zu werden.


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[238/0266] er iſt mein Lieblingsdichter. Bitte, ſprechen Sie die Schlußverſe — zum Lohn für mein Bemühen!« »O wie gern, prächtiger Herr Pfarrer!« rief ich, und mit Andacht las ich die unvergleichliche Dichtung. Wie trefflich paßten die Worte zu dem Erlebten — »'s mueß wohr ſy, wie 's e Sprüchli git: Sie ſeihe nit und ernde nit! ſie hen kei Pfluegg und hen kei Joch, und Gott im Himmel nährt ſie doch'« »Und nun eilen Sie zu unſerm Kröſus, Baron Stieglitz, wenn dieſer Matador unter Ihren Brief eine Summe zeichnet, folgen die erſten Häuſer ſeinem Bei¬ ſpiel.« Und auch dieſer Schritt wurde reich belohnt. Nach acht Tagen ſagte Brede ſeinen Söhnen Lebe¬ wohl; ein Uhrmacher und ein Sattler hatten die Knaben zu ſich genommen und bebandelten ſie wie die eigenen Kinder. Das Kleinſte war einer braven Amme anver¬ traut worden und ſollte von einigen deutſchen Müttern überwacht werden. Der Vater mit der Tochter, beſtens ausgeſtattet und mit Reiſegeld reichlich verſehen, kehrten in die deutſche Heimat zurück. Nach Abzug aller Koſten blieben 3000 Rubel als Kapital. Das Geld wurde gut angelegt, um ſo vermehrt einſtens den erwachſenen Kindern eingehändigt zu werden.

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/266>, abgerufen am 22.11.2024.