Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Chaussee, zu beiden Seiten tiefe Gräben, spärlich mit
melancholischen alten Weiden eingefaßt, viel gefahrvoller
für uns war, als auf den russischen Ebenen. Da half
kein Bitten und Befehlen -- wie die wilde Jagd ging's
weiter, oft mit zwei Rädern schon im Graben. Aber
wirklich lebensgefährlich wurde diese Fahrt, als uns
einige Meilen vor Pest auf dieser schmalen Straße eine
Heerde von 5--600 ungarischen Ochsen entgegenkam.
Es waren große, prächtige Thiere, schneeweiß, mit
geraden, abstehenden Hörnern, jedes wohl eine Elle lang.
Anfangs ergötzte mich dies weißwogende lebende Meer
um uns her, wenn die schönen Thiere den Kopf mit den
großen, feuchtglänzenden Juno-Augen neugierig in den
Wagen steckten ... Aber Cora und Coco schienen weniger
Geschmack an den Fremdlingen zu finden -- sie bellten
und schimpften nach Kräften auf die Gehörnten ein und
zur Abwechslung pfiff Coco sein Bravourstück -- das
Jägerlied aus dem Freischütz ... Da stutzten die Schlepp¬
füßler und wie ein Pallisadenzaun starrten uns die
Hörner entgegen ...

"Still -- zudeck -- muckstill -- oder wir sein
kaput!" schrie der Postillon in seinem gebrochenen Deutsch
und griff nach einem Weidenast, als wolle er sich hinauf¬
schwingen. Zum Glück für uns konnte er diesen Zu¬
fluchtsort nicht erreichen -- der Gute hätte uns sicher
unserem Schicksal und den Gehörnten überlassen. Der
Diener saß halb ohnmächtig auf dem Bock. Ich deckte
geschwind ein Tuch über Coco's Käfig. Die Mutter

Chauſſee, zu beiden Seiten tiefe Gräben, ſpärlich mit
melancholiſchen alten Weiden eingefaßt, viel gefahrvoller
für uns war, als auf den ruſſiſchen Ebenen. Da half
kein Bitten und Befehlen — wie die wilde Jagd ging's
weiter, oft mit zwei Rädern ſchon im Graben. Aber
wirklich lebensgefährlich wurde dieſe Fahrt, als uns
einige Meilen vor Peſt auf dieſer ſchmalen Straße eine
Heerde von 5—600 ungariſchen Ochſen entgegenkam.
Es waren große, prächtige Thiere, ſchneeweiß, mit
geraden, abſtehenden Hörnern, jedes wohl eine Elle lang.
Anfangs ergötzte mich dies weißwogende lebende Meer
um uns her, wenn die ſchönen Thiere den Kopf mit den
großen, feuchtglänzenden Juno-Augen neugierig in den
Wagen ſteckten … Aber Cora und Coco ſchienen weniger
Geſchmack an den Fremdlingen zu finden — ſie bellten
und ſchimpften nach Kräften auf die Gehörnten ein und
zur Abwechslung pfiff Coco ſein Bravourſtück — das
Jägerlied aus dem Freiſchütz … Da ſtutzten die Schlepp¬
füßler und wie ein Palliſadenzaun ſtarrten uns die
Hörner entgegen …

»Still — zudeck — muckſtill — oder wir ſein
kaput!« ſchrie der Poſtillon in ſeinem gebrochenen Deutſch
und griff nach einem Weidenaſt, als wolle er ſich hinauf¬
ſchwingen. Zum Glück für uns konnte er dieſen Zu¬
fluchtsort nicht erreichen — der Gute hätte uns ſicher
unſerem Schickſal und den Gehörnten überlaſſen. Der
Diener ſaß halb ohnmächtig auf dem Bock. Ich deckte
geſchwind ein Tuch über Coco's Käfig. Die Mutter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0312" n="284"/>
Chau&#x017F;&#x017F;ee, zu beiden Seiten tiefe Gräben, &#x017F;pärlich mit<lb/>
melancholi&#x017F;chen alten Weiden eingefaßt, viel gefahrvoller<lb/>
für uns war, als auf den ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Ebenen. Da half<lb/>
kein Bitten und Befehlen &#x2014; wie die wilde Jagd ging's<lb/>
weiter, oft mit zwei Rädern &#x017F;chon im Graben. Aber<lb/>
wirklich lebensgefährlich wurde die&#x017F;e Fahrt, als uns<lb/>
einige Meilen vor Pe&#x017F;t auf die&#x017F;er &#x017F;chmalen Straße eine<lb/>
Heerde von 5&#x2014;600 ungari&#x017F;chen Och&#x017F;en entgegenkam.<lb/>
Es waren große, prächtige Thiere, &#x017F;chneeweiß, mit<lb/>
geraden, ab&#x017F;tehenden Hörnern, jedes wohl eine Elle lang.<lb/>
Anfangs ergötzte mich dies weißwogende lebende Meer<lb/>
um uns her, wenn die &#x017F;chönen Thiere den Kopf mit den<lb/>
großen, feuchtglänzenden Juno-Augen neugierig in den<lb/>
Wagen &#x017F;teckten &#x2026; Aber Cora und Coco &#x017F;chienen weniger<lb/>
Ge&#x017F;chmack an den Fremdlingen zu finden &#x2014; &#x017F;ie bellten<lb/>
und &#x017F;chimpften nach Kräften auf die Gehörnten ein und<lb/>
zur Abwechslung pfiff Coco &#x017F;ein Bravour&#x017F;tück &#x2014; das<lb/>
Jägerlied aus dem Frei&#x017F;chütz &#x2026; Da &#x017F;tutzten die Schlepp¬<lb/>
füßler und wie ein Palli&#x017F;adenzaun &#x017F;tarrten uns die<lb/>
Hörner entgegen &#x2026;</p><lb/>
        <p>»Still &#x2014; zudeck &#x2014; muck&#x017F;till &#x2014; oder wir &#x017F;ein<lb/>
kaput!« &#x017F;chrie der Po&#x017F;tillon in &#x017F;einem gebrochenen Deut&#x017F;ch<lb/>
und griff nach einem Weidena&#x017F;t, als wolle er &#x017F;ich hinauf¬<lb/>
&#x017F;chwingen. Zum Glück für uns konnte er die&#x017F;en Zu¬<lb/>
fluchtsort nicht erreichen &#x2014; der Gute hätte uns &#x017F;icher<lb/>
un&#x017F;erem Schick&#x017F;al und den Gehörnten überla&#x017F;&#x017F;en. Der<lb/>
Diener &#x017F;aß halb ohnmächtig auf dem Bock. Ich deckte<lb/>
ge&#x017F;chwind ein Tuch über Coco's Käfig. Die Mutter<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0312] Chauſſee, zu beiden Seiten tiefe Gräben, ſpärlich mit melancholiſchen alten Weiden eingefaßt, viel gefahrvoller für uns war, als auf den ruſſiſchen Ebenen. Da half kein Bitten und Befehlen — wie die wilde Jagd ging's weiter, oft mit zwei Rädern ſchon im Graben. Aber wirklich lebensgefährlich wurde dieſe Fahrt, als uns einige Meilen vor Peſt auf dieſer ſchmalen Straße eine Heerde von 5—600 ungariſchen Ochſen entgegenkam. Es waren große, prächtige Thiere, ſchneeweiß, mit geraden, abſtehenden Hörnern, jedes wohl eine Elle lang. Anfangs ergötzte mich dies weißwogende lebende Meer um uns her, wenn die ſchönen Thiere den Kopf mit den großen, feuchtglänzenden Juno-Augen neugierig in den Wagen ſteckten … Aber Cora und Coco ſchienen weniger Geſchmack an den Fremdlingen zu finden — ſie bellten und ſchimpften nach Kräften auf die Gehörnten ein und zur Abwechslung pfiff Coco ſein Bravourſtück — das Jägerlied aus dem Freiſchütz … Da ſtutzten die Schlepp¬ füßler und wie ein Palliſadenzaun ſtarrten uns die Hörner entgegen … »Still — zudeck — muckſtill — oder wir ſein kaput!« ſchrie der Poſtillon in ſeinem gebrochenen Deutſch und griff nach einem Weidenaſt, als wolle er ſich hinauf¬ ſchwingen. Zum Glück für uns konnte er dieſen Zu¬ fluchtsort nicht erreichen — der Gute hätte uns ſicher unſerem Schickſal und den Gehörnten überlaſſen. Der Diener ſaß halb ohnmächtig auf dem Bock. Ich deckte geſchwind ein Tuch über Coco's Käfig. Die Mutter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/312
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/312>, abgerufen am 22.11.2024.