Zucker nach dem andern in seine Tasse warf, bis diese überquoll und der Diener schon die Augen soweit auf¬ gerissen hatte, als es ihm nur irgend möglich war.
Ich flüsterte dem vor Aufregung zitternden und vor verbissenem Ingrimm puterrothen Kollegen zu: "Er hat's sicher nicht so böse gemeint -- es ist nun mal seine Art so, laut zu denken. Und dann ist es doch sehr hübsch von einem Intendanten, wenn er die Künstler seiner Bühne Fremden gegenüber so hoch hält. Ich wünschte, wir könnten das von unserer Dresdener Excellenz auch sagen.
"Ja, ja, die macht's leider oft umgekehrt ... Aber, so furchtbar klassisch aufrichtig sollte ein Intendant doch nicht sein -- besonders an großer Mittagstafel und in seinem eigenen Hause ..."
"O, mit uns hat er's noch gnädig gemacht", lachte ich -- "da sollten Sie erst hören, wie es dem armen Pollert, meinem Petersburger Kollegen, hier in Wien beim Grafen Fürstenberg ergangen ist."
"Wie so?" fragte Pauli neugierig -- "bitte, erzählen Sie!"
"Pollert hat mir in Dresden seine Szene bei Sr. Excellenz selber geschildert -- ja, dramatisch dargestellt. Den sonst so bescheidenen Künstler hatte -- er wußte später¬ hin selber keine andere Entschuldigung dafür -- hier in Wien plötzlich ein hämischer Hochmuthsteufel geritten, auf dem Burgtheater als König Enzio, Kaiser Friedrich's ideal¬ schöner, tief-poetischer Sohn, zu debütiren -- und doch
Zucker nach dem andern in ſeine Taſſe warf, bis dieſe überquoll und der Diener ſchon die Augen ſoweit auf¬ geriſſen hatte, als es ihm nur irgend möglich war.
Ich flüſterte dem vor Aufregung zitternden und vor verbiſſenem Ingrimm puterrothen Kollegen zu: »Er hat's ſicher nicht ſo böſe gemeint — es iſt nun mal ſeine Art ſo, laut zu denken. Und dann iſt es doch ſehr hübſch von einem Intendanten, wenn er die Künſtler ſeiner Bühne Fremden gegenüber ſo hoch hält. Ich wünſchte, wir könnten das von unſerer Dresdener Excellenz auch ſagen.
»Ja, ja, die macht's leider oft umgekehrt … Aber, ſo furchtbar klaſſiſch aufrichtig ſollte ein Intendant doch nicht ſein — beſonders an großer Mittagstafel und in ſeinem eigenen Hauſe …«
»O, mit uns hat er's noch gnädig gemacht«, lachte ich — »da ſollten Sie erſt hören, wie es dem armen Pollert, meinem Petersburger Kollegen, hier in Wien beim Grafen Fürſtenberg ergangen iſt.«
»Wie ſo?« fragte Pauli neugierig — »bitte, erzählen Sie!«
»Pollert hat mir in Dresden ſeine Szene bei Sr. Excellenz ſelber geſchildert — ja, dramatiſch dargeſtellt. Den ſonſt ſo beſcheidenen Künſtler hatte — er wußte ſpäter¬ hin ſelber keine andere Entſchuldigung dafür — hier in Wien plötzlich ein hämiſcher Hochmuthsteufel geritten, auf dem Burgtheater als König Enzio, Kaiſer Friedrich's ideal¬ ſchöner, tief-poetiſcher Sohn, zu debütiren — und doch
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Zucker nach dem andern in ſeine Taſſe warf, bis dieſe
überquoll und der Diener ſchon die Augen ſoweit auf¬
geriſſen hatte, als es ihm nur irgend möglich war.
Ich flüſterte dem vor Aufregung zitternden und
vor verbiſſenem Ingrimm puterrothen Kollegen zu: »Er
hat's ſicher nicht ſo böſe gemeint — es iſt nun mal
ſeine Art ſo, laut zu denken. Und dann iſt es doch ſehr
hübſch von einem Intendanten, wenn er die Künſtler
ſeiner Bühne Fremden gegenüber ſo hoch hält. Ich
wünſchte, wir könnten das von unſerer Dresdener
Excellenz auch ſagen.
»Ja, ja, die macht's leider oft umgekehrt … Aber,
ſo furchtbar klaſſiſch aufrichtig ſollte ein Intendant doch
nicht ſein — beſonders an großer Mittagstafel und in
ſeinem eigenen Hauſe …«
»O, mit uns hat er's noch gnädig gemacht«, lachte
ich — »da ſollten Sie erſt hören, wie es dem armen
Pollert, meinem Petersburger Kollegen, hier in Wien
beim Grafen Fürſtenberg ergangen iſt.«
»Wie ſo?« fragte Pauli neugierig — »bitte, erzählen
Sie!«
»Pollert hat mir in Dresden ſeine Szene bei Sr.
Excellenz ſelber geſchildert — ja, dramatiſch dargeſtellt.
Den ſonſt ſo beſcheidenen Künſtler hatte — er wußte ſpäter¬
hin ſelber keine andere Entſchuldigung dafür — hier in Wien
plötzlich ein hämiſcher Hochmuthsteufel geritten, auf dem
Burgtheater als König Enzio, Kaiſer Friedrich's ideal¬
ſchöner, tief-poetiſcher Sohn, zu debütiren — und doch
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/342>, abgerufen am 22.11.2024.
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