Ich mußte lächeln über mein liebes kleinstädtisches Deutschland! Aber es that mir so recht anheimelnd wohl nach den drei Jahren in der Fremde -- in dem großen, stolzen, glänzenden Petersburg!
Da trat Theodor Hell herein und hieß mich so trau¬ lich willkommen, -- als ob wir gestern erst fröhlich mit einander bei Clauren in Berlin dinirt hätten. Im säch¬ sischen Dialekt fuhr er mit großer Volubilität fort:
"Ei, meine Beste, das trifft sich ja herrlich, daß Sie gerade jetzt unsere Stadt besuchen, -- ich will Sie heute noch bei Seiner Excellenz anmelden, denn ich hoffe, Sie sind nicht abgeneigt, die Unsrige zu werden, da Madame Rettich nach Wien übersiedelt?"
Ganz aufrichtig gab ich zu: "Wenn ich bei meinem Gastspiel gefalle, bleibe ich gern! Dresden heimelt mich und die Mutter so echt deutsch bürgerlich an, und der gestrige Theaterabend hat in mir den Wunsch geweckt, mit Dresdens Künstlern weiter wirken zu können. Nur werde ich die Rettich schwerlich ersetzen können. Mein Feld ist das Lustspiel: Salon-Damen, naive und senti¬ mentale Rollen. Für hochtragische fehlt mir die Kraft der Stimme, selbst das imposante Aeußere. Auch will ich mich in dies Fach nicht hineinzwängen ..."
"Das wird sich finden, meine Beste! Da würden Sie vielleicht auch nicht ungern in meinen Uebersetzungen aus dem Französischen auftreten?"
"Mit Entzücken!" rief ich. "In Paris habe ich
Ich mußte lächeln über mein liebes kleinſtädtiſches Deutſchland! Aber es that mir ſo recht anheimelnd wohl nach den drei Jahren in der Fremde — in dem großen, ſtolzen, glänzenden Petersburg!
Da trat Theodor Hell herein und hieß mich ſo trau¬ lich willkommen, — als ob wir geſtern erſt fröhlich mit einander bei Clauren in Berlin dinirt hätten. Im ſäch¬ ſiſchen Dialekt fuhr er mit großer Volubilität fort:
»Ei, meine Beſte, das trifft ſich ja herrlich, daß Sie gerade jetzt unſere Stadt beſuchen, — ich will Sie heute noch bei Seiner Excellenz anmelden, denn ich hoffe, Sie ſind nicht abgeneigt, die Unſrige zu werden, da Madame Rettich nach Wien überſiedelt?«
Ganz aufrichtig gab ich zu: »Wenn ich bei meinem Gaſtſpiel gefalle, bleibe ich gern! Dresden heimelt mich und die Mutter ſo echt deutſch bürgerlich an, und der geſtrige Theaterabend hat in mir den Wunſch geweckt, mit Dresdens Künſtlern weiter wirken zu können. Nur werde ich die Rettich ſchwerlich erſetzen können. Mein Feld iſt das Luſtſpiel: Salon-Damen, naive und ſenti¬ mentale Rollen. Für hochtragiſche fehlt mir die Kraft der Stimme, ſelbſt das impoſante Aeußere. Auch will ich mich in dies Fach nicht hineinzwängen …«
»Das wird ſich finden, meine Beſte! Da würden Sie vielleicht auch nicht ungern in meinen Ueberſetzungen aus dem Franzöſiſchen auftreten?«
»Mit Entzücken!« rief ich. »In Paris habe ich
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Ich mußte lächeln über mein liebes kleinſtädtiſches
Deutſchland! Aber es that mir ſo recht anheimelnd wohl
nach den drei Jahren in der Fremde — in dem großen,
ſtolzen, glänzenden Petersburg!
Da trat Theodor Hell herein und hieß mich ſo trau¬
lich willkommen, — als ob wir geſtern erſt fröhlich mit
einander bei Clauren in Berlin dinirt hätten. Im ſäch¬
ſiſchen Dialekt fuhr er mit großer Volubilität fort:
»Ei, meine Beſte, das trifft ſich ja herrlich, daß
Sie gerade jetzt unſere Stadt beſuchen, — ich will Sie
heute noch bei Seiner Excellenz anmelden, denn ich hoffe,
Sie ſind nicht abgeneigt, die Unſrige zu werden, da
Madame Rettich nach Wien überſiedelt?«
Ganz aufrichtig gab ich zu: »Wenn ich bei meinem
Gaſtſpiel gefalle, bleibe ich gern! Dresden heimelt mich
und die Mutter ſo echt deutſch bürgerlich an, und der
geſtrige Theaterabend hat in mir den Wunſch geweckt,
mit Dresdens Künſtlern weiter wirken zu können. Nur
werde ich die Rettich ſchwerlich erſetzen können. Mein
Feld iſt das Luſtſpiel: Salon-Damen, naive und ſenti¬
mentale Rollen. Für hochtragiſche fehlt mir die Kraft
der Stimme, ſelbſt das impoſante Aeußere. Auch will
ich mich in dies Fach nicht hineinzwängen …«
»Das wird ſich finden, meine Beſte! Da würden
Sie vielleicht auch nicht ungern in meinen Ueberſetzungen
aus dem Franzöſiſchen auftreten?«
»Mit Entzücken!« rief ich. »In Paris habe ich
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/369>, abgerufen am 22.11.2024.
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