Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

aus Berlin verbannt war. Nach einem kurzen Aufenthalt
in Hamburg hatte er sich jetzt in Dresden niedergelassen.
Er zeigte sich im Innern und Aeußern unverändert.
Sein Witz war noch ebenso schneidig scharf und sein
Feuer verzehrend, aber eine reine Flamme. Der aus¬
drucksvolle Kopf mit den tiefblickenden Augen saß auf
einer dürftigen, verwachsenen Gestalt, und die langen,
langen Arme warf er im Eifer des Gesprächs weit
herum, ganz wie früher. Die Welt gefiele ihm gar
nicht mehr! versicherte er ernsthaft -- aber plötzlich er¬
heiterten sich seine Züge und das fröhliche Lachen, das
mich in Berlin so angesprochen hatte, riß mich unwider¬
stehlich mit sich fort. Auch das alte, ehrliche, gute
Herz war dasselbe geblieben. Er sprach mit liebevollster
Begeisterung von Tiedge, dem Dichter der Urania.

"Ist es nicht erhebend," rief er in seiner flammen¬
den Weise aus -- "daß ein achtzigjähriger Greis noch
mit voller Glut des Herzens sein Mitgefühl für Polens
Kampf und Geschick in einem Gedicht aussprechen konnte?
Sie müssen ihn kennen lernen! Bei ihm fühle ich mich
heimisch und empfinde, daß mein Gemüth noch der in¬
nigsten Anhänglichkeit fähig ist ..."

Und wir verabredeten einen gemeinschaftlichen Be¬
such bei Tiedge am andern Tage.


aus Berlin verbannt war. Nach einem kurzen Aufenthalt
in Hamburg hatte er ſich jetzt in Dresden niedergelaſſen.
Er zeigte ſich im Innern und Aeußern unverändert.
Sein Witz war noch ebenſo ſchneidig ſcharf und ſein
Feuer verzehrend, aber eine reine Flamme. Der aus¬
drucksvolle Kopf mit den tiefblickenden Augen ſaß auf
einer dürftigen, verwachſenen Geſtalt, und die langen,
langen Arme warf er im Eifer des Geſprächs weit
herum, ganz wie früher. Die Welt gefiele ihm gar
nicht mehr! verſicherte er ernſthaft — aber plötzlich er¬
heiterten ſich ſeine Züge und das fröhliche Lachen, das
mich in Berlin ſo angeſprochen hatte, riß mich unwider¬
ſtehlich mit ſich fort. Auch das alte, ehrliche, gute
Herz war daſſelbe geblieben. Er ſprach mit liebevollſter
Begeiſterung von Tiedge, dem Dichter der Urania.

»Iſt es nicht erhebend,« rief er in ſeiner flammen¬
den Weiſe aus — »daß ein achtzigjähriger Greis noch
mit voller Glut des Herzens ſein Mitgefühl für Polens
Kampf und Geſchick in einem Gedicht ausſprechen konnte?
Sie müſſen ihn kennen lernen! Bei ihm fühle ich mich
heimiſch und empfinde, daß mein Gemüth noch der in¬
nigſten Anhänglichkeit fähig iſt …«

Und wir verabredeten einen gemeinſchaftlichen Be¬
ſuch bei Tiedge am andern Tage.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0372" n="344"/>
aus Berlin verbannt war. Nach einem kurzen Aufenthalt<lb/>
in Hamburg hatte er &#x017F;ich jetzt in Dresden niedergela&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Er zeigte &#x017F;ich im Innern und Aeußern unverändert.<lb/>
Sein Witz war noch eben&#x017F;o &#x017F;chneidig &#x017F;charf und &#x017F;ein<lb/>
Feuer verzehrend, aber eine reine Flamme. Der aus¬<lb/>
drucksvolle Kopf mit den tiefblickenden Augen &#x017F;aß auf<lb/>
einer dürftigen, verwach&#x017F;enen Ge&#x017F;talt, und die langen,<lb/>
langen Arme warf er im Eifer des Ge&#x017F;prächs weit<lb/>
herum, ganz wie früher. Die Welt gefiele ihm gar<lb/>
nicht mehr! ver&#x017F;icherte er ern&#x017F;thaft &#x2014; aber plötzlich er¬<lb/>
heiterten &#x017F;ich &#x017F;eine Züge und das fröhliche Lachen, das<lb/>
mich in Berlin &#x017F;o ange&#x017F;prochen hatte, riß mich unwider¬<lb/>
&#x017F;tehlich mit &#x017F;ich fort. Auch das alte, ehrliche, gute<lb/>
Herz war da&#x017F;&#x017F;elbe geblieben. Er &#x017F;prach mit liebevoll&#x017F;ter<lb/>
Begei&#x017F;terung von Tiedge, dem Dichter der Urania.</p><lb/>
        <p>»I&#x017F;t es nicht erhebend,« rief er in &#x017F;einer flammen¬<lb/>
den Wei&#x017F;e aus &#x2014; »daß ein achtzigjähriger Greis noch<lb/>
mit voller Glut des Herzens &#x017F;ein Mitgefühl für Polens<lb/>
Kampf und Ge&#x017F;chick in einem Gedicht aus&#x017F;prechen konnte?<lb/>
Sie mü&#x017F;&#x017F;en ihn kennen lernen! Bei ihm fühle ich mich<lb/>
heimi&#x017F;ch und empfinde, daß mein Gemüth noch der in¬<lb/>
nig&#x017F;ten Anhänglichkeit fähig i&#x017F;t &#x2026;«</p><lb/>
        <p>Und wir verabredeten einen gemein&#x017F;chaftlichen Be¬<lb/>
&#x017F;uch bei Tiedge am andern Tage.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0372] aus Berlin verbannt war. Nach einem kurzen Aufenthalt in Hamburg hatte er ſich jetzt in Dresden niedergelaſſen. Er zeigte ſich im Innern und Aeußern unverändert. Sein Witz war noch ebenſo ſchneidig ſcharf und ſein Feuer verzehrend, aber eine reine Flamme. Der aus¬ drucksvolle Kopf mit den tiefblickenden Augen ſaß auf einer dürftigen, verwachſenen Geſtalt, und die langen, langen Arme warf er im Eifer des Geſprächs weit herum, ganz wie früher. Die Welt gefiele ihm gar nicht mehr! verſicherte er ernſthaft — aber plötzlich er¬ heiterten ſich ſeine Züge und das fröhliche Lachen, das mich in Berlin ſo angeſprochen hatte, riß mich unwider¬ ſtehlich mit ſich fort. Auch das alte, ehrliche, gute Herz war daſſelbe geblieben. Er ſprach mit liebevollſter Begeiſterung von Tiedge, dem Dichter der Urania. »Iſt es nicht erhebend,« rief er in ſeiner flammen¬ den Weiſe aus — »daß ein achtzigjähriger Greis noch mit voller Glut des Herzens ſein Mitgefühl für Polens Kampf und Geſchick in einem Gedicht ausſprechen konnte? Sie müſſen ihn kennen lernen! Bei ihm fühle ich mich heimiſch und empfinde, daß mein Gemüth noch der in¬ nigſten Anhänglichkeit fähig iſt …« Und wir verabredeten einen gemeinſchaftlichen Be¬ ſuch bei Tiedge am andern Tage.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/372
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/372>, abgerufen am 22.11.2024.