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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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ihm gewohnt waren, stimmte unsere Heiterkeit nicht
herab -- im Gegentheil!

Das war die Einleitung zu dem ästhetischen Kunst¬
genuß: -- Alexander und Darius.

Dann saßen wir lesefertig und möglichst feierlich
um den großen, runden Sophatisch. Das kritische Pu¬
blikum: die Mutter und Frau Gevatterin Krüger thron¬
ten auf dem Sopha, der schadenfrohe Saphir hatte sich
mir gerade gegenüber gesetzt und schnitt seine unmög¬
lichsten Gesichter. Er ist ja bekanntlich stolz auf die
wirklich abnorme Häßlichkeit seiner Visage.

Krüger machte den Regisseur und vertheilte die
Rollen:

Alexander der Große     Krüger.
Darius     Der Dichter, Baron Uechtritz.
Vertraute des Königs     Dr. Wilke.
Statira, Gemahlin des
Königs     Sekretair Teichmann.
Tänzerin     Karoline Bauer.

Und die Qual begann ...

Schon nach dem ersten Akt hätten die Mutter und
ich uns klüglich entfernen sollen -- Nasenbluten -- Zahn¬
weh -- Schwindel oder dergleichen kleine unschuldige ge¬
sellschaftliche Aushülfemittel vorschützend ... Ja, sogar
eine Ohnmacht wäre unter diesen Verhältnissen Tugend
-- Pflicht der Selbsterhaltung gewesen.

Der Dr. Wilke deklamirte mit ungeheurer Energie
und hatte die Manie: nach jedem Satz sämmtliche An¬

ihm gewohnt waren, ſtimmte unſere Heiterkeit nicht
herab — im Gegentheil!

Das war die Einleitung zu dem äſthetiſchen Kunſt¬
genuß: — Alexander und Darius.

Dann ſaßen wir leſefertig und möglichſt feierlich
um den großen, runden Sophatiſch. Das kritiſche Pu¬
blikum: die Mutter und Frau Gevatterin Krüger thron¬
ten auf dem Sopha, der ſchadenfrohe Saphir hatte ſich
mir gerade gegenüber geſetzt und ſchnitt ſeine unmög¬
lichſten Geſichter. Er iſt ja bekanntlich ſtolz auf die
wirklich abnorme Häßlichkeit ſeiner Viſage.

Krüger machte den Regiſſeur und vertheilte die
Rollen:

Alexander der Große     Krüger.
Darius     Der Dichter, Baron Uechtritz.
Vertraute des Königs     Dr. Wilke.
Statira, Gemahlin des
Königs     Sekretair Teichmann.
Tänzerin     Karoline Bauer.

Und die Qual begann …

Schon nach dem erſten Akt hätten die Mutter und
ich uns klüglich entfernen ſollen — Naſenbluten — Zahn¬
weh — Schwindel oder dergleichen kleine unſchuldige ge¬
ſellſchaftliche Aushülfemittel vorſchützend … Ja, ſogar
eine Ohnmacht wäre unter dieſen Verhältniſſen Tugend
— Pflicht der Selbſterhaltung geweſen.

Der Dr. Wilke deklamirte mit ungeheurer Energie
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[349/0377] ihm gewohnt waren, ſtimmte unſere Heiterkeit nicht herab — im Gegentheil! Das war die Einleitung zu dem äſthetiſchen Kunſt¬ genuß: — Alexander und Darius. Dann ſaßen wir leſefertig und möglichſt feierlich um den großen, runden Sophatiſch. Das kritiſche Pu¬ blikum: die Mutter und Frau Gevatterin Krüger thron¬ ten auf dem Sopha, der ſchadenfrohe Saphir hatte ſich mir gerade gegenüber geſetzt und ſchnitt ſeine unmög¬ lichſten Geſichter. Er iſt ja bekanntlich ſtolz auf die wirklich abnorme Häßlichkeit ſeiner Viſage. Krüger machte den Regiſſeur und vertheilte die Rollen: Alexander der Große Krüger. Darius Der Dichter, Baron Uechtritz. Vertraute des Königs Dr. Wilke. Statira, Gemahlin des Königs Sekretair Teichmann. Tänzerin Karoline Bauer. Und die Qual begann … Schon nach dem erſten Akt hätten die Mutter und ich uns klüglich entfernen ſollen — Naſenbluten — Zahn¬ weh — Schwindel oder dergleichen kleine unſchuldige ge¬ ſellſchaftliche Aushülfemittel vorſchützend … Ja, ſogar eine Ohnmacht wäre unter dieſen Verhältniſſen Tugend — Pflicht der Selbſterhaltung geweſen. Der Dr. Wilke deklamirte mit ungeheurer Energie und hatte die Manie: nach jedem Satz ſämmtliche An¬

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/377>, abgerufen am 22.11.2024.