angstvollen Fragezeichen standen auf den Gesichtern aller Ein¬ heimischen zu lesen und gewöhnlich auch daneben ein herz¬ liches Ausrufungszeichen: Möchte es doch heute ein kurzes Lustspiel sein! -- Und wenn Tieck dann mit seiner herrlichen volltönenden Stimme sagte: "Der Richter von Zalamea, Drama aus dem Spanischen des Lopez ... !" so fielen wir Eingeweihten mit stillen Seufzern und lammfrommen Duldermienen in die möglichst bequemste Ergebungsposition zurück und ließen den Richter von Zalamea über uns er¬ gehen und, wem's gegeben war, an uns vorübergehen. Tönte es jedoch zwischen den beiden Lichten hervor: "Der zerbrochene Krug, Lustspiel von Heinrich von Kleist!" -- oder: "Minna von Barnhelm, vaterländisches Lustspiel von Lessing!" -- da ging ein Aufathmen der Erleichterung, der Genugthuung durch den Saal, und wenn der Vorleser am Schluß noch seine kleinen be¬ liebten Epiloge hielt, wie: "Der zerbrochene Krug! welch' kerniger, frischer Humor in diesem Prachtlustspiel!" -- oder: "Eine Muster-Prosa in der Minna von Barnhelm! Welch' ein Genuß, sie nachzusprechen! Und welche Fein¬ heit des Witzes und meisterhafte Zeichnung der Charaktere! Ja, es ist noch immer unser unerreichtes deutsches Muster¬ lustspiel!" -- dann nickten wir dem Redner und uns gegenseitig vergnügt zu. Die kurzen Lustspiele hatten uns mobilisirt, die langen Spanier hätten uns halb todt gemacht.
War Tieck besonders guter Laune, so fragte er auch wohl schon während des Theetrinkens: "Was
angſtvollen Fragezeichen ſtanden auf den Geſichtern aller Ein¬ heimiſchen zu leſen und gewöhnlich auch daneben ein herz¬ liches Ausrufungszeichen: Möchte es doch heute ein kurzes Luſtſpiel ſein! — Und wenn Tieck dann mit ſeiner herrlichen volltönenden Stimme ſagte: »Der Richter von Zalamea, Drama aus dem Spaniſchen des Lopez … !« ſo fielen wir Eingeweihten mit ſtillen Seufzern und lammfrommen Duldermienen in die möglichſt bequemſte Ergebungspoſition zurück und ließen den Richter von Zalamea über uns er¬ gehen und, wem's gegeben war, an uns vorübergehen. Tönte es jedoch zwiſchen den beiden Lichten hervor: »Der zerbrochene Krug, Luſtſpiel von Heinrich von Kleiſt!« — oder: »Minna von Barnhelm, vaterländiſches Luſtſpiel von Leſſing!« — da ging ein Aufathmen der Erleichterung, der Genugthuung durch den Saal, und wenn der Vorleſer am Schluß noch ſeine kleinen be¬ liebten Epiloge hielt, wie: »Der zerbrochene Krug! welch' kerniger, friſcher Humor in dieſem Prachtluſtſpiel!« — oder: »Eine Muſter-Proſa in der Minna von Barnhelm! Welch' ein Genuß, ſie nachzuſprechen! Und welche Fein¬ heit des Witzes und meiſterhafte Zeichnung der Charaktere! Ja, es iſt noch immer unſer unerreichtes deutſches Muſter¬ luſtſpiel!« — dann nickten wir dem Redner und uns gegenſeitig vergnügt zu. Die kurzen Luſtſpiele hatten uns mobiliſirt, die langen Spanier hätten uns halb todt gemacht.
War Tieck beſonders guter Laune, ſo fragte er auch wohl ſchon während des Theetrinkens: »Was
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angſtvollen Fragezeichen ſtanden auf den Geſichtern aller Ein¬
heimiſchen zu leſen und gewöhnlich auch daneben ein herz¬
liches Ausrufungszeichen: Möchte es doch heute ein kurzes
Luſtſpiel ſein! — Und wenn Tieck dann mit ſeiner herrlichen
volltönenden Stimme ſagte: »Der Richter von Zalamea,
Drama aus dem Spaniſchen des Lopez … !« ſo fielen
wir Eingeweihten mit ſtillen Seufzern und lammfrommen
Duldermienen in die möglichſt bequemſte Ergebungspoſition
zurück und ließen den Richter von Zalamea über uns er¬
gehen und, wem's gegeben war, an uns vorübergehen.
Tönte es jedoch zwiſchen den beiden Lichten hervor:
»Der zerbrochene Krug, Luſtſpiel von Heinrich von
Kleiſt!« — oder: »Minna von Barnhelm, vaterländiſches
Luſtſpiel von Leſſing!« — da ging ein Aufathmen der
Erleichterung, der Genugthuung durch den Saal, und
wenn der Vorleſer am Schluß noch ſeine kleinen be¬
liebten Epiloge hielt, wie: »Der zerbrochene Krug! welch'
kerniger, friſcher Humor in dieſem Prachtluſtſpiel!« —
oder: »Eine Muſter-Proſa in der Minna von Barnhelm!
Welch' ein Genuß, ſie nachzuſprechen! Und welche Fein¬
heit des Witzes und meiſterhafte Zeichnung der Charaktere!
Ja, es iſt noch immer unſer unerreichtes deutſches Muſter¬
luſtſpiel!« — dann nickten wir dem Redner und uns
gegenſeitig vergnügt zu. Die kurzen Luſtſpiele hatten
uns mobiliſirt, die langen Spanier hätten uns halb
todt gemacht.
War Tieck beſonders guter Laune, ſo fragte er
auch wohl ſchon während des Theetrinkens: »Was
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/426>, abgerufen am 22.11.2024.
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