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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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licher, weil Du es vor der Welt und selbst vor Deinem
geliebtesten Freunde verbergen mußtest!

Die Gräfin stammte aus einer vornehmen, hochge¬
bildeten Familie. Ihr Vater liebte und übte besonders
alte italienische Kirchenmusik. Seine Söhne und Töchter
wirkten bei diesen von ihm dirigirten Hausaufführungen
mit. Unsere Gräfin sang mit süßer Stimme und großem
musikalischem Verständniß hohe Sopranpartien -- und
was ich hörte, waren die wehmüthigen Nachklänge dieser
glücklichen Mädchenjahre. --

Als Politiker rühmte sich Tieck gern, ein einge¬
fleischter Konservativer zu sein, ja oft nannte er sich
lachend: "un retrogade par excellence!" Aber
eigentlich war er gar kein Politiker, und die Strömun¬
gen der Zeit, die französische Revolution, die Demago¬
genhetze, ja selbst die Freiheitskriege waren ziemlich spur¬
los an dem "Romantiker" vorübergegangen. Wurde von
den neuen Bewegungen in Berlin beim Beginn der Re¬
gierung Friedrich Wilhelm's IV. gesprochen, so sagte er
wohl herablassend: "War es nicht auch zu meiner Zeit
schon ganz gut in Berlin, in der Welt? Was will denn
eigentlich der sogenannte Fortschritt? Wir lebten früher
auch ohne ihn zufrieden, glücklich!" -- worauf ihm einst
Dr. Witthauer aus Wien lachend antwortete: "Ihre
Welt, Herr Hofrath, war freilich herrlich, vollkommen,
denn Sie fanden diese im Theater, wenn Fleck und
Friederike Bethmann spielten!" -- und vergnügt nickte
Tieck dazu. -- Wurde Napoleons Feldherrntalent ge¬

licher, weil Du es vor der Welt und ſelbſt vor Deinem
geliebteſten Freunde verbergen mußteſt!

Die Gräfin ſtammte aus einer vornehmen, hochge¬
bildeten Familie. Ihr Vater liebte und übte beſonders
alte italieniſche Kirchenmuſik. Seine Söhne und Töchter
wirkten bei dieſen von ihm dirigirten Hausaufführungen
mit. Unſere Gräfin ſang mit ſüßer Stimme und großem
muſikaliſchem Verſtändniß hohe Sopranpartien — und
was ich hörte, waren die wehmüthigen Nachklänge dieſer
glücklichen Mädchenjahre. —

Als Politiker rühmte ſich Tieck gern, ein einge¬
fleiſchter Konſervativer zu ſein, ja oft nannte er ſich
lachend: »un rétrogade par excellence!« Aber
eigentlich war er gar kein Politiker, und die Strömun¬
gen der Zeit, die franzöſiſche Revolution, die Demago¬
genhetze, ja ſelbſt die Freiheitskriege waren ziemlich ſpur¬
los an dem »Romantiker« vorübergegangen. Wurde von
den neuen Bewegungen in Berlin beim Beginn der Re¬
gierung Friedrich Wilhelm's IV. geſprochen, ſo ſagte er
wohl herablaſſend: »War es nicht auch zu meiner Zeit
ſchon ganz gut in Berlin, in der Welt? Was will denn
eigentlich der ſogenannte Fortſchritt? Wir lebten früher
auch ohne ihn zufrieden, glücklich!« — worauf ihm einſt
Dr. Witthauer aus Wien lachend antwortete: »Ihre
Welt, Herr Hofrath, war freilich herrlich, vollkommen,
denn Sie fanden dieſe im Theater, wenn Fleck und
Friederike Bethmann ſpielten!« — und vergnügt nickte
Tieck dazu. — Wurde Napoleons Feldherrntalent ge¬

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[410/0438] licher, weil Du es vor der Welt und ſelbſt vor Deinem geliebteſten Freunde verbergen mußteſt! Die Gräfin ſtammte aus einer vornehmen, hochge¬ bildeten Familie. Ihr Vater liebte und übte beſonders alte italieniſche Kirchenmuſik. Seine Söhne und Töchter wirkten bei dieſen von ihm dirigirten Hausaufführungen mit. Unſere Gräfin ſang mit ſüßer Stimme und großem muſikaliſchem Verſtändniß hohe Sopranpartien — und was ich hörte, waren die wehmüthigen Nachklänge dieſer glücklichen Mädchenjahre. — Als Politiker rühmte ſich Tieck gern, ein einge¬ fleiſchter Konſervativer zu ſein, ja oft nannte er ſich lachend: »un rétrogade par excellence!« Aber eigentlich war er gar kein Politiker, und die Strömun¬ gen der Zeit, die franzöſiſche Revolution, die Demago¬ genhetze, ja ſelbſt die Freiheitskriege waren ziemlich ſpur¬ los an dem »Romantiker« vorübergegangen. Wurde von den neuen Bewegungen in Berlin beim Beginn der Re¬ gierung Friedrich Wilhelm's IV. geſprochen, ſo ſagte er wohl herablaſſend: »War es nicht auch zu meiner Zeit ſchon ganz gut in Berlin, in der Welt? Was will denn eigentlich der ſogenannte Fortſchritt? Wir lebten früher auch ohne ihn zufrieden, glücklich!« — worauf ihm einſt Dr. Witthauer aus Wien lachend antwortete: »Ihre Welt, Herr Hofrath, war freilich herrlich, vollkommen, denn Sie fanden dieſe im Theater, wenn Fleck und Friederike Bethmann ſpielten!« — und vergnügt nickte Tieck dazu. — Wurde Napoleons Feldherrntalent ge¬

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/438>, abgerufen am 22.11.2024.