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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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-- ein unbegreiflicher Mißgriff von einer sonst so denken¬
den Künstlerin!

Die erste Unterredung mit der Tante wurde gleich¬
gültig aufgenommen, -- doch nach und nach regte sich
die Theilnahme, -- und am Schluß des Aktes ertönte
Beifall. Nach der Beschreibung des Traumes im dritten
Akt aber jubelte bereits das ganze Haus vor Entzücken,
und nach dem vierten Akt gestanden selbst die glühendsten
Verehrer des schönen Suschens, daß diesem unschönen,
herzig gemüthlichen, heiter-seelenvollen -- der Preis gebühre.
-- Die hellen Thränen liefen mir über die Wangen, als die
tief gedemüthigte Spitzenklöpplerin so traurig und ergeben
sich zur Arbeit setzte, und klagte: "mein Mütterchen im Grabe,
Du hörst das Weinen Deines Kindes nicht!" Nur einer
Nüance will ich erwähnen, welche das Publikum elektrisirte.

Wenn die Tante die von Suschen im Spitzenkarton
eingeschmuggelte seidene Schürze bemerkt, und sie hervor¬
ziehend frägt: "Wie kommt denn die Schürze in den
Karton?" -- waren wir gewohnt, die Neumann keck
antworten zu hören, indem sie die Tante dabei durchaus
nicht schüchtern anblickte: "Wie kann man so vergeßlich
sein! Du hast sie ja selbst hineingelegt!" Lindner-Suschen
löste verlegen den am Arm hängenden runden Strohhut,
setzte ihn auf, und den Schirm ein wenig in's Gesicht
drückend -- belog sie zum ersten Mal ihre Wohlthäterin
leise -- zitternd und vermochte nicht, der Tante dabei
in's Auge zu sehen! -- und so folgten unzählige Ge¬
müths- und Charakterblitze ...

Erinnerungen etc. 4

— ein unbegreiflicher Mißgriff von einer ſonſt ſo denken¬
den Künſtlerin!

Die erſte Unterredung mit der Tante wurde gleich¬
gültig aufgenommen, — doch nach und nach regte ſich
die Theilnahme, — und am Schluß des Aktes ertönte
Beifall. Nach der Beſchreibung des Traumes im dritten
Akt aber jubelte bereits das ganze Haus vor Entzücken,
und nach dem vierten Akt geſtanden ſelbſt die glühendſten
Verehrer des ſchönen Suschens, daß dieſem unſchönen,
herzig gemüthlichen, heiter-ſeelenvollen — der Preis gebühre.
— Die hellen Thränen liefen mir über die Wangen, als die
tief gedemüthigte Spitzenklöpplerin ſo traurig und ergeben
ſich zur Arbeit ſetzte, und klagte: »mein Mütterchen im Grabe,
Du hörſt das Weinen Deines Kindes nicht!« Nur einer
Nüance will ich erwähnen, welche das Publikum elektriſirte.

Wenn die Tante die von Suschen im Spitzenkarton
eingeſchmuggelte ſeidene Schürze bemerkt, und ſie hervor¬
ziehend frägt: »Wie kommt denn die Schürze in den
Karton?« — waren wir gewohnt, die Neumann keck
antworten zu hören, indem ſie die Tante dabei durchaus
nicht ſchüchtern anblickte: »Wie kann man ſo vergeßlich
ſein! Du haſt ſie ja ſelbſt hineingelegt!« Lindner-Suschen
löſte verlegen den am Arm hängenden runden Strohhut,
ſetzte ihn auf, und den Schirm ein wenig in's Geſicht
drückend — belog ſie zum erſten Mal ihre Wohlthäterin
leiſe — zitternd und vermochte nicht, der Tante dabei
in's Auge zu ſehen! — und ſo folgten unzählige Ge¬
müths- und Charakterblitze …

Erinnerungen ꝛc. 4
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[49/0077] — ein unbegreiflicher Mißgriff von einer ſonſt ſo denken¬ den Künſtlerin! Die erſte Unterredung mit der Tante wurde gleich¬ gültig aufgenommen, — doch nach und nach regte ſich die Theilnahme, — und am Schluß des Aktes ertönte Beifall. Nach der Beſchreibung des Traumes im dritten Akt aber jubelte bereits das ganze Haus vor Entzücken, und nach dem vierten Akt geſtanden ſelbſt die glühendſten Verehrer des ſchönen Suschens, daß dieſem unſchönen, herzig gemüthlichen, heiter-ſeelenvollen — der Preis gebühre. — Die hellen Thränen liefen mir über die Wangen, als die tief gedemüthigte Spitzenklöpplerin ſo traurig und ergeben ſich zur Arbeit ſetzte, und klagte: »mein Mütterchen im Grabe, Du hörſt das Weinen Deines Kindes nicht!« Nur einer Nüance will ich erwähnen, welche das Publikum elektriſirte. Wenn die Tante die von Suschen im Spitzenkarton eingeſchmuggelte ſeidene Schürze bemerkt, und ſie hervor¬ ziehend frägt: »Wie kommt denn die Schürze in den Karton?« — waren wir gewohnt, die Neumann keck antworten zu hören, indem ſie die Tante dabei durchaus nicht ſchüchtern anblickte: »Wie kann man ſo vergeßlich ſein! Du haſt ſie ja ſelbſt hineingelegt!« Lindner-Suschen löſte verlegen den am Arm hängenden runden Strohhut, ſetzte ihn auf, und den Schirm ein wenig in's Geſicht drückend — belog ſie zum erſten Mal ihre Wohlthäterin leiſe — zitternd und vermochte nicht, der Tante dabei in's Auge zu ſehen! — und ſo folgten unzählige Ge¬ müths- und Charakterblitze … Erinnerungen ꝛc. 4

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/77>, abgerufen am 21.11.2024.