Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

im engen Familienkreise bei der Doktorin zu speisen. Er
haßt allen Prunk und flieht elegante Visitenzimmer, sowie
große Gesellschaften. Einstens hatte die Tochter ihn zur
Einweihung eines Ballsaales herbeizulocken gewußt. Lange
grollte Zelter aber, daß sie mit dem alten Vater para¬
diren wollte. -- Als ich den großen, ernsten Mann zum
ersten Mal sah, verstummte ich verschüchtert; seine blauen,
ausdrucksvollen Augen schienen bis in den Kern meines
Herzens dringen zu wollen -- doch bald blickten sie freund¬
lich mild -- er vermochte wohl in den meinen keine Ab¬
gründe zu entdecken. Er sprach zu mir in väterlichem
Ton und munterte mich auf, unverzagt meine Ansichten
zum Besten zu geben. Wie herzlich lachte er über drollige
Einfälle! "Ich liebe fröhliche Jugend!" sagte er, --
"nur frisch in's Leben geschaut, übermüthige Blondine ...
es wird leider schon anders kommen!" -- Zelter erinnert
an Aloys Schreiber und Hebel, das gleiche biedere Wesen,
das kluge Sprechen, die edlen Züge ... nur, ich möchte
sagen, umfließt ihn noch der Reiz als Komponist und
Freund Goethe's, der sein Abgott ist. Wie oft faßte ich
seine weiche Hand und küßte sie -- rasch -- ehe er es ver¬
hindern konnte; -- und so wurde mir denn die seltene
Ehre zu Theil, von ihm eingeladen zu werden. Er
empfängt selten Gäste und lebt sehr zurückgezogen, sorg¬
lichst gepflegt von seiner jüngeren Tochter Dorothea, welche
jeden Heirathsantrag zurückgewiesen, um sich dem Vater
widmen zu können; ein sanftes, liebenswürdiges Mädchen.
Als wir in's Vorzimmer getreten -- ich zitternd vor

im engen Familienkreiſe bei der Doktorin zu ſpeiſen. Er
haßt allen Prunk und flieht elegante Viſitenzimmer, ſowie
große Geſellſchaften. Einſtens hatte die Tochter ihn zur
Einweihung eines Ballſaales herbeizulocken gewußt. Lange
grollte Zelter aber, daß ſie mit dem alten Vater para¬
diren wollte. — Als ich den großen, ernſten Mann zum
erſten Mal ſah, verſtummte ich verſchüchtert; ſeine blauen,
ausdrucksvollen Augen ſchienen bis in den Kern meines
Herzens dringen zu wollen — doch bald blickten ſie freund¬
lich mild — er vermochte wohl in den meinen keine Ab¬
gründe zu entdecken. Er ſprach zu mir in väterlichem
Ton und munterte mich auf, unverzagt meine Anſichten
zum Beſten zu geben. Wie herzlich lachte er über drollige
Einfälle! »Ich liebe fröhliche Jugend!« ſagte er, —
»nur friſch in's Leben geſchaut, übermüthige Blondine …
es wird leider ſchon anders kommen!« — Zelter erinnert
an Aloys Schreiber und Hebel, das gleiche biedere Weſen,
das kluge Sprechen, die edlen Züge … nur, ich möchte
ſagen, umfließt ihn noch der Reiz als Komponiſt und
Freund Goethe's, der ſein Abgott iſt. Wie oft faßte ich
ſeine weiche Hand und küßte ſie — raſch — ehe er es ver¬
hindern konnte; — und ſo wurde mir denn die ſeltene
Ehre zu Theil, von ihm eingeladen zu werden. Er
empfängt ſelten Gäſte und lebt ſehr zurückgezogen, ſorg¬
lichſt gepflegt von ſeiner jüngeren Tochter Dorothea, welche
jeden Heirathsantrag zurückgewieſen, um ſich dem Vater
widmen zu können; ein ſanftes, liebenswürdiges Mädchen.
Als wir in's Vorzimmer getreten — ich zitternd vor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0096" n="68"/>
im engen Familienkrei&#x017F;e bei der Doktorin zu &#x017F;pei&#x017F;en. Er<lb/>
haßt allen Prunk und flieht elegante Vi&#x017F;itenzimmer, &#x017F;owie<lb/>
große Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften. Ein&#x017F;tens hatte die Tochter ihn zur<lb/>
Einweihung eines Ball&#x017F;aales herbeizulocken gewußt. Lange<lb/>
grollte Zelter aber, daß &#x017F;ie mit dem alten Vater para¬<lb/>
diren wollte. &#x2014; Als ich den großen, ern&#x017F;ten Mann zum<lb/>
er&#x017F;ten Mal &#x017F;ah, ver&#x017F;tummte ich ver&#x017F;chüchtert; &#x017F;eine blauen,<lb/>
ausdrucksvollen Augen &#x017F;chienen bis in den Kern meines<lb/>
Herzens dringen zu wollen &#x2014; doch bald blickten &#x017F;ie freund¬<lb/>
lich mild &#x2014; er vermochte wohl in den meinen keine Ab¬<lb/>
gründe zu entdecken. Er &#x017F;prach zu mir in väterlichem<lb/>
Ton und munterte mich auf, unverzagt meine An&#x017F;ichten<lb/>
zum Be&#x017F;ten zu geben. Wie herzlich lachte er über drollige<lb/>
Einfälle! »Ich liebe fröhliche Jugend!« &#x017F;agte er, &#x2014;<lb/>
»nur fri&#x017F;ch in's Leben ge&#x017F;chaut, übermüthige Blondine &#x2026;<lb/>
es wird leider &#x017F;chon anders kommen!« &#x2014; Zelter erinnert<lb/>
an Aloys Schreiber und Hebel, das gleiche biedere We&#x017F;en,<lb/>
das kluge Sprechen, die edlen Züge &#x2026; nur, ich möchte<lb/>
&#x017F;agen, umfließt ihn noch der Reiz als Komponi&#x017F;t und<lb/>
Freund Goethe's, der &#x017F;ein Abgott i&#x017F;t. Wie oft faßte ich<lb/>
&#x017F;eine weiche Hand und küßte &#x017F;ie &#x2014; ra&#x017F;ch &#x2014; ehe er es ver¬<lb/>
hindern konnte; &#x2014; und &#x017F;o wurde mir denn die &#x017F;eltene<lb/>
Ehre zu Theil, von ihm eingeladen zu werden. Er<lb/>
empfängt &#x017F;elten Gä&#x017F;te und lebt &#x017F;ehr zurückgezogen, &#x017F;org¬<lb/>
lich&#x017F;t gepflegt von &#x017F;einer jüngeren Tochter Dorothea, welche<lb/>
jeden Heirathsantrag zurückgewie&#x017F;en, um &#x017F;ich dem Vater<lb/>
widmen zu können; ein &#x017F;anftes, liebenswürdiges Mädchen.<lb/>
Als wir in's Vorzimmer getreten &#x2014; ich zitternd vor<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0096] im engen Familienkreiſe bei der Doktorin zu ſpeiſen. Er haßt allen Prunk und flieht elegante Viſitenzimmer, ſowie große Geſellſchaften. Einſtens hatte die Tochter ihn zur Einweihung eines Ballſaales herbeizulocken gewußt. Lange grollte Zelter aber, daß ſie mit dem alten Vater para¬ diren wollte. — Als ich den großen, ernſten Mann zum erſten Mal ſah, verſtummte ich verſchüchtert; ſeine blauen, ausdrucksvollen Augen ſchienen bis in den Kern meines Herzens dringen zu wollen — doch bald blickten ſie freund¬ lich mild — er vermochte wohl in den meinen keine Ab¬ gründe zu entdecken. Er ſprach zu mir in väterlichem Ton und munterte mich auf, unverzagt meine Anſichten zum Beſten zu geben. Wie herzlich lachte er über drollige Einfälle! »Ich liebe fröhliche Jugend!« ſagte er, — »nur friſch in's Leben geſchaut, übermüthige Blondine … es wird leider ſchon anders kommen!« — Zelter erinnert an Aloys Schreiber und Hebel, das gleiche biedere Weſen, das kluge Sprechen, die edlen Züge … nur, ich möchte ſagen, umfließt ihn noch der Reiz als Komponiſt und Freund Goethe's, der ſein Abgott iſt. Wie oft faßte ich ſeine weiche Hand und küßte ſie — raſch — ehe er es ver¬ hindern konnte; — und ſo wurde mir denn die ſeltene Ehre zu Theil, von ihm eingeladen zu werden. Er empfängt ſelten Gäſte und lebt ſehr zurückgezogen, ſorg¬ lichſt gepflegt von ſeiner jüngeren Tochter Dorothea, welche jeden Heirathsantrag zurückgewieſen, um ſich dem Vater widmen zu können; ein ſanftes, liebenswürdiges Mädchen. Als wir in's Vorzimmer getreten — ich zitternd vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/96
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/96>, abgerufen am 21.11.2024.