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Bauller, Johann Jacob: Hell-Polirter Laster-Spiegel. Ulm, 1681.

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vom Zorn.
Christus/ es soll keiner mit seinem Bruder zürnen/ und das (wie im Griechi-
schen Original-Text stehet/) eike, freventlich/ vergeblich/ umsonst/ ohneeike
temere,

rechtmässige Ursach/ weil aber dieses Wörtlein nicht in allen Griechischen Ex-
emplarien gefunden wird/ ist es auch im Teutschen außgelassen/ und gehet die
Meinung deß HErrn Christi dahin/ daß wann gleich eine rechtmässige Ur-mit dem
Bruder/

sach vorhanden wäre/ soll man doch nicht mit dem Nächsten/ sondern mit dem
Laster zürnen/ darmit der Nächste behafftet ist. Mit dem Laster soll man
zürnen/ aber den Nächsten soll man lieben/ wie Moses über dem Abgötti-
schen Kälber-Tantz der Jsraeliten mit Zorn ergrimmete/ daß er auch die stei-
nerne Tafeln wider den Boden zu Stücken zerworffen/ aber für die Jsraeliten
bat er den HErrn/ und sagte: Ach HErr! vergib ihnen ihre Sünde/ wo
nicht/ so tilge mich auch auß dem Buch/ das du geschrieben hast/ 2. Mos. 32.
Darum/ wie ein Vatter über den Ungehorsam seines Kindes zornig wird/
und das Kind darum straffet/ aber gleichwol das Kind liebet. Und wie ei-
ner/ der etwas übersehen/ wider sich selbsten zornig wird/ aber dannoch sich
selbsten liebet. Also soll einer seinem Nächsten gleichwol allezeit lieben/ ob er
schon wegen deß Lasters/ darmit er behafftet ist/ Ursach zu zürnen hat. Der
H. Augustinus sagt gar fein also: Man soll die Laster/ nicht um der Men-August. in
enarr.
Ps. 138.
Tom. 8.
col. 1062. B.

denn der sey
deß Ge-
richts schul-
dig.

schen willen lieben/ und soll um der Laster willen den Menschen nicht hassen/
in seiner Außlegung über Ps. 138. Dann/ wer mit seinem Bruder
zürnet/
sagt Christus/ der sey nicht weniger/ als ein würcklicher Todschläger
und Mörder/ deß Gerichtes schuldig. Da er dann durch das Gericht/
nicht nur das Jüdische/ Menschliche/ sondern vielmehr das Göttliche/ das
Jüngste Gericht/ und die ewige Verdammnüß verstehet/ dahin auch das
Griechische Wörtlein enokhos gehet/ welches nicht allein so schlecht dahin
schuldig/ sondern einen solchen Menschen bedeutet/ der gefangen und ge-
bunden vorgeführet/ verklaget/ verurtheilet und verdammt wird. Bezeuget
also Christus der HErr wider der Phariseer Meinung/ daß nicht nur der äus-
serliche Todschlag/ sondern auch der Zorn im Hertzen verbotten sey/ und daß
darauf nicht nur das Weltliche Gericht/ sondern gar die ewige Verdammnüß
erfolge.

Lehr.Lehr.
Vor dem
Zorn sich
zu hüten/
weil er

HJer haben wir nun wieder von einem andern Laster zu reden/ das ei-
gentlich auf den Nächsten sihet und gehet/ das heisst Iracundia, der
Zorn/ daß ein jeder Christ sich davor hüten solle/ daß er nicht mit seinem
Bruder oder neben-Menschen zürne/ und das soll geschehen vornemlich
um nachfolgender 5. Ursachen willen.

I.
Verbotten.

I. Soll ein Christ nicht wider seinen Nächsten zürnen/ weil der Zorn
von GOtt dem HErrn selbsten ernstlich verbotten ist. Es ist nicht nur ein

Tradi-
J i i i i 3

vom Zorn.
Chriſtus/ es ſoll keiner mit ſeinem Bruder zuͤrnen/ und das (wie im Griechi-
ſchen Original-Text ſtehet/) εἰϰῇ, freventlich/ vergeblich/ umſonſt/ ohneεἰϰῇ
temerè,

rechtmaͤſſige Urſach/ weil aber dieſes Woͤrtlein nicht in allen Griechiſchen Ex-
emplarien gefunden wird/ iſt es auch im Teutſchen außgelaſſen/ und gehet die
Meinung deß HErꝛn Chriſti dahin/ daß wann gleich eine rechtmaͤſſige Ur-mit dem
Bruder/

ſach vorhanden waͤre/ ſoll man doch nicht mit dem Naͤchſten/ ſondern mit dem
Laſter zuͤrnen/ darmit der Naͤchſte behafftet iſt. Mit dem Laſter ſoll man
zuͤrnen/ aber den Naͤchſten ſoll man lieben/ wie Moſes uͤber dem Abgoͤtti-
ſchen Kaͤlber-Tantz der Jſraeliten mit Zorn ergrimmete/ daß er auch die ſtei-
nerne Tafeln wider den Boden zu Stuͤcken zerworffen/ aber fuͤr die Jſraeliten
bat er den HErꝛn/ und ſagte: Ach HErꝛ! vergib ihnen ihre Suͤnde/ wo
nicht/ ſo tilge mich auch auß dem Buch/ das du geſchrieben haſt/ 2. Moſ. 32.
Darum/ wie ein Vatter uͤber den Ungehorſam ſeines Kindes zornig wird/
und das Kind darum ſtraffet/ aber gleichwol das Kind liebet. Und wie ei-
ner/ der etwas uͤberſehen/ wider ſich ſelbſten zornig wird/ aber dannoch ſich
ſelbſten liebet. Alſo ſoll einer ſeinem Naͤchſten gleichwol allezeit lieben/ ob er
ſchon wegen deß Laſters/ darmit er behafftet iſt/ Urſach zu zuͤrnen hat. Der
H. Auguſtinus ſagt gar fein alſo: Man ſoll die Laſter/ nicht um der Men-Auguſt. in
enarr.
Pſ. 138.
Tom. 8.
col. 1062. B.

denn der ſey
deß Ge-
richts ſchul-
dig.

ſchen willen lieben/ und ſoll um der Laſter willen den Menſchen nicht haſſen/
in ſeiner Außlegung uͤber Pſ. 138. Dann/ wer mit ſeinem Bruder
zuͤrnet/
ſagt Chriſtus/ der ſey nicht weniger/ als ein wuͤrcklicher Todſchlaͤger
und Moͤrder/ deß Gerichtes ſchuldig. Da er dann durch das Gericht/
nicht nur das Juͤdiſche/ Menſchliche/ ſondern vielmehr das Goͤttliche/ das
Juͤngſte Gericht/ und die ewige Verdammnuͤß verſtehet/ dahin auch das
Griechiſche Woͤrtlein ἔνοχος gehet/ welches nicht allein ſo ſchlecht dahin
ſchuldig/ ſondern einen ſolchen Menſchen bedeutet/ der gefangen und ge-
bunden vorgefuͤhret/ verklaget/ verurtheilet und verdammt wird. Bezeuget
alſo Chriſtus der HErꝛ wider der Phariſeer Meinung/ daß nicht nur der aͤuſ-
ſerliche Todſchlag/ ſondern auch der Zorn im Hertzen verbotten ſey/ und daß
darauf nicht nur das Weltliche Gericht/ ſondern gar die ewige Verdammnuͤß
erfolge.

Lehr.Lehr.
Vor dem
Zorn ſich
zu huͤten/
weil er

HJer haben wir nun wieder von einem andern Laſter zu reden/ das ei-
gentlich auf den Naͤchſten ſihet und gehet/ das heiſſt Iracundia, der
Zorn/ daß ein jeder Chriſt ſich davor huͤten ſolle/ daß er nicht mit ſeinem
Bruder oder neben-Menſchen zuͤrne/ und das ſoll geſchehen vornemlich
um nachfolgender 5. Urſachen willen.

I.
Verbotten.

I. Soll ein Chriſt nicht wider ſeinen Naͤchſten zuͤrnen/ weil der Zorn
von GOtt dem HErꝛn ſelbſten ernſtlich verbotten iſt. Es iſt nicht nur ein

Tradi-
J i i i i 3
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[805/0875] vom Zorn. Chriſtus/ es ſoll keiner mit ſeinem Bruder zuͤrnen/ und das (wie im Griechi- ſchen Original-Text ſtehet/) εἰϰῇ, freventlich/ vergeblich/ umſonſt/ ohne rechtmaͤſſige Urſach/ weil aber dieſes Woͤrtlein nicht in allen Griechiſchen Ex- emplarien gefunden wird/ iſt es auch im Teutſchen außgelaſſen/ und gehet die Meinung deß HErꝛn Chriſti dahin/ daß wann gleich eine rechtmaͤſſige Ur- ſach vorhanden waͤre/ ſoll man doch nicht mit dem Naͤchſten/ ſondern mit dem Laſter zuͤrnen/ darmit der Naͤchſte behafftet iſt. Mit dem Laſter ſoll man zuͤrnen/ aber den Naͤchſten ſoll man lieben/ wie Moſes uͤber dem Abgoͤtti- ſchen Kaͤlber-Tantz der Jſraeliten mit Zorn ergrimmete/ daß er auch die ſtei- nerne Tafeln wider den Boden zu Stuͤcken zerworffen/ aber fuͤr die Jſraeliten bat er den HErꝛn/ und ſagte: Ach HErꝛ! vergib ihnen ihre Suͤnde/ wo nicht/ ſo tilge mich auch auß dem Buch/ das du geſchrieben haſt/ 2. Moſ. 32. Darum/ wie ein Vatter uͤber den Ungehorſam ſeines Kindes zornig wird/ und das Kind darum ſtraffet/ aber gleichwol das Kind liebet. Und wie ei- ner/ der etwas uͤberſehen/ wider ſich ſelbſten zornig wird/ aber dannoch ſich ſelbſten liebet. Alſo ſoll einer ſeinem Naͤchſten gleichwol allezeit lieben/ ob er ſchon wegen deß Laſters/ darmit er behafftet iſt/ Urſach zu zuͤrnen hat. Der H. Auguſtinus ſagt gar fein alſo: Man ſoll die Laſter/ nicht um der Men- ſchen willen lieben/ und ſoll um der Laſter willen den Menſchen nicht haſſen/ in ſeiner Außlegung uͤber Pſ. 138. Dann/ wer mit ſeinem Bruder zuͤrnet/ ſagt Chriſtus/ der ſey nicht weniger/ als ein wuͤrcklicher Todſchlaͤger und Moͤrder/ deß Gerichtes ſchuldig. Da er dann durch das Gericht/ nicht nur das Juͤdiſche/ Menſchliche/ ſondern vielmehr das Goͤttliche/ das Juͤngſte Gericht/ und die ewige Verdammnuͤß verſtehet/ dahin auch das Griechiſche Woͤrtlein ἔνοχος gehet/ welches nicht allein ſo ſchlecht dahin ſchuldig/ ſondern einen ſolchen Menſchen bedeutet/ der gefangen und ge- bunden vorgefuͤhret/ verklaget/ verurtheilet und verdammt wird. Bezeuget alſo Chriſtus der HErꝛ wider der Phariſeer Meinung/ daß nicht nur der aͤuſ- ſerliche Todſchlag/ ſondern auch der Zorn im Hertzen verbotten ſey/ und daß darauf nicht nur das Weltliche Gericht/ ſondern gar die ewige Verdammnuͤß erfolge. εἰϰῇ temerè, mit dem Bruder/ Auguſt. in enarr. Pſ. 138. Tom. 8. col. 1062. B. denn der ſey deß Ge- richts ſchul- dig. Lehr. HJer haben wir nun wieder von einem andern Laſter zu reden/ das ei- gentlich auf den Naͤchſten ſihet und gehet/ das heiſſt Iracundia, der Zorn/ daß ein jeder Chriſt ſich davor huͤten ſolle/ daß er nicht mit ſeinem Bruder oder neben-Menſchen zuͤrne/ und das ſoll geſchehen vornemlich um nachfolgender 5. Urſachen willen. I. Soll ein Chriſt nicht wider ſeinen Naͤchſten zuͤrnen/ weil der Zorn von GOtt dem HErꝛn ſelbſten ernſtlich verbotten iſt. Es iſt nicht nur ein Tradi- J i i i i 3

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Zitationshilfe: Bauller, Johann Jacob: Hell-Polirter Laster-Spiegel. Ulm, 1681. , S. 805. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauller_lasterspiegel_1681/875>, abgerufen am 22.11.2024.