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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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aus die Herrlichkeit der Welt zeigt. Wollte ein Dichter die Verhältnisse, pba_094.002
Zustände und Entwickelungen, die Reflexionen und ethischen Bewegungen, pba_094.003
welche hier in einen einzigen, schnell sich entscheidenden pba_094.004
und leicht zu erfassenden Vorgang zusammengefaßt sind, mit den gewöhnlichen pba_094.005
Mitteln poetischer Nachahmung darstellen, statt durch das pba_094.006
Mittel der Allegorie, so würde dazu jedesmal ein eigenes, in pba_094.007
größerem Maßstabe und auf breiter Grundlage komponiertes Werk pba_094.008
erforderlich sein. Denn hier ist nun in der That Allegorie vorhanden; pba_094.009
die Aehnlichkeit waltet hier nicht ob zwischen dem Darstellungsmittel pba_094.010
und dem Dargestellten (wie fälschlich wohl oft angenommen pba_094.011
wird), nicht also zwischen dem abstrakten Allgemeinen und dem pba_094.012
konkreten Einzelnen -- was ein Unding wäre --, sondern zwischen pba_094.013
zwei gesonderten konkreten Einzelnen,
welche jedoch darin pba_094.014
einander ähnlich sind, daß sie beide die Kraft besitzen jenes eine pba_094.015
abstrakte Allgemeine
zu vertreten; zwischen diesen beiden aber ist pba_094.016
die Aehnlichkeit selbstverständlich möglich. Jedoch wird der Künstler sich pba_094.017
des allegorischen Darstellungsmittels nur dann bedienen, wenn die pba_094.018
reale, poetische Darstellungsweise unmöglich ist, oder doch an Kürze, pba_094.019
Faßlichkeit und daher auch an Wirkungskraft von jener weit überboten pba_094.020
wird; dann aber ist es ein dem Künstler ganz unentbehrliches Verfahren, pba_094.021
das Geistige, was ihn erfüllt, nicht vermittelst desjenigen Konkreten pba_094.022
nachahmend darzustellen, an welches es ursprünglich geknüpft ist, sondern pba_094.023
durch ein anderes, ähnliches Konkretes, welchem die Fähigkeit beiwohnt pba_094.024
oder erteilt werden kann, auf jenes Urbild hinzudeuten. pba_094.025
Hierin liegt schon mit völliger Deutlichkeit die Bestimmung der Grenzen, pba_094.026
innerhalb deren allein die Allegorie ihren künstlerischen Charakter bewahrt. pba_094.027
Der allegorische Gegenstand oder Vorgang muß, entweder schon pba_094.028
durch sich selbst oder doch durch die Belebung und ethische Beseelung, pba_094.029
deren ihn der Dichter fähig zu machen weiß, imstande sein, auch ganz pba_094.030
ohne die Vergleichung mit seinem realen Gegenbilde, an und für sich pba_094.031
das Ethos zu erzeugen, dessen Nachahmung der Zweck des Gedichtes ist. pba_094.032
Dann ist die Allegorie schön; denn sie erfüllt die Aufgabe der Kunst pba_094.033
schon durch sich selbst, und, indem sie durch die ihr innewohnende Aehnlichkeit pba_094.034
nun obendrein noch die Vorstellung des weit ausgedehnteren pba_094.035
und vielumfassenden realen Urbildes erweckt, wird sie jener Aufgabe pba_094.036
noch in einem ungleich höheren Grade gerecht. Aber jene erste Wirkung pba_094.037
wird gänzlich aufgehoben und damit auch die Möglichkeit der zweiten pba_094.038
von vornherein vernichtet, sobald die Allegorie den ethischen Gehalt pba_094.039
nicht selbständig oder doch nur unvollständig besitzt, sondern ihn erst pba_094.040
durch den äußeren Hinweis auf die Realität, für welche sie eintritt, er-

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aus die Herrlichkeit der Welt zeigt. Wollte ein Dichter die Verhältnisse, pba_094.002
Zustände und Entwickelungen, die Reflexionen und ethischen Bewegungen, pba_094.003
welche hier in einen einzigen, schnell sich entscheidenden pba_094.004
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Mitteln poetischer Nachahmung darstellen, statt durch das pba_094.006
Mittel der Allegorie, so würde dazu jedesmal ein eigenes, in pba_094.007
größerem Maßstabe und auf breiter Grundlage komponiertes Werk pba_094.008
erforderlich sein. Denn hier ist nun in der That Allegorie vorhanden; pba_094.009
die Aehnlichkeit waltet hier nicht ob zwischen dem Darstellungsmittel pba_094.010
und dem Dargestellten (wie fälschlich wohl oft angenommen pba_094.011
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zwei gesonderten konkreten Einzelnen,
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die Aehnlichkeit selbstverständlich möglich. Jedoch wird der Künstler sich pba_094.017
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nachahmend darzustellen, an welches es ursprünglich geknüpft ist, sondern pba_094.023
durch ein anderes, ähnliches Konkretes, welchem die Fähigkeit beiwohnt pba_094.024
oder erteilt werden kann, auf jenes Urbild hinzudeuten. pba_094.025
Hierin liegt schon mit völliger Deutlichkeit die Bestimmung der Grenzen, pba_094.026
innerhalb deren allein die Allegorie ihren künstlerischen Charakter bewahrt. pba_094.027
Der allegorische Gegenstand oder Vorgang muß, entweder schon pba_094.028
durch sich selbst oder doch durch die Belebung und ethische Beseelung, pba_094.029
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schon durch sich selbst, und, indem sie durch die ihr innewohnende Aehnlichkeit pba_094.034
nun obendrein noch die Vorstellung des weit ausgedehnteren pba_094.035
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wird gänzlich aufgehoben und damit auch die Möglichkeit der zweiten pba_094.038
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/112>, abgerufen am 23.11.2024.