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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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die er ihnen dabei unterlegt, macht der Dichter daraus eine unübertreffliche pba_176.002
Satire auf jede Art der kleinlichen Jnteressiertheit und des pba_176.003
engherzigen Partikularismus: "Zu was, schrieen sie, "taugt denn nun pba_176.004
das große Gebäude? Kommt, verlaßt den unbrauchbaren Steinhaufen!"

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So erweckt ihm der Dornstrauch die Vorstellung neidischer Böswilligkeit, pba_176.006
aber dieser Gedanke wird zu einer kleinen allegorischen Erzählung pba_176.007
verarbeitet, in welcher die beiden Attribute auf das Kunstreichste pba_176.008
in Handlung und Gesinnung umgesetzt sind, um so die würdigen Gegenstände pba_176.009
poetischer Nachahmung zu werden. "Aber sage mir doch, fragte pba_176.010
die Weide den Dornstrauch, warum du nach den Kleidern des vorbeigehenden pba_176.011
Menschen so begierig bist? Was willst du damit? Was können pba_176.012
sie dir helfen? Nichts! sagte der Dornstrauch. Jch will sie ihm auch pba_176.013
nicht nehmen; ich will sie ihm nur zerreißen."

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Einem Einwande wäre hier freilich noch zu begegnen. Lessing hat pba_176.015
es ja selbst zugegeben, daß die zusammengesetzte Fabel eine Allegorie pba_176.016
des wirklichen Vorfalles wäre, auf den sie angewendet würde. Nun kann pba_176.017
aber jede Fabel durch Hinzufügung eines wirklichen analogen Falles zur pba_176.018
zusammengesetzten werden; es wäre also eine jede Fabel an sich zwar pba_176.019
keine Allegorie, eine jede aber würde es im Moment ihrer praktischen pba_176.020
Anwendung. Wenn man nicht die Begriffe in ihrer Eigentümlichkeit sich pba_176.021
aufheben lassen will, so kann das doch nur heißen: die echte Fabel ist pba_176.022
wie jede andere epische Erzählung der gelegentlichen Anwendung pba_176.023
auf analoge wirkliche Fälle fähig, aber der begriffliche Unterschied zwischen pba_176.024
ihr und der Allegorie ist der, daß die letztere eigens und nur zu pba_176.025
diesem Zwecke erfunden ist; und zwar wird dieselbe einer um so häufigeren pba_176.026
Anwendung fähig sein, je allgemeiner die Subjekte und Prädikate des pba_176.027
Verhältnisses sind, für welches ihr Erfinder sie eintreten läßt. Daher pba_176.028
kommt es, daß sie mit besonderem Glücke sich der Typen aus dem Tierreiche pba_176.029
bedienen wird und daß ihr charakteristische Erscheinungen aus der pba_176.030
unbelebten Körperwelt unter Umständen ebenso brauchbar sind, weil sie pba_176.031
mit den Beziehungen, die ihnen eigen sind, leicht für allgemeine Begriffe pba_176.032
und deren Verhältnisse gesetzt werden können.

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Jn manchen Stücken, in denen Lessing die Konstituierung einer pba_176.034
wirklichen Handlung weniger gelungen ist, tritt diese vorzügliche Eignung pba_176.035
der Tiere für den allegorischen Gebrauch dennoch so sehr hervor, daß pba_176.036
man, dadurch getäuscht, leicht sich verleiten läßt, sie für wirkliche Fabeln pba_176.037
zu nehmen. So in dem zwölften Stücke des dritten Buches: "Der pba_176.038
Strauß
" (III, 12). "Das pfeilschnelle Renntier sah den Strauß und pba_176.039
sprach: Das Laufen des Straußes ist so außerordentlich eben nicht; aber pba_176.040
ohne Zweifel fliegt er desto besser. Ein andermal sah der Adler den

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die er ihnen dabei unterlegt, macht der Dichter daraus eine unübertreffliche pba_176.002
Satire auf jede Art der kleinlichen Jnteressiertheit und des pba_176.003
engherzigen Partikularismus: „Zu was, schrieen sie, „taugt denn nun pba_176.004
das große Gebäude? Kommt, verlaßt den unbrauchbaren Steinhaufen!“

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So erweckt ihm der Dornstrauch die Vorstellung neidischer Böswilligkeit, pba_176.006
aber dieser Gedanke wird zu einer kleinen allegorischen Erzählung pba_176.007
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poetischer Nachahmung zu werden. „Aber sage mir doch, fragte pba_176.010
die Weide den Dornstrauch, warum du nach den Kleidern des vorbeigehenden pba_176.011
Menschen so begierig bist? Was willst du damit? Was können pba_176.012
sie dir helfen? Nichts! sagte der Dornstrauch. Jch will sie ihm auch pba_176.013
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Einem Einwande wäre hier freilich noch zu begegnen. Lessing hat pba_176.015
es ja selbst zugegeben, daß die zusammengesetzte Fabel eine Allegorie pba_176.016
des wirklichen Vorfalles wäre, auf den sie angewendet würde. Nun kann pba_176.017
aber jede Fabel durch Hinzufügung eines wirklichen analogen Falles zur pba_176.018
zusammengesetzten werden; es wäre also eine jede Fabel an sich zwar pba_176.019
keine Allegorie, eine jede aber würde es im Moment ihrer praktischen pba_176.020
Anwendung. Wenn man nicht die Begriffe in ihrer Eigentümlichkeit sich pba_176.021
aufheben lassen will, so kann das doch nur heißen: die echte Fabel ist pba_176.022
wie jede andere epische Erzählung der gelegentlichen Anwendung pba_176.023
auf analoge wirkliche Fälle fähig, aber der begriffliche Unterschied zwischen pba_176.024
ihr und der Allegorie ist der, daß die letztere eigens und nur zu pba_176.025
diesem Zwecke erfunden ist; und zwar wird dieselbe einer um so häufigeren pba_176.026
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und deren Verhältnisse gesetzt werden können.

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Jn manchen Stücken, in denen Lessing die Konstituierung einer pba_176.034
wirklichen Handlung weniger gelungen ist, tritt diese vorzügliche Eignung pba_176.035
der Tiere für den allegorischen Gebrauch dennoch so sehr hervor, daß pba_176.036
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/194>, abgerufen am 21.11.2024.