pba_179.001 mit den drei sich durchkreuzenden Wegen auf drei Konfessionen, mit dem pba_179.002 ersten Teil seiner Fabel auf den heiligen Eifer gegen die Vermischung pba_179.003 der verschiedenen Konfessionen in der Ehe, mit dem zweiten auf das pba_179.004 Eintreten einer friedestiftenden Toleranz in ihrem Streite gedeutet haben? pba_179.005 Wenigstens läge eine so vertiefte Auffassung nicht allein ganz in dem pba_179.006 spezifisch Lessingschen Gedankenkreise, sondern sie geht aus der Form, die pba_179.007 er seinem Stoff gegeben, zwanglos hervor. Der heilige Charakter des pba_179.008 Handelnden und des Schauplatzes seiner doppelten Handlung verweist pba_179.009 auf das religiöse Gebiet: was soll und kann denn der so absichtsvoll pba_179.010 betonte Umstand, daß die verliebten und die kämpfenden Schlangen pba_179.011 auf jenem dreifachen Kreuzwege sich begegnen, anders bedeuten, als daß pba_179.012 sie eben von verschiedenen Seiten des heiligen Haines, also des Religionsgebietes,pba_179.013 herkommend am Kreuzungspunkte ihrer Wege sowohl pba_179.014 zur Liebesvereinigung als zur Befehdung sich zusammenfinden? Und pba_179.015 wahrlich auf kein geringeres Ziel durfte Lessing die Symbolisierung seines pba_179.016 Mythus hinausführen: der spezifischen Manneskraft gesellt sich die spezifische pba_179.017 Weibesart, dem Feuereifer rascher Sühne vermeinter Gottesverletzung pba_179.018 die "ewig-weibliche", thätig versöhnende Kraft der Liebe; ihre pba_179.019 Vereinigung ist Toleranz, als das Kennzeichen der Gesinnung und des pba_179.020 Handelns des echten Gottesmannes, des wahren Sehers!
pba_179.021 Und noch ein Umstand tritt in diesem kleinen Kunstwerk hervor, pba_179.022 welches die Vorzüge Lessingscher Darstellung, Fülle tiefer Gedanken und pba_179.023 knappste Kürze, so schön in sich verbindet. Das Wunder der Verwandlung pba_179.024 ist im Grunde der Ausdruck einer einfachen und natürlichen psychologischen pba_179.025 Thatsache: in tiefen und reich ausgestatteten Gemütern ist gerade pba_179.026 die Ausübung einer That, die ein irre geleitetes Erkennen im Widersteit pba_179.027 gegen die Natur befiehlt, oft der Anlaß einer plötzlichen und entscheidenden pba_179.028 Umwandlung der Gesinnung zur ursprünglichen Weichheit und Kraft pba_179.029 reinen, menschlichen Empfindens.
pba_179.030
XII.
pba_179.031 Sehr treffend bemerkt Jakob Grimm, daß die Tierfabel schon von pba_179.032 ihrem eigentlichen Charakter abwich, sobald sie, was sehr frühe geschah, pba_179.033 unter dem Gesichtspunkte der Lehre angesehen und "bei wirklichen Vorfällen pba_179.034 als Gegenstück erzählt wurde, um aus ihr in schwieriger Lage des pba_179.035 menschlichen Lebens eine triftige Nutzanwendung zu schöpfen". Bei der pba_179.036 Erzählungsweise, die ihr dann eigen wird, urteilt er, "ist der Erfolg pba_179.037 der Fabel dem des Sprichworts oder der Parabel vergleichbar, wie
pba_179.001 mit den drei sich durchkreuzenden Wegen auf drei Konfessionen, mit dem pba_179.002 ersten Teil seiner Fabel auf den heiligen Eifer gegen die Vermischung pba_179.003 der verschiedenen Konfessionen in der Ehe, mit dem zweiten auf das pba_179.004 Eintreten einer friedestiftenden Toleranz in ihrem Streite gedeutet haben? pba_179.005 Wenigstens läge eine so vertiefte Auffassung nicht allein ganz in dem pba_179.006 spezifisch Lessingschen Gedankenkreise, sondern sie geht aus der Form, die pba_179.007 er seinem Stoff gegeben, zwanglos hervor. Der heilige Charakter des pba_179.008 Handelnden und des Schauplatzes seiner doppelten Handlung verweist pba_179.009 auf das religiöse Gebiet: was soll und kann denn der so absichtsvoll pba_179.010 betonte Umstand, daß die verliebten und die kämpfenden Schlangen pba_179.011 auf jenem dreifachen Kreuzwege sich begegnen, anders bedeuten, als daß pba_179.012 sie eben von verschiedenen Seiten des heiligen Haines, also des Religionsgebietes,pba_179.013 herkommend am Kreuzungspunkte ihrer Wege sowohl pba_179.014 zur Liebesvereinigung als zur Befehdung sich zusammenfinden? Und pba_179.015 wahrlich auf kein geringeres Ziel durfte Lessing die Symbolisierung seines pba_179.016 Mythus hinausführen: der spezifischen Manneskraft gesellt sich die spezifische pba_179.017 Weibesart, dem Feuereifer rascher Sühne vermeinter Gottesverletzung pba_179.018 die „ewig-weibliche“, thätig versöhnende Kraft der Liebe; ihre pba_179.019 Vereinigung ist Toleranz, als das Kennzeichen der Gesinnung und des pba_179.020 Handelns des echten Gottesmannes, des wahren Sehers!
pba_179.021 Und noch ein Umstand tritt in diesem kleinen Kunstwerk hervor, pba_179.022 welches die Vorzüge Lessingscher Darstellung, Fülle tiefer Gedanken und pba_179.023 knappste Kürze, so schön in sich verbindet. Das Wunder der Verwandlung pba_179.024 ist im Grunde der Ausdruck einer einfachen und natürlichen psychologischen pba_179.025 Thatsache: in tiefen und reich ausgestatteten Gemütern ist gerade pba_179.026 die Ausübung einer That, die ein irre geleitetes Erkennen im Widersteit pba_179.027 gegen die Natur befiehlt, oft der Anlaß einer plötzlichen und entscheidenden pba_179.028 Umwandlung der Gesinnung zur ursprünglichen Weichheit und Kraft pba_179.029 reinen, menschlichen Empfindens.
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XII.
pba_179.031 Sehr treffend bemerkt Jakob Grimm, daß die Tierfabel schon von pba_179.032 ihrem eigentlichen Charakter abwich, sobald sie, was sehr frühe geschah, pba_179.033 unter dem Gesichtspunkte der Lehre angesehen und „bei wirklichen Vorfällen pba_179.034 als Gegenstück erzählt wurde, um aus ihr in schwieriger Lage des pba_179.035 menschlichen Lebens eine triftige Nutzanwendung zu schöpfen“. Bei der pba_179.036 Erzählungsweise, die ihr dann eigen wird, urteilt er, „ist der Erfolg pba_179.037 der Fabel dem des Sprichworts oder der Parabel vergleichbar, wie
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ersten Teil seiner Fabel auf den heiligen Eifer gegen die Vermischung pba_179.003
der verschiedenen Konfessionen in der Ehe, mit dem zweiten auf das pba_179.004
Eintreten einer friedestiftenden Toleranz in ihrem Streite gedeutet haben? pba_179.005
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Sehr treffend bemerkt Jakob Grimm, daß die Tierfabel schon von pba_179.032
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/197>, abgerufen am 21.11.2024.
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