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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Jnsofern wird Lessing recht behalten, als offenbar der Begriff der pba_181.002
Parabel (parabole) in seiner eigentlichen und weitesten Bedeutung, pba_181.003
d. i. einer ausgeführten Gleichnisrede -- die also im Unterschiede pba_181.004
von der Metapher ein selbständiges Ganze für sich zu bilden pba_181.005
fähig ist -- auch die Darstellung eines bloß als möglich gedachten Falles pba_181.006
einschließt: [Annotation]

aber die Erzählung desselben als eines wirklichen Falles ist pba_181.007
diesem ihrem Begriff so wenig fremd, daß sie vielmehr ein notwendiges pba_181.008
Erfordernis ihrer Form wird, sobald dieselbe von ihrer Umgebung sich pba_181.009
loslöst und als selbständiges Ganzes auftritt, sobald sie also zu einer pba_181.010
selbständigen epischen Dichtungsart wird. Als solche allein aber kann pba_181.011
sie mit der Fabel in Parallele gestellt werden, nicht als inhärierender pba_181.012
Teil einer rhetorischen oder lehrenden Darstellung.

pba_181.013
Die unterscheidende Eigentümlichkeit der parabolischen pba_181.014
Erzählung ergibt sich von selbst aus dem Wesen der Vergleichung.
pba_181.015
Alle echt epische Dichtung stellt ihren Gegenstand, die pba_181.016
Handlung, um ihrer selbst willen dar: wenn aus ihrer Wirkung auf pba_181.017
die empfindende Wahrnehmung, die Aisthesis, sich Urteile des Erkenntnisvermögens pba_181.018
ableiten lassen, so ist dies eine aus der Natur des epischen pba_181.019
Stoffes von selbst hervorgehende Wirkung der demselben innewohnenden pba_181.020
Kraft. Alle aus jeder Art epischer Poesie gezogene Nutzanwendung oder pba_181.021
Lehre ist ihr nur per accidens eigen (nach der Aristotelischen Terminologie pba_181.022
ein sumbebekos kath' auto, ein an derselben seiner Natur pba_181.023
nach Stattfindendes); niemals aber bildet der Gedankeninhalt das prius, pba_181.024
das Vorausgehende, sondern immer der Stoff der Handlung; das die pba_181.025
Erfindung bewirkende Vermögen erhält den bewegenden Anlaß von der pba_181.026
sinnlichen Anschauung, nicht vom Jntellekt.

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Der entgegengesetzte Fall ist der der Parabel. Während jede pba_181.028
epische Handlung, und so auch die der Fabel, zunächst ihren Bestand für

pba_181.029
gleichgültig, ob das Tier ein Fuchs oder ein Wolf, ob der Baum ein pba_181.030
Apfelbaum oder ein Birnbaum oder eine Eiche ist
(!!); bei der Parabel pba_181.031
besteht eine bestimmte Wirklichkeit
(!!): die Wirklichkeit menschlicher Verhältnisse, pba_181.032
weshalb sie eine höhere Stufe nach Form und Lehre einnimmt als die Fabel pba_181.033
u. s. w. u. s. w. Von der Allegorie (einer Reihe symbolischer Bezeichnungen pba_181.034
[!]) unterscheidet sich die Parabel dadurch, daß jene nur einen Zustand durch pba_181.035
Bilder in ein klares Licht setzen will, diese aber eine höhere Wahrheit im Bilde pba_181.036
anschaulich macht. Während man daher bei der Allegorie schließlich nur pba_181.037
eine Beschreibung erhält, hat man bei der Parabel eine Belehrung
(!!)." pba_181.038
Als Erklärung der Konfusion dieser fast durchweg wörtlich aus Wackernagels "Poetik, pba_181.039
Rhetorik und Stilistik" entnommenen Sätze diene der Umstand, daß die Entlehnung pba_181.040
bruchstückweise, ganz willkürlich und ohne Rücksicht auf den Zusammenhang geschehen ist.

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Jnsofern wird Lessing recht behalten, als offenbar der Begriff der pba_181.002
Parabel (παραβολή) in seiner eigentlichen und weitesten Bedeutung, pba_181.003
d. i. einer ausgeführten Gleichnisrede — die also im Unterschiede pba_181.004
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einschließt: [Annotation]

aber die Erzählung desselben als eines wirklichen Falles ist pba_181.007
diesem ihrem Begriff so wenig fremd, daß sie vielmehr ein notwendiges pba_181.008
Erfordernis ihrer Form wird, sobald dieselbe von ihrer Umgebung sich pba_181.009
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selbständigen epischen Dichtungsart wird. Als solche allein aber kann pba_181.011
sie mit der Fabel in Parallele gestellt werden, nicht als inhärierender pba_181.012
Teil einer rhetorischen oder lehrenden Darstellung.

pba_181.013
Die unterscheidende Eigentümlichkeit der parabolischen pba_181.014
Erzählung ergibt sich von selbst aus dem Wesen der Vergleichung.
pba_181.015
Alle echt epische Dichtung stellt ihren Gegenstand, die pba_181.016
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die empfindende Wahrnehmung, die Aisthesis, sich Urteile des Erkenntnisvermögens pba_181.018
ableiten lassen, so ist dies eine aus der Natur des epischen pba_181.019
Stoffes von selbst hervorgehende Wirkung der demselben innewohnenden pba_181.020
Kraft. Alle aus jeder Art epischer Poesie gezogene Nutzanwendung oder pba_181.021
Lehre ist ihr nur per accidens eigen (nach der Aristotelischen Terminologie pba_181.022
ein συμβεβηκὸς καθ' αὑτό, ein an derselben seiner Natur pba_181.023
nach Stattfindendes); niemals aber bildet der Gedankeninhalt das prius, pba_181.024
das Vorausgehende, sondern immer der Stoff der Handlung; das die pba_181.025
Erfindung bewirkende Vermögen erhält den bewegenden Anlaß von der pba_181.026
sinnlichen Anschauung, nicht vom Jntellekt.

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Der entgegengesetzte Fall ist der der Parabel. Während jede pba_181.028
epische Handlung, und so auch die der Fabel, zunächst ihren Bestand für

pba_181.029
gleichgültig, ob das Tier ein Fuchs oder ein Wolf, ob der Baum ein pba_181.030
Apfelbaum oder ein Birnbaum oder eine Eiche ist
(!!); bei der Parabel pba_181.031
besteht eine bestimmte Wirklichkeit
(!!): die Wirklichkeit menschlicher Verhältnisse, pba_181.032
weshalb sie eine höhere Stufe nach Form und Lehre einnimmt als die Fabel pba_181.033
u. s. w. u. s. w. Von der Allegorie (einer Reihe symbolischer Bezeichnungen pba_181.034
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anschaulich macht. Während man daher bei der Allegorie schließlich nur pba_181.037
eine Beschreibung erhält, hat man bei der Parabel eine Belehrung
(!!).“ pba_181.038
Als Erklärung der Konfusion dieser fast durchweg wörtlich aus Wackernagels „Poetik, pba_181.039
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[181/0199] pba_181.001 Jnsofern wird Lessing recht behalten, als offenbar der Begriff der pba_181.002 Parabel (παραβολή) in seiner eigentlichen und weitesten Bedeutung, pba_181.003 d. i. einer ausgeführten Gleichnisrede — die also im Unterschiede pba_181.004 von der Metapher ein selbständiges Ganze für sich zu bilden pba_181.005 fähig ist — auch die Darstellung eines bloß als möglich gedachten Falles pba_181.006 einschließt: 181.001ff. implizites Werk: Lessings Abhandlung über die Fabel (vgl. Fn. 2 auf S. 162) Gotthold Ephraim Lessing: Abhandlungen (über die Fabel) https://textgridrep.org/browse/-/browse/rjf5_0 aber die Erzählung desselben als eines wirklichen Falles ist pba_181.007 diesem ihrem Begriff so wenig fremd, daß sie vielmehr ein notwendiges pba_181.008 Erfordernis ihrer Form wird, sobald dieselbe von ihrer Umgebung sich pba_181.009 loslöst und als selbständiges Ganzes auftritt, sobald sie also zu einer pba_181.010 selbständigen epischen Dichtungsart wird. Als solche allein aber kann pba_181.011 sie mit der Fabel in Parallele gestellt werden, nicht als inhärierender pba_181.012 Teil einer rhetorischen oder lehrenden Darstellung. pba_181.013 Die unterscheidende Eigentümlichkeit der parabolischen pba_181.014 Erzählung ergibt sich von selbst aus dem Wesen der Vergleichung. pba_181.015 Alle echt epische Dichtung stellt ihren Gegenstand, die pba_181.016 Handlung, um ihrer selbst willen dar: wenn aus ihrer Wirkung auf pba_181.017 die empfindende Wahrnehmung, die Aisthesis, sich Urteile des Erkenntnisvermögens pba_181.018 ableiten lassen, so ist dies eine aus der Natur des epischen pba_181.019 Stoffes von selbst hervorgehende Wirkung der demselben innewohnenden pba_181.020 Kraft. Alle aus jeder Art epischer Poesie gezogene Nutzanwendung oder pba_181.021 Lehre ist ihr nur per accidens eigen (nach der Aristotelischen Terminologie pba_181.022 ein συμβεβηκὸς καθ' αὑτό, ein an derselben seiner Natur pba_181.023 nach Stattfindendes); niemals aber bildet der Gedankeninhalt das prius, pba_181.024 das Vorausgehende, sondern immer der Stoff der Handlung; das die pba_181.025 Erfindung bewirkende Vermögen erhält den bewegenden Anlaß von der pba_181.026 sinnlichen Anschauung, nicht vom Jntellekt. pba_181.027 Der entgegengesetzte Fall ist der der Parabel. Während jede pba_181.028 epische Handlung, und so auch die der Fabel, zunächst ihren Bestand für 2 2 pba_181.029 gleichgültig, ob das Tier ein Fuchs oder ein Wolf, ob der Baum ein pba_181.030 Apfelbaum oder ein Birnbaum oder eine Eiche ist (!!); bei der Parabel pba_181.031 besteht eine bestimmte Wirklichkeit (!!): die Wirklichkeit menschlicher Verhältnisse, pba_181.032 weshalb sie eine höhere Stufe nach Form und Lehre einnimmt als die Fabel pba_181.033 u. s. w. u. s. w. Von der Allegorie (einer Reihe symbolischer Bezeichnungen pba_181.034 [!]) unterscheidet sich die Parabel dadurch, daß jene nur einen Zustand durch pba_181.035 Bilder in ein klares Licht setzen will, diese aber eine höhere Wahrheit im Bilde pba_181.036 anschaulich macht. Während man daher bei der Allegorie schließlich nur pba_181.037 eine Beschreibung erhält, hat man bei der Parabel eine Belehrung (!!).“ pba_181.038 Als Erklärung der Konfusion dieser fast durchweg wörtlich aus Wackernagels „Poetik, pba_181.039 Rhetorik und Stilistik“ entnommenen Sätze diene der Umstand, daß die Entlehnung pba_181.040 bruchstückweise, ganz willkürlich und ohne Rücksicht auf den Zusammenhang geschehen ist.

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/199>, abgerufen am 21.11.2024.