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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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bloßen wohlgelungenen Nachahmung, mag auch das Nachgeahmte an sich pba_008.002
selbst unerfreulich sein; auch hatte Aristoteles gewiß recht in ihr die pba_008.003
zweite natürliche Ursache zu finden (wie es im vierten Kapitel der Poetik geschieht), pba_008.004
welche die primitiven Vorübungen zur Kunstthätigkeit veranlaßte. pba_008.005
Aber diese Freude geht nicht aus dem Jnhalte der Nachahmung hervor, pba_008.006
sondern aus dem bei einer jeden Nachahmung stattfindenden Schluß, pba_008.007
"daß dieses jenes sei", sie kann also auch wohl durch das echte Kunstwerk pba_008.008
erregt werden, aber als eine nebensächliche und ganz untergeordnete; pba_008.009
mit der Freude am Kunstschönen, mit der von jeder einzelnen Kunst pba_008.010
in besonderer Weise erweckten, ihr ganz eigenen, allein durch sie pba_008.011
bezweckten und erzeugten Freude (oikeia edone) hat jene nicht das pba_008.012
Geringste zu schaffen.

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Und doch hat auch Lessing nicht allein den Begriff der Nachahmung pba_008.014
von Aristoteles übernommen, sondern auf dem Grundsteine dieses Begriffes pba_008.015
ruht die ganze Untersuchung seines Laokoon. Nur auf der pba_008.016
Voraussetzung dieses Grundbegriffes hat die ganze von Aristoteles entlehnte pba_008.017
Einteilung und Unterscheidung der Künste nach den Gegenständen pba_008.018
der Nachahmung, nach den Mitteln, mit welchen sie erfolgt pba_008.019
und somit nach der Art und Weise, wie sie einzurichten ist, ihren Sinn pba_008.020
und Bestand. Ein Fehler also, eine Unklarheit in der Auffassung dieses pba_008.021
Fundamentalbegriffes muß notwendig, wenn auch noch so versteckt, in pba_008.022
seinen Konsequenzen sich durch alle Teile der Untersuchung bis in ihre pba_008.023
äußersten Zweige fühlbar machen.

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Nun ist freilich Lessing von der trivialen naturalistischen Fassung pba_008.025
des Begriffes der Nachahmung so weit entfernt gewesen, daß es ihm pba_008.026
nicht einmal in den Sinn kam sich dagegen zu verwahren; auch jene pba_008.027
oberflächliche Erklärung des Begriffes aus dem bloßen Naturtrieb und pba_008.028
der Freude am Wiedererkennen konnte sich mit der ihm eigenen Auffassung pba_008.029
der Kunst und ihrer Bestimmung nimmermehr vertragen; aber pba_008.030
-- wie hat denn nun er dieses Fundamentalprincip der "Nachahmung", pba_008.031
der Aristotelischen Mimesis, definiert? Offenbar erschien ihm eine allgemeine pba_008.032
Definition überflüssig und er ließ es daher zunächst bei dem pba_008.033
herkömmlichen Sprachgebrauch des deutschen Wortes "Nachahmung" sein pba_008.034
Bewenden haben, ohne sich a priori auf die Ermittelung des Objektes pba_008.035
und der Art und Weise dieser Nachahmung einzulassen. Er meinte pba_008.036
wohl, daß beides, also der specifische Jnhalt dieses Terminus für das pba_008.037
Kunstgebiet, erst als das Resultat der Untersuchungen über die pba_008.038
einzelnen Künste
für jede derselben festgestellt werden könnte.

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Es ist klar, daß dieses Verfahren logisch nicht richtig war; denn pba_008.040
wie sollte Sicherheit und Uebereinstimmung in den Einzelunterscheidungen

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bloßen wohlgelungenen Nachahmung, mag auch das Nachgeahmte an sich pba_008.002
selbst unerfreulich sein; auch hatte Aristoteles gewiß recht in ihr die pba_008.003
zweite natürliche Ursache zu finden (wie es im vierten Kapitel der Poetik geschieht), pba_008.004
welche die primitiven Vorübungen zur Kunstthätigkeit veranlaßte. pba_008.005
Aber diese Freude geht nicht aus dem Jnhalte der Nachahmung hervor, pba_008.006
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in besonderer Weise erweckten, ihr ganz eigenen, allein durch sie pba_008.011
bezweckten und erzeugten Freude (οἰκεία ἡδονή) hat jene nicht das pba_008.012
Geringste zu schaffen.

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Und doch hat auch Lessing nicht allein den Begriff der Nachahmung pba_008.014
von Aristoteles übernommen, sondern auf dem Grundsteine dieses Begriffes pba_008.015
ruht die ganze Untersuchung seines Laokoon. Nur auf der pba_008.016
Voraussetzung dieses Grundbegriffes hat die ganze von Aristoteles entlehnte pba_008.017
Einteilung und Unterscheidung der Künste nach den Gegenständen pba_008.018
der Nachahmung, nach den Mitteln, mit welchen sie erfolgt pba_008.019
und somit nach der Art und Weise, wie sie einzurichten ist, ihren Sinn pba_008.020
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Fundamentalbegriffes muß notwendig, wenn auch noch so versteckt, in pba_008.022
seinen Konsequenzen sich durch alle Teile der Untersuchung bis in ihre pba_008.023
äußersten Zweige fühlbar machen.

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Nun ist freilich Lessing von der trivialen naturalistischen Fassung pba_008.025
des Begriffes der Nachahmung so weit entfernt gewesen, daß es ihm pba_008.026
nicht einmal in den Sinn kam sich dagegen zu verwahren; auch jene pba_008.027
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der Kunst und ihrer Bestimmung nimmermehr vertragen; aber pba_008.030
— wie hat denn nun er dieses Fundamentalprincip der „Nachahmung“, pba_008.031
der Aristotelischen Mimesis, definiert? Offenbar erschien ihm eine allgemeine pba_008.032
Definition überflüssig und er ließ es daher zunächst bei dem pba_008.033
herkömmlichen Sprachgebrauch des deutschen Wortes „Nachahmung“ sein pba_008.034
Bewenden haben, ohne sich a priori auf die Ermittelung des Objektes pba_008.035
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wohl, daß beides, also der specifische Jnhalt dieses Terminus für das pba_008.037
Kunstgebiet, erst als das Resultat der Untersuchungen über die pba_008.038
einzelnen Künste
für jede derselben festgestellt werden könnte.

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[8/0026] pba_008.001 bloßen wohlgelungenen Nachahmung, mag auch das Nachgeahmte an sich pba_008.002 selbst unerfreulich sein; auch hatte Aristoteles gewiß recht in ihr die pba_008.003 zweite natürliche Ursache zu finden (wie es im vierten Kapitel der Poetik geschieht), pba_008.004 welche die primitiven Vorübungen zur Kunstthätigkeit veranlaßte. pba_008.005 Aber diese Freude geht nicht aus dem Jnhalte der Nachahmung hervor, pba_008.006 sondern aus dem bei einer jeden Nachahmung stattfindenden Schluß, pba_008.007 „daß dieses jenes sei“, sie kann also auch wohl durch das echte Kunstwerk pba_008.008 erregt werden, aber als eine nebensächliche und ganz untergeordnete; pba_008.009 mit der Freude am Kunstschönen, mit der von jeder einzelnen Kunst pba_008.010 in besonderer Weise erweckten, ihr ganz eigenen, allein durch sie pba_008.011 bezweckten und erzeugten Freude (οἰκεία ἡδονή) hat jene nicht das pba_008.012 Geringste zu schaffen. pba_008.013 Und doch hat auch Lessing nicht allein den Begriff der Nachahmung pba_008.014 von Aristoteles übernommen, sondern auf dem Grundsteine dieses Begriffes pba_008.015 ruht die ganze Untersuchung seines Laokoon. Nur auf der pba_008.016 Voraussetzung dieses Grundbegriffes hat die ganze von Aristoteles entlehnte pba_008.017 Einteilung und Unterscheidung der Künste nach den Gegenständen pba_008.018 der Nachahmung, nach den Mitteln, mit welchen sie erfolgt pba_008.019 und somit nach der Art und Weise, wie sie einzurichten ist, ihren Sinn pba_008.020 und Bestand. Ein Fehler also, eine Unklarheit in der Auffassung dieses pba_008.021 Fundamentalbegriffes muß notwendig, wenn auch noch so versteckt, in pba_008.022 seinen Konsequenzen sich durch alle Teile der Untersuchung bis in ihre pba_008.023 äußersten Zweige fühlbar machen. pba_008.024 Nun ist freilich Lessing von der trivialen naturalistischen Fassung pba_008.025 des Begriffes der Nachahmung so weit entfernt gewesen, daß es ihm pba_008.026 nicht einmal in den Sinn kam sich dagegen zu verwahren; auch jene pba_008.027 oberflächliche Erklärung des Begriffes aus dem bloßen Naturtrieb und pba_008.028 der Freude am Wiedererkennen konnte sich mit der ihm eigenen Auffassung pba_008.029 der Kunst und ihrer Bestimmung nimmermehr vertragen; aber pba_008.030 — wie hat denn nun er dieses Fundamentalprincip der „Nachahmung“, pba_008.031 der Aristotelischen Mimesis, definiert? Offenbar erschien ihm eine allgemeine pba_008.032 Definition überflüssig und er ließ es daher zunächst bei dem pba_008.033 herkömmlichen Sprachgebrauch des deutschen Wortes „Nachahmung“ sein pba_008.034 Bewenden haben, ohne sich a priori auf die Ermittelung des Objektes pba_008.035 und der Art und Weise dieser Nachahmung einzulassen. Er meinte pba_008.036 wohl, daß beides, also der specifische Jnhalt dieses Terminus für das pba_008.037 Kunstgebiet, erst als das Resultat der Untersuchungen über die pba_008.038 einzelnen Künste für jede derselben festgestellt werden könnte. pba_008.039 Es ist klar, daß dieses Verfahren logisch nicht richtig war; denn pba_008.040 wie sollte Sicherheit und Uebereinstimmung in den Einzelunterscheidungen

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/26>, abgerufen am 03.12.2024.