pba_290.001 lichen Boden steht auch jene; Tapferkeit und Treue, Edelmut und reine pba_290.002 Sitte werden auch dort als die höchsten Tugenden erkannt und in pba_290.003 Handlungen bewährt: alles dieses, das spezifisch ritterlich-romantische pba_290.004 Ethos in seinem reinsten Glanze, hat ebenso Wolfram seinem Gawain pba_290.005 verliehen und in einem weit ausgedehnten Teil seiner Dichtung zu pba_290.006 breitester Darstellung gelangen lassen. Aber diese Darstellung dient ihm pba_290.007 nur als Folie für seinen Helden, oder als stolzer Unterbau für die pba_290.008 noch herrlichere Erscheinung des Bildes, das ihn krönen soll. Für pba_290.009 diese höchste Vorstellung fehlen ihm nun jedoch die realen Darstellungsmittel pba_290.010 und er greift zu dem Symbol, das der ahnende Geist der Sage pba_290.011 ihm bietet. Faßt man, ohne sich in die problematische Deutung des pba_290.012 Einzelnen einzulassen, nur die großen, spezifisch unterscheidenden Züge pba_290.013 ins Auge, so ergibt sich das Folgende: an die Stelle der bloßen Kirchlichkeitpba_290.014 tritt eine den ganzen Menschen durchdringende, ethische Vertiefung pba_290.015 des religiösen Bewußtseins -- wodurch der Parzival pba_290.016 allerdings eine innere Verwandtschaft mit dem Hauptmoment allerpba_290.017 religiösen Erneuerung, also auch der Reformation, erhält. Dadurch bedingt pba_290.018 tritt zu jenem Jnbegriff der ritterlichen Tugend eine neue Forderung pba_290.019 hinzu: die Aufgebung der eigenen Persönlichkeit zu pba_290.020 Gunsten der Allgemeinheit, die Hingabe an die Heilung des pba_290.021 menschlichen Leidens nicht zum eigenen Ruhme, sondern um jenes Leidens pba_290.022 selbst willen; -- in der Frage an Amfortas, an der alles hängt pba_290.023 und die, da sie gethan wird, durch ein Wunder die Heilung bewirkt, pba_290.024 liegt höchst treffend ausgedrückt, daß diese gesammelte, höchste Kraft, pba_290.025 sobald sie das Ziel ihrer Bethätigung richtig erkennt und ergreift, des pba_290.026 Erfolges gewiß ist. Durch die Verbindung der höchsten Kraft mit dem pba_290.027 regsten, tiefinnerlichen, religiösen Bewußtsein tritt an die Stelle der pba_290.028 aristokratisch-exklusiven Organisation der ritterlichen Gesellschaft,pba_290.029 die in allem Glanz ihrer Thaten doch immer nur sich selbst pba_290.030 Zweck ist, ein Königtum, welches die Quelle des inneren Heiles und pba_290.031 der äußeren Wohlfahrt für alle Länder, für die ganze Welt ist,pba_290.032 gleichsam ein ideales Kaisertum der ganzen Menschheit, dessen Hoheit pba_290.033 alles sich beugt, von dem die Erhaltung allen Rechtes und Gedeihens pba_290.034 abhängt und das überall, wo demselben Gefahr droht, ordnend eingreift, pba_290.035 ohne einer andern Autorität zu bedürfen als der Kraft seiner Sendung pba_290.036 -- dies letztere die Bedeutung des Verbotes der Frage an die ausgesandten pba_290.037 Gralsritter. Und noch ein höchst merkwürdiger Zug: dieses pba_290.038 ethisch-praktische Jdeal, dem das Rittertum zwar nachtrachtet, das aber pba_290.039 für dasselbe unerreichbar ist, steht der spezifisch ritterlichen Gewöhnung pba_290.040 so gegenüber, daß derjenige, der für dasselbe geboren ist, völlig außer-
pba_290.001 lichen Boden steht auch jene; Tapferkeit und Treue, Edelmut und reine pba_290.002 Sitte werden auch dort als die höchsten Tugenden erkannt und in pba_290.003 Handlungen bewährt: alles dieses, das spezifisch ritterlich-romantische pba_290.004 Ethos in seinem reinsten Glanze, hat ebenso Wolfram seinem Gawain pba_290.005 verliehen und in einem weit ausgedehnten Teil seiner Dichtung zu pba_290.006 breitester Darstellung gelangen lassen. Aber diese Darstellung dient ihm pba_290.007 nur als Folie für seinen Helden, oder als stolzer Unterbau für die pba_290.008 noch herrlichere Erscheinung des Bildes, das ihn krönen soll. Für pba_290.009 diese höchste Vorstellung fehlen ihm nun jedoch die realen Darstellungsmittel pba_290.010 und er greift zu dem Symbol, das der ahnende Geist der Sage pba_290.011 ihm bietet. Faßt man, ohne sich in die problematische Deutung des pba_290.012 Einzelnen einzulassen, nur die großen, spezifisch unterscheidenden Züge pba_290.013 ins Auge, so ergibt sich das Folgende: an die Stelle der bloßen Kirchlichkeitpba_290.014 tritt eine den ganzen Menschen durchdringende, ethische Vertiefung pba_290.015 des religiösen Bewußtseins — wodurch der Parzival pba_290.016 allerdings eine innere Verwandtschaft mit dem Hauptmoment allerpba_290.017 religiösen Erneuerung, also auch der Reformation, erhält. Dadurch bedingt pba_290.018 tritt zu jenem Jnbegriff der ritterlichen Tugend eine neue Forderung pba_290.019 hinzu: die Aufgebung der eigenen Persönlichkeit zu pba_290.020 Gunsten der Allgemeinheit, die Hingabe an die Heilung des pba_290.021 menschlichen Leidens nicht zum eigenen Ruhme, sondern um jenes Leidens pba_290.022 selbst willen; — in der Frage an Amfortas, an der alles hängt pba_290.023 und die, da sie gethan wird, durch ein Wunder die Heilung bewirkt, pba_290.024 liegt höchst treffend ausgedrückt, daß diese gesammelte, höchste Kraft, pba_290.025 sobald sie das Ziel ihrer Bethätigung richtig erkennt und ergreift, des pba_290.026 Erfolges gewiß ist. Durch die Verbindung der höchsten Kraft mit dem pba_290.027 regsten, tiefinnerlichen, religiösen Bewußtsein tritt an die Stelle der pba_290.028 aristokratisch-exklusiven Organisation der ritterlichen Gesellschaft,pba_290.029 die in allem Glanz ihrer Thaten doch immer nur sich selbst pba_290.030 Zweck ist, ein Königtum, welches die Quelle des inneren Heiles und pba_290.031 der äußeren Wohlfahrt für alle Länder, für die ganze Welt ist,pba_290.032 gleichsam ein ideales Kaisertum der ganzen Menschheit, dessen Hoheit pba_290.033 alles sich beugt, von dem die Erhaltung allen Rechtes und Gedeihens pba_290.034 abhängt und das überall, wo demselben Gefahr droht, ordnend eingreift, pba_290.035 ohne einer andern Autorität zu bedürfen als der Kraft seiner Sendung pba_290.036 — dies letztere die Bedeutung des Verbotes der Frage an die ausgesandten pba_290.037 Gralsritter. Und noch ein höchst merkwürdiger Zug: dieses pba_290.038 ethisch-praktische Jdeal, dem das Rittertum zwar nachtrachtet, das aber pba_290.039 für dasselbe unerreichbar ist, steht der spezifisch ritterlichen Gewöhnung pba_290.040 so gegenüber, daß derjenige, der für dasselbe geboren ist, völlig außer-
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/308>, abgerufen am 22.11.2024.
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