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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Wir erfahren, daß Caliban aus einer Verbindung des Teufels pba_374.002
mit der Hexe Sycorax hervorgegangen ist, einer Hexe, die "so stark war, pba_374.003
daß sie den Mond in Zwang hielt, Flut und Ebbe machte, und außer pba_374.004
ihrem Kreis Gebote gab"; auf der Jnsel, die Prospero zu seinem Reich pba_374.005
gemacht, hat sie den mißgeschaffenen Sohn zurückgelassen. Jhr Diener pba_374.006
war damals auch Ariel, doch "allzu zart geschaffen, entzog er sich ihrem pba_374.007
groben Dienst, und ward durch ihre unzähmbare Wut mit ihrer stärkeren pba_374.008
Diener Hülfe in einer Fichte Spalt verschlossen". "Ein Dutzend pba_374.009
Jahre hielt diese Kluft ihn peinlich eingeklemmt. Sie starb in dieser pba_374.010
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entfaltet er nun allen Reichtum seiner unerschöpflichen Kräfte in freudigster pba_374.012
Thätigkeit. Nur ein Verlangen ist mächtiger in ihm, als diese pba_374.013
Freude, Prospero zu dienen: die Sehnsucht nach unbedingter Freiheit pba_374.014
in seinem eigenen Reich, den Elementen.

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Das scharf ausgeprägte Bild Ariels und sein Verhältnis zu pba_374.016
Prospero erhellt mit seinem leuchtenden Farbenglanz diese ganze Erdichtung pba_374.017
bis in alle ihre Einzelheiten.

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Die reine Güte und tiefe Weisheit, aus dem Reiche, wo sie herrschen pba_374.019
sollte, dem thätigen Leben, verbannt, verstoßen, gerade weil sie pba_374.020
dem Höchsten nachtrachtet, rettet sich auf die unbewohnte Jnsel, wo die pba_374.021
Luft- und Elementargeister ihr bisher uneingeschränktes Spiel treiben. pba_374.022
Kein Zweifel, daß dieses Gebiet den weiten Bereich des mächtigen Phantasiewaltens pba_374.023
bezeichnet, kein Zweifel aber auch, daß Shakespeares Genius pba_374.024
sich hier keineswegs zu einem Spiel mit allgemeinen allegorischen Begriffen pba_374.025
herabläßt, sondern daß er einen ganz bestimmten, ihn selbst auf pba_374.026
das Nächste und Bedeutsamste angehenden Vorgang zu farbenreichem, pba_374.027
dramatischem Leben erhöht hat.

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Es ist derselbe Gedanke, dem Schiller in seinen "Künstlern" die pba_374.029
folgenden Worte geliehen hat:

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Von ihrer Zeit verstoßen, flüchte pba_374.031
Die ernste Wahrheit zum Gedichte pba_374.032
Und finde Schutz in der Camönen Chor. pba_374.033
Jn ihres Glanzes höchster Fülle, pba_374.034
Furchtbarer in des Reizes Hülle, pba_374.035
Erstehe sie in dem Gesange pba_374.036
Und räche sich mit Siegesklange pba_374.037
An des Verfolgers feigem Ohr.
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Aber was Schiller in seiner pathetischen Weise allgemein abstrakt ausgedrückt pba_374.039
hat, ist von Shakespeare in lebendigem Vorgange individualisiert. pba_374.040
Er führt uns gleichsam in die Werkstätte seiner ausgereiften

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Wir erfahren, daß Caliban aus einer Verbindung des Teufels pba_374.002
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daß sie den Mond in Zwang hielt, Flut und Ebbe machte, und außer pba_374.004
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sollte, dem thätigen Leben, verbannt, verstoßen, gerade weil sie pba_374.020
dem Höchsten nachtrachtet, rettet sich auf die unbewohnte Jnsel, wo die pba_374.021
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das Nächste und Bedeutsamste angehenden Vorgang zu farbenreichem, pba_374.027
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Es ist derselbe Gedanke, dem Schiller in seinen „Künstlern“ die pba_374.029
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pba_374.030
Von ihrer Zeit verstoßen, flüchte pba_374.031
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An des Verfolgers feigem Ohr.
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[374/0392] pba_374.001 Wir erfahren, daß Caliban aus einer Verbindung des Teufels pba_374.002 mit der Hexe Sycorax hervorgegangen ist, einer Hexe, die „so stark war, pba_374.003 daß sie den Mond in Zwang hielt, Flut und Ebbe machte, und außer pba_374.004 ihrem Kreis Gebote gab“; auf der Jnsel, die Prospero zu seinem Reich pba_374.005 gemacht, hat sie den mißgeschaffenen Sohn zurückgelassen. Jhr Diener pba_374.006 war damals auch Ariel, doch „allzu zart geschaffen, entzog er sich ihrem pba_374.007 groben Dienst, und ward durch ihre unzähmbare Wut mit ihrer stärkeren pba_374.008 Diener Hülfe in einer Fichte Spalt verschlossen“. „Ein Dutzend pba_374.009 Jahre hielt diese Kluft ihn peinlich eingeklemmt. Sie starb in dieser pba_374.010 Zeit;“ von dort hat ihn Prosperos Kunst befreit; unter dessen Gebot pba_374.011 entfaltet er nun allen Reichtum seiner unerschöpflichen Kräfte in freudigster pba_374.012 Thätigkeit. Nur ein Verlangen ist mächtiger in ihm, als diese pba_374.013 Freude, Prospero zu dienen: die Sehnsucht nach unbedingter Freiheit pba_374.014 in seinem eigenen Reich, den Elementen. pba_374.015 Das scharf ausgeprägte Bild Ariels und sein Verhältnis zu pba_374.016 Prospero erhellt mit seinem leuchtenden Farbenglanz diese ganze Erdichtung pba_374.017 bis in alle ihre Einzelheiten. pba_374.018 Die reine Güte und tiefe Weisheit, aus dem Reiche, wo sie herrschen pba_374.019 sollte, dem thätigen Leben, verbannt, verstoßen, gerade weil sie pba_374.020 dem Höchsten nachtrachtet, rettet sich auf die unbewohnte Jnsel, wo die pba_374.021 Luft- und Elementargeister ihr bisher uneingeschränktes Spiel treiben. pba_374.022 Kein Zweifel, daß dieses Gebiet den weiten Bereich des mächtigen Phantasiewaltens pba_374.023 bezeichnet, kein Zweifel aber auch, daß Shakespeares Genius pba_374.024 sich hier keineswegs zu einem Spiel mit allgemeinen allegorischen Begriffen pba_374.025 herabläßt, sondern daß er einen ganz bestimmten, ihn selbst auf pba_374.026 das Nächste und Bedeutsamste angehenden Vorgang zu farbenreichem, pba_374.027 dramatischem Leben erhöht hat. pba_374.028 Es ist derselbe Gedanke, dem Schiller in seinen „Künstlern“ die pba_374.029 folgenden Worte geliehen hat: pba_374.030 Von ihrer Zeit verstoßen, flüchte pba_374.031 Die ernste Wahrheit zum Gedichte pba_374.032 Und finde Schutz in der Camönen Chor. pba_374.033 Jn ihres Glanzes höchster Fülle, pba_374.034 Furchtbarer in des Reizes Hülle, pba_374.035 Erstehe sie in dem Gesange pba_374.036 Und räche sich mit Siegesklange pba_374.037 An des Verfolgers feigem Ohr. pba_374.038 Aber was Schiller in seiner pathetischen Weise allgemein abstrakt ausgedrückt pba_374.039 hat, ist von Shakespeare in lebendigem Vorgange individualisiert. pba_374.040 Er führt uns gleichsam in die Werkstätte seiner ausgereiften

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/392>, abgerufen am 22.11.2024.