pba_024.001 in unübertrefflicher Weise der Seelenzustand (das Ethos) still, fast pba_024.002 heitergefaßter Ergebung in den Todesgedanken nachgeahmt und zwar in pba_024.003 einer Freundlichkeit der Stimmung und in einem Reichtum der Nüancen pba_024.004 -- die durch die Analogie des wunderschönen Bildes, das an alle Sinne pba_024.005 zugleich sich wendet, mit Eins gegeben ist -- wie sie keine abstrakte pba_024.006 Schilderung zu wecken vermöchte. Aber wo ist hier ein Moment der pba_024.007 Veränderung oder Folge? Nicht einmal in dem angewandten Bilde! pba_024.008 Man müßte denn die "Folge" und damit die "Handlung" darin finden, pba_024.009 daß auf die Schilderung des koexistenten Bildes die mit dem Anblick pba_024.010 desselben sich verknüpfende Stimmung der Zeit nach folgend zur Erwähnung pba_024.011 gelangt; aber dann wäre in allen derartigen lyrischen Gedichten pba_024.012 ein und dieselbe Handlung, -- ein Gedanke, den man Lessing pba_024.013 nicht zutrauen darf.
pba_024.014 Ein Gedicht wie dieses muß, wenn der rechte Künstler sich dazu pba_024.015 findet, ganz gemalt werden können! Es ist die recht eigentliche Aufgabe pba_024.016 der Landschaftsmalerei, wenn sie nicht lediglich die Formen der pba_024.017 Natur kopiert, sondern ihre Wirkungen nachzuahmen trachtet, ein derartiges pba_024.018 Ethos, wie es hier in den Schlußworten mit der Vorstellung pba_024.019 des geschilderten Bildes verknüpft wird, nachahmend zu erwecken und pba_024.020 diese Nachahmung zu ihrem eigentlichen Gegenstande und obersten Zwecke pba_024.021 zu machen.
pba_024.022 Freilich setzt das Lied den Ausdruck der Empfindung -- "Warte pba_024.023 nur u. s. w." -- dem Naturbilde hinzu; aber doch nur, da in demselben pba_024.024 der Anlaß dazu gegeben ist. Verfährt nun der Maler nicht als Kopist, pba_024.025 sondern als Künstler, so besteht seine Kunst eben darin, sein Bild so zu pba_024.026 malen, daß es nicht bloße Vedute, sondern Mimesis eines Ethospba_024.027 sei, daß in ihm der Anlaß zu jener Empfindungsweise mit eben pba_024.028 der Kraft gegeben sei wie im Liede. Man muß es nicht betrachten können, pba_024.029 ohne zu demselben Gefühl bewegt zu werden; es muß die Bereitschaft -- pba_024.030 dunamis -- zu demselben herzustellen, ganz ebenso alle Mittel in sich pba_024.031 vereinigen wie das Lied. Freilich wendet sich dieses an mehrere Sinne pba_024.032 zugleich, es nimmt auch den Gehörssinn in Anspruch -- "die Vögelein pba_024.033 schweigen im Walde" --, das kann die Malerei nicht; aber wie viel pba_024.034 mehr vermag sie uns dafür zu zeigen und wie viel deutlicher! Mit pba_024.035 tausend Stimmen reden Formen, Licht und Farben zu uns, alle übereinstimmend pba_024.036 jenes eine Gefühl, zu einer Gesamtwirkung vereinigt, uns pba_024.037 in die Seele zu gießen.
pba_024.038 Die Alten gingen sogar im Liede so weit, sich auf die bloße Schilderung pba_024.039 des Landschaftsbildes zu beschränken und den Ausdruck der Empfindung pba_024.040 ganz fortzulassen, wie das kleine Gedicht des Alcman zeigt,
pba_024.001 in unübertrefflicher Weise der Seelenzustand (das Ethos) still, fast pba_024.002 heitergefaßter Ergebung in den Todesgedanken nachgeahmt und zwar in pba_024.003 einer Freundlichkeit der Stimmung und in einem Reichtum der Nüancen pba_024.004 — die durch die Analogie des wunderschönen Bildes, das an alle Sinne pba_024.005 zugleich sich wendet, mit Eins gegeben ist — wie sie keine abstrakte pba_024.006 Schilderung zu wecken vermöchte. Aber wo ist hier ein Moment der pba_024.007 Veränderung oder Folge? Nicht einmal in dem angewandten Bilde! pba_024.008 Man müßte denn die „Folge“ und damit die „Handlung“ darin finden, pba_024.009 daß auf die Schilderung des koexistenten Bildes die mit dem Anblick pba_024.010 desselben sich verknüpfende Stimmung der Zeit nach folgend zur Erwähnung pba_024.011 gelangt; aber dann wäre in allen derartigen lyrischen Gedichten pba_024.012 ein und dieselbe Handlung, — ein Gedanke, den man Lessing pba_024.013 nicht zutrauen darf.
pba_024.014 Ein Gedicht wie dieses muß, wenn der rechte Künstler sich dazu pba_024.015 findet, ganz gemalt werden können! Es ist die recht eigentliche Aufgabe pba_024.016 der Landschaftsmalerei, wenn sie nicht lediglich die Formen der pba_024.017 Natur kopiert, sondern ihre Wirkungen nachzuahmen trachtet, ein derartiges pba_024.018 Ethos, wie es hier in den Schlußworten mit der Vorstellung pba_024.019 des geschilderten Bildes verknüpft wird, nachahmend zu erwecken und pba_024.020 diese Nachahmung zu ihrem eigentlichen Gegenstande und obersten Zwecke pba_024.021 zu machen.
pba_024.022 Freilich setzt das Lied den Ausdruck der Empfindung — „Warte pba_024.023 nur u. s. w.“ — dem Naturbilde hinzu; aber doch nur, da in demselben pba_024.024 der Anlaß dazu gegeben ist. Verfährt nun der Maler nicht als Kopist, pba_024.025 sondern als Künstler, so besteht seine Kunst eben darin, sein Bild so zu pba_024.026 malen, daß es nicht bloße Vedute, sondern Mimesis eines Ethospba_024.027 sei, daß in ihm der Anlaß zu jener Empfindungsweise mit eben pba_024.028 der Kraft gegeben sei wie im Liede. Man muß es nicht betrachten können, pba_024.029 ohne zu demselben Gefühl bewegt zu werden; es muß die Bereitschaft — pba_024.030 δύναμις — zu demselben herzustellen, ganz ebenso alle Mittel in sich pba_024.031 vereinigen wie das Lied. Freilich wendet sich dieses an mehrere Sinne pba_024.032 zugleich, es nimmt auch den Gehörssinn in Anspruch — „die Vögelein pba_024.033 schweigen im Walde“ —, das kann die Malerei nicht; aber wie viel pba_024.034 mehr vermag sie uns dafür zu zeigen und wie viel deutlicher! Mit pba_024.035 tausend Stimmen reden Formen, Licht und Farben zu uns, alle übereinstimmend pba_024.036 jenes eine Gefühl, zu einer Gesamtwirkung vereinigt, uns pba_024.037 in die Seele zu gießen.
pba_024.038 Die Alten gingen sogar im Liede so weit, sich auf die bloße Schilderung pba_024.039 des Landschaftsbildes zu beschränken und den Ausdruck der Empfindung pba_024.040 ganz fortzulassen, wie das kleine Gedicht des Alcman zeigt,
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pba_024.001
in unübertrefflicher Weise der Seelenzustand (das Ethos) still, fast pba_024.002
heitergefaßter Ergebung in den Todesgedanken nachgeahmt und zwar in pba_024.003
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Ein Gedicht wie dieses muß, wenn der rechte Künstler sich dazu pba_024.015
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/42>, abgerufen am 21.11.2024.
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