pba_023.001 ebensowohl, insofern es gelingt vermittelst der Aehnlichkeit von Körpern pba_023.002 und Gegenständen, nicht allein in ihren Veränderungen, sondern pba_023.003 auch in ruhenden Zuständen mit Empfindungs- und Seelenzuständen pba_023.004 diese durch jene indirekt wach zu rufen. Und hier ist es, wo pba_023.005 der Lessingsche Satz: Handlung ist der Gegenstand der Poesie, selbst pba_023.006 bei der äußersten Dehnung des Begriffes, seine Geltung völlig verlieren pba_023.007 muß.
pba_023.008
III.
pba_023.009 Es wird erforderlich sein diese Sätze an der Erfahrung zu prüfen, pba_023.010 um auch unabhängig von der entwickelten Schlußfolge zur Beantwortung pba_023.011 der Frage zu gelangen, inwieweit die im Laokoon gegebene Definition pba_023.012 der Poesie auf die Lyrik Anwendung finden kann.
pba_023.013 Wie steht es also mit dem Lessingschen Successionsbegriff, wenn pba_023.014 es sich, wie in der Lyrik, um nachahmende Darstellung von Empfindungen, pba_023.015 von Stimmungen und Seelenzuständen handelt? Jst nicht das wesentliche pba_023.016 einer Seelenstimmung, eines Gemütszustandes vielmehr pba_023.017 gerade etwas Stationäres? Und ist die nachahmende Darstellung solcher pba_023.018 psychologisch-ethischen Zustände nicht gerade eine der Hauptaufgaben der pba_023.019 Poesie? Und wenn auf dem Gebiete der Darstellung von bloßen Empfindungenpba_023.020 das Moment der Entwickelung, der Wandlung, des Streites pba_023.021 entgegengesetzter oder des Wechsels verwandter Affekte naturgemäß leichter pba_023.022 Platz greift, kann denn in einem lyrischen Gedichte nicht auch eine pba_023.023 einzelne Empfindung ganz ohne Veränderung kontinuierlich oder vielmehr pba_023.024 stationär zur Darstellung gebracht werden, etwa wie ein einzelner, pba_023.025 lang ausgehaltener Ton oder Akkord? Wie soll z. B. der Begriff des pba_023.026 "Gegenstandes, dessen Teile aufeinander folgen", Anwendung finden auf pba_023.027 Goethes "Wanderers Nachtlied"?
pba_023.028
Ueber allen Gipfelnpba_023.029 Jst Ruh,pba_023.030 Jn allen Wipfelnpba_023.031 Spürest dupba_023.032 Kaum einen Hauch;pba_023.033 Die Vögelein schweigen im Walde.pba_023.034 Warte nur, baldepba_023.035 Ruhest du auch.
pba_023.036 Durch die sinnliche Vorstellung des schweigenden Waldes, zugleich pba_023.037 freilich durch die wunderbare Macht des rhythmischen Tonfalles, ist hier
pba_023.001 ebensowohl, insofern es gelingt vermittelst der Aehnlichkeit von Körpern pba_023.002 und Gegenständen, nicht allein in ihren Veränderungen, sondern pba_023.003 auch in ruhenden Zuständen mit Empfindungs- und Seelenzuständen pba_023.004 diese durch jene indirekt wach zu rufen. Und hier ist es, wo pba_023.005 der Lessingsche Satz: Handlung ist der Gegenstand der Poesie, selbst pba_023.006 bei der äußersten Dehnung des Begriffes, seine Geltung völlig verlieren pba_023.007 muß.
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III.
pba_023.009 Es wird erforderlich sein diese Sätze an der Erfahrung zu prüfen, pba_023.010 um auch unabhängig von der entwickelten Schlußfolge zur Beantwortung pba_023.011 der Frage zu gelangen, inwieweit die im Laokoon gegebene Definition pba_023.012 der Poesie auf die Lyrik Anwendung finden kann.
pba_023.013 Wie steht es also mit dem Lessingschen Successionsbegriff, wenn pba_023.014 es sich, wie in der Lyrik, um nachahmende Darstellung von Empfindungen, pba_023.015 von Stimmungen und Seelenzuständen handelt? Jst nicht das wesentliche pba_023.016 einer Seelenstimmung, eines Gemütszustandes vielmehr pba_023.017 gerade etwas Stationäres? Und ist die nachahmende Darstellung solcher pba_023.018 psychologisch-ethischen Zustände nicht gerade eine der Hauptaufgaben der pba_023.019 Poesie? Und wenn auf dem Gebiete der Darstellung von bloßen Empfindungenpba_023.020 das Moment der Entwickelung, der Wandlung, des Streites pba_023.021 entgegengesetzter oder des Wechsels verwandter Affekte naturgemäß leichter pba_023.022 Platz greift, kann denn in einem lyrischen Gedichte nicht auch eine pba_023.023 einzelne Empfindung ganz ohne Veränderung kontinuierlich oder vielmehr pba_023.024 stationär zur Darstellung gebracht werden, etwa wie ein einzelner, pba_023.025 lang ausgehaltener Ton oder Akkord? Wie soll z. B. der Begriff des pba_023.026 „Gegenstandes, dessen Teile aufeinander folgen“, Anwendung finden auf pba_023.027 Goethes „Wanderers Nachtlied“?
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Ueber allen Gipfelnpba_023.029 Jst Ruh,pba_023.030 Jn allen Wipfelnpba_023.031 Spürest dupba_023.032 Kaum einen Hauch;pba_023.033 Die Vögelein schweigen im Walde.pba_023.034 Warte nur, baldepba_023.035 Ruhest du auch.
pba_023.036 Durch die sinnliche Vorstellung des schweigenden Waldes, zugleich pba_023.037 freilich durch die wunderbare Macht des rhythmischen Tonfalles, ist hier
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ebensowohl, insofern es gelingt vermittelst der Aehnlichkeit von Körpern pba_023.002
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Wie steht es also mit dem Lessingschen Successionsbegriff, wenn pba_023.014
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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