pba_429.001 folgendes hinzu: es ist ein grenzenloses Verdienst unseres alten Kantpba_429.002 um die Welt, und ich darf auch sagen um mich, daß er, in seiner Kritik pba_429.003 der Urteilskraft, Kunst und Natur nebeneinander stellt und beiden pba_429.004 das Recht zugesteht: aus großen Principien zwecklos zu handeln. So pba_429.005 hatte mich Spinoza früher schon in dem Haß gegen die absurden pba_429.006 Endursachen geglaubigt. Natur und Kunst sind zu groß, um auf Zwecke pba_429.007 auszugehen, und haben's auch nicht nötig, denn Bezüge gibt's überall pba_429.008 und Bezüge sind das Leben."
pba_429.009 Diese Briefstellen liefern einen erwünschten Kommentar zu Goethes pba_429.010 Äußerungen über den Gegenstand in seinem Aufsatz vom Jahr 1826 pba_429.011 "Nachlese zu Aristoteles' Poetik". Er übersetzt darin die Schlußworte pba_429.012 der Definition, bekanntlich mit einer starken Versündigung gegen die pba_429.013 griechische Sprache, so daß er, statt zu sagen, daß die Tragödie "durchpba_429.014 Mitleid und Furcht die Katharsis bewirke", setzt: "daß sie nach einem pba_429.015 Verlauf von Mitleid und Furcht (dia also gewissermaßen = durch pba_429.016 dieselben hindurch) mit Ausgleichung solcher Leidenschaften pba_429.017 ihr Geschäft abschließt." Von jenem Jrrtum abgesehen, liegt der pba_429.018 Schwerpunkt seiner Auffassung in den letzten Worten: also in dem Eintreten pba_429.019 für die unmittelbare, ästhetische "Wirkung an und für pba_429.020 sich", die er von der Tragödie fordert, und in der Abweisung der pba_429.021 entfernteren, moralischen Wirkung, die er ihr so wenig als irgend pba_429.022 einer Art der Kunstübung als ein notwendig anhaftendes Attribut pba_429.023 zuzuerkennen vermag. "Keine Kunst vermag auf Moralität zu wirken, pba_429.024 und immer ist es falsch, wenn man solche Leistungen von ihnen verlangt. pba_429.025 Philosophie und Religion vermögen dies allein; Pietät und pba_429.026 Pflicht müssen aufgeregt werden, und solche Erweckungen werden die pba_429.027 Künste nur zufällig veranlassen." Nur diese tendenziöse Wirkung pba_429.028 ist es, deren Forderung er von der Tragödie abwehrt, wenn er seiner pba_429.029 Übersetzung die Erläuterung hinzufügt: "Wie konnte Aristoteles in pba_429.030 seiner jederzeit auf den Gegenstand hinweisenden Art, indem pba_429.031 er ganz eigentlich von der Konstruktion des Trauerspiels redet, an pba_429.032 die Wirkung und, was mehr ist, an die entfernte Wirkung denken, pba_429.033 welche eine Tragödie auf den Zuschauer vielleicht machen würde? pba_429.034 Keineswegs! Er spricht ganz klar und richtig aus: wenn sie durch einen pba_429.035 Verlauf von Mitleid und Furcht erregenden Mitteln durchgegangen, so pba_429.036 müsse sie mit Ausgleichung, mit Versöhnung solcher Leidenschaften pba_429.037 zuletzt auf dem Theater ihre Arbeit abschließen." pba_429.038 Unzweifelhaft also verlangt auch Goethe nicht allein eine "Wirkung pba_429.039 der Tragödie auf den Zuschauer", sondern er setzt auch, ganz wie pba_429.040 Aristoteles, als das Ziel dieser Wirkung die Katharsis, "diese aus-
pba_429.001 folgendes hinzu: es ist ein grenzenloses Verdienst unseres alten Kantpba_429.002 um die Welt, und ich darf auch sagen um mich, daß er, in seiner Kritik pba_429.003 der Urteilskraft, Kunst und Natur nebeneinander stellt und beiden pba_429.004 das Recht zugesteht: aus großen Principien zwecklos zu handeln. So pba_429.005 hatte mich Spinoza früher schon in dem Haß gegen die absurden pba_429.006 Endursachen geglaubigt. Natur und Kunst sind zu groß, um auf Zwecke pba_429.007 auszugehen, und haben's auch nicht nötig, denn Bezüge gibt's überall pba_429.008 und Bezüge sind das Leben.“
pba_429.009 Diese Briefstellen liefern einen erwünschten Kommentar zu Goethes pba_429.010 Äußerungen über den Gegenstand in seinem Aufsatz vom Jahr 1826 pba_429.011 „Nachlese zu Aristoteles' Poetik“. Er übersetzt darin die Schlußworte pba_429.012 der Definition, bekanntlich mit einer starken Versündigung gegen die pba_429.013 griechische Sprache, so daß er, statt zu sagen, daß die Tragödie „durchpba_429.014 Mitleid und Furcht die Katharsis bewirke“, setzt: „daß sie nach einem pba_429.015 Verlauf von Mitleid und Furcht (διά also gewissermaßen = durch pba_429.016 dieselben hindurch) mit Ausgleichung solcher Leidenschaften pba_429.017 ihr Geschäft abschließt.“ Von jenem Jrrtum abgesehen, liegt der pba_429.018 Schwerpunkt seiner Auffassung in den letzten Worten: also in dem Eintreten pba_429.019 für die unmittelbare, ästhetische „Wirkung an und für pba_429.020 sich“, die er von der Tragödie fordert, und in der Abweisung der pba_429.021 entfernteren, moralischen Wirkung, die er ihr so wenig als irgend pba_429.022 einer Art der Kunstübung als ein notwendig anhaftendes Attribut pba_429.023 zuzuerkennen vermag. „Keine Kunst vermag auf Moralität zu wirken, pba_429.024 und immer ist es falsch, wenn man solche Leistungen von ihnen verlangt. pba_429.025 Philosophie und Religion vermögen dies allein; Pietät und pba_429.026 Pflicht müssen aufgeregt werden, und solche Erweckungen werden die pba_429.027 Künste nur zufällig veranlassen.“ Nur diese tendenziöse Wirkung pba_429.028 ist es, deren Forderung er von der Tragödie abwehrt, wenn er seiner pba_429.029 Übersetzung die Erläuterung hinzufügt: „Wie konnte Aristoteles in pba_429.030 seiner jederzeit auf den Gegenstand hinweisenden Art, indem pba_429.031 er ganz eigentlich von der Konstruktion des Trauerspiels redet, an pba_429.032 die Wirkung und, was mehr ist, an die entfernte Wirkung denken, pba_429.033 welche eine Tragödie auf den Zuschauer vielleicht machen würde? pba_429.034 Keineswegs! Er spricht ganz klar und richtig aus: wenn sie durch einen pba_429.035 Verlauf von Mitleid und Furcht erregenden Mitteln durchgegangen, so pba_429.036 müsse sie mit Ausgleichung, mit Versöhnung solcher Leidenschaften pba_429.037 zuletzt auf dem Theater ihre Arbeit abschließen.“ pba_429.038 Unzweifelhaft also verlangt auch Goethe nicht allein eine „Wirkung pba_429.039 der Tragödie auf den Zuschauer“, sondern er setzt auch, ganz wie pba_429.040 Aristoteles, als das Ziel dieser Wirkung die Katharsis, „diese aus-
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Diese Briefstellen liefern einen erwünschten Kommentar zu Goethes pba_429.010
Äußerungen über den Gegenstand in seinem Aufsatz vom Jahr 1826 pba_429.011
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/447>, abgerufen am 22.11.2024.
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