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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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das Princip
dieser ganzen angeblichen Kunstphilosophie, die damit pba_519.002
weiter nichts gethan hat, als daß sie das Material bezeichnet, innerhalb pba_519.003
dessen die Kunst ihr Wirkungsgebiet und ihre Aufgabe pba_519.004
hat.
Jmmerhin ein Fortschritt gegen eine Kunstdogmatik, welche die pba_519.005
Ziele derselben ganz nach außerhalb verlegte, aber ein Fortschritt, der pba_519.006
zum ersten Anfang zurückkehrte. Keine nachträglich hinzugethanen Einzelvorschriften pba_519.007
vermögen den Mangel dieses Princips zu ersetzen, wenn es pba_519.008
zum Regulativ der Kunstübung erhoben wird. Ja, je höher die pba_519.009
Virtuosität im Gebrauch der Kunstmittel sich steigert, um so größer pba_519.010
werden seine Gefahren, weil seine unheilbare Fehlerhaftigkeit um so pba_519.011
mehr sich der Erkenntnis verschleiert. Niemals waren diese Gefahren pba_519.012
drohender als heute, da diese Richtung einen neuen Rechtstitel und einen pba_519.013
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der gemeinen, unbestreitbar vorhandenen Wirklichkeit der Dinge "naturgetreu" pba_519.016
die "Emotions"stoffe seiner Nachahmung zu schöpfen. Welch pba_519.017
ein Fest für den Leidenschaftshunger, die berechtigte Forderung des pba_519.018
Schutzes gegen den ennui, das "Sollicitationsbedürfnis", um nach pba_519.019
erfolgter "Entladung", "gleichsam einer Kur teilhaftig", nun wieder pba_519.020
den wahrhaften, ernsten Anforderungen des Lebens sich zuzuwenden! pba_519.021
Das wäre die gerühmte Katharsis des Aristoteles? Der "positivistische" pba_519.022
Aristoteles ist hier der wahre Jdealist! Die ganz unschätzbare Bedeutung pba_519.023
seiner Poetik beruht, weit hinaus darüber, daß er darin für die höchste pba_519.024
Kunstgattung, die Tragödie, unvergängliche Normen aufgestellt hat, darin, pba_519.025
daß in diesem einen Bau das Fundament seiner Kunstphilosophie sich pba_519.026
offenbart, einer Kunstphilosophie, die, ohne der ästhetischen Freiheit der pba_519.027
Kunst Eintrag zu thun, vielmehr sie erst wahrhaft fest begründend, in pba_519.028
ihrem Grundprincipe die hohe, priesterliche Würde der Kunst gegen alle pba_519.029
Angriffe des wechselnden Zeitgeschmackes sicher stellt.

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Das ist der eigentliche, tiefere Grund, warum trotz des Spottes pba_519.031
gegen die von dem Gegenstande unzertrennliche philologische Grübelei pba_519.032
die Forschung von diesem Gegenstande nicht loskommt. Von dieser pba_519.033
Wahrheit ist keiner so tief durchdrungen gewesen als Lessing, und sein pba_519.034
genialer Scharfblick hat ihn vom ersten Beginn seiner aristotelischen pba_519.035
Studien auf den richtigen Weg gewiesen.

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Jener von Bernays für seine Theorie so ganz ungerechtfertigt in pba_519.037
Anspruch genommene Brief an Mendelssohn -- ganz ungerechtfertigt, pba_519.038
obwohl alle Welt darin Bernays nachgesprochen hat -- beweist das am pba_519.039
allermeisten. Merkwürdig! in dem Briefe steht das Gegenteil von dem, pba_519.040
was Bernays und alle seine Anhänger darin gefunden haben. Die oben

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das Princip
dieser ganzen angeblichen Kunstphilosophie, die damit pba_519.002
weiter nichts gethan hat, als daß sie das Material bezeichnet, innerhalb pba_519.003
dessen die Kunst ihr Wirkungsgebiet und ihre Aufgabe pba_519.004
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Jmmerhin ein Fortschritt gegen eine Kunstdogmatik, welche die pba_519.005
Ziele derselben ganz nach außerhalb verlegte, aber ein Fortschritt, der pba_519.006
zum ersten Anfang zurückkehrte. Keine nachträglich hinzugethanen Einzelvorschriften pba_519.007
vermögen den Mangel dieses Princips zu ersetzen, wenn es pba_519.008
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ein Fest für den Leidenschaftshunger, die berechtigte Forderung des pba_519.018
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erfolgter „Entladung“, „gleichsam einer Kur teilhaftig“, nun wieder pba_519.020
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Das wäre die gerühmte Katharsis des Aristoteles? Der „positivistische“ pba_519.022
Aristoteles ist hier der wahre Jdealist! Die ganz unschätzbare Bedeutung pba_519.023
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Kunstgattung, die Tragödie, unvergängliche Normen aufgestellt hat, darin, pba_519.025
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ihrem Grundprincipe die hohe, priesterliche Würde der Kunst gegen alle pba_519.029
Angriffe des wechselnden Zeitgeschmackes sicher stellt.

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Das ist der eigentliche, tiefere Grund, warum trotz des Spottes pba_519.031
gegen die von dem Gegenstande unzertrennliche philologische Grübelei pba_519.032
die Forschung von diesem Gegenstande nicht loskommt. Von dieser pba_519.033
Wahrheit ist keiner so tief durchdrungen gewesen als Lessing, und sein pba_519.034
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Studien auf den richtigen Weg gewiesen.

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Jener von Bernays für seine Theorie so ganz ungerechtfertigt in pba_519.037
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[519/0537] pba_519.001 das Princip dieser ganzen angeblichen Kunstphilosophie, die damit pba_519.002 weiter nichts gethan hat, als daß sie das Material bezeichnet, innerhalb pba_519.003 dessen die Kunst ihr Wirkungsgebiet und ihre Aufgabe pba_519.004 hat. Jmmerhin ein Fortschritt gegen eine Kunstdogmatik, welche die pba_519.005 Ziele derselben ganz nach außerhalb verlegte, aber ein Fortschritt, der pba_519.006 zum ersten Anfang zurückkehrte. Keine nachträglich hinzugethanen Einzelvorschriften pba_519.007 vermögen den Mangel dieses Princips zu ersetzen, wenn es pba_519.008 zum Regulativ der Kunstübung erhoben wird. Ja, je höher die pba_519.009 Virtuosität im Gebrauch der Kunstmittel sich steigert, um so größer pba_519.010 werden seine Gefahren, weil seine unheilbare Fehlerhaftigkeit um so pba_519.011 mehr sich der Erkenntnis verschleiert. Niemals waren diese Gefahren pba_519.012 drohender als heute, da diese Richtung einen neuen Rechtstitel und einen pba_519.013 neuen glänzenden Deckmantel in dem Schlagwort des Realismus gefunden pba_519.014 hat, das falschverstandenen Realismus, der sich brüstet, aus pba_519.015 der gemeinen, unbestreitbar vorhandenen Wirklichkeit der Dinge „naturgetreu“ pba_519.016 die „Emotions“stoffe seiner Nachahmung zu schöpfen. Welch pba_519.017 ein Fest für den Leidenschaftshunger, die berechtigte Forderung des pba_519.018 Schutzes gegen den ennui, das „Sollicitationsbedürfnis“, um nach pba_519.019 erfolgter „Entladung“, „gleichsam einer Kur teilhaftig“, nun wieder pba_519.020 den wahrhaften, ernsten Anforderungen des Lebens sich zuzuwenden! pba_519.021 Das wäre die gerühmte Katharsis des Aristoteles? Der „positivistische“ pba_519.022 Aristoteles ist hier der wahre Jdealist! Die ganz unschätzbare Bedeutung pba_519.023 seiner Poetik beruht, weit hinaus darüber, daß er darin für die höchste pba_519.024 Kunstgattung, die Tragödie, unvergängliche Normen aufgestellt hat, darin, pba_519.025 daß in diesem einen Bau das Fundament seiner Kunstphilosophie sich pba_519.026 offenbart, einer Kunstphilosophie, die, ohne der ästhetischen Freiheit der pba_519.027 Kunst Eintrag zu thun, vielmehr sie erst wahrhaft fest begründend, in pba_519.028 ihrem Grundprincipe die hohe, priesterliche Würde der Kunst gegen alle pba_519.029 Angriffe des wechselnden Zeitgeschmackes sicher stellt. pba_519.030 Das ist der eigentliche, tiefere Grund, warum trotz des Spottes pba_519.031 gegen die von dem Gegenstande unzertrennliche philologische Grübelei pba_519.032 die Forschung von diesem Gegenstande nicht loskommt. Von dieser pba_519.033 Wahrheit ist keiner so tief durchdrungen gewesen als Lessing, und sein pba_519.034 genialer Scharfblick hat ihn vom ersten Beginn seiner aristotelischen pba_519.035 Studien auf den richtigen Weg gewiesen. pba_519.036 Jener von Bernays für seine Theorie so ganz ungerechtfertigt in pba_519.037 Anspruch genommene Brief an Mendelssohn — ganz ungerechtfertigt, pba_519.038 obwohl alle Welt darin Bernays nachgesprochen hat — beweist das am pba_519.039 allermeisten. Merkwürdig! in dem Briefe steht das Gegenteil von dem, pba_519.040 was Bernays und alle seine Anhänger darin gefunden haben. Die oben

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/537>, abgerufen am 22.11.2024.