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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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weitesten Sinne dieses Wortes. Jn der von Schiller definierten unmittelbar pba_543.002
sinnlichen Weise wirkt der Klang auf die Empfindung, und pba_543.003
doch ist er das Element der Musik und des verschönerten Ausdruckes pba_543.004
in der Poesie, wirkt Gestalt und Farbe sowohl in der malerischen und pba_543.005
plastischen als in der drastischen Darstellung: hier überall ist unmittelbare pba_543.006
"sinnliche Lust" mächtigste und unentbehrliche Bundesgenossin der pba_543.007
vollen ästhetischen Kunstwirkung. Freilich müssen diese Mittel der Kunst pba_543.008
wie überhaupt alle ihre Mittel "planmäßig geordnet" sein; diese Planmäßigkeit pba_543.009
kann auch bis zu einem gewissen Grade "erkannt" werden; pba_543.010
aber solche Erkenntnis ist die Arbeit des kritischen Verstandes, der Erwerb pba_543.011
eines theoretisch geschulten "Geschmackes", nimmermehr jedoch die pba_543.012
Vorbedingung des unmittelbaren Genusses, der Kunstwirkung überhaupt.

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Als Konsequenz alles dessen nun die schlimmste Schlußfolgerung: pba_543.014
"Die allgemeine Quelle jedes, auch des sinnlichen Vergnügens, ist Zweckmäßigkeit. pba_543.015
Das Vergnügen ist sinnlich, wenn die Zweckmäßigkeit nicht pba_543.016
durch die Vorstellungskräfte erkannt
wird, sondern bloß durch das pba_543.017
Gesetz der Notwendigkeit die Empfindung des Vergnügens zur physischen pba_543.018
Folge hat. Das Vergnügen ist frei, wenn wir uns die Zweckmäßigkeit pba_543.019
vorstellen
und die angenehme Empfindung die Vorstellung pba_543.020
begleitet."

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Es ist einer der häufigsten, aber auch gefährlichsten, logischen Fehler, pba_543.022
den Schiller hier gemacht hat, allerdings in Übereinstimmung mit einem pba_543.023
System, das in seiner Zeit herrschend war und noch heute seine Anhänger pba_543.024
hat: der Fehler die Angabe von Eigenschaften, die einem Dinge pba_543.025
seiner Natur nach zukommen, für die Definition seines Wesens zu halten. pba_543.026
Wie wenn jemand mit Recht sagt, daß in einem schönen Musikstück keine pba_543.027
Fehler gegen Takt und Harmonie sein dürften, und man nun definieren pba_543.028
wollte: schöne Musik beruht auf Takt und Harmonie. Oder wenn aus pba_543.029
dem Satze: ein schönes Gebäude müsse symmetrisch angeordnet und pba_543.030
zugleich wohl übersichtlich sein, gefolgert würde: Schönheit der Architektur pba_543.031
beruht auf Symmetrie und Übersichtlichkeit. Gleichwohl ist dies geschehen pba_543.032
und der Fehler geht zurück bis auf das Mißverständnis eines pba_543.033
aristotelischen Satzes, das auf diesem Felde viel Unheil angerichtet hat. pba_543.034
Jm siebenten Kapitel der Poetik sagt er gelegentlich, zur Schönheit gehöre pba_543.035
Ordnung, aber außer dieser sei auch die Größe des schönen pba_543.036
Gegenstandes nicht eine beliebige; d. h. also die hervorragende Ausdehnung pba_543.037
-- was Größe an sich bedeutet -- bestimmt sich bei einem pba_543.038
jeden Gegenstande nach dem ihm eigenen Wesen; die damit gegebenen pba_543.039
Grenzen
darf das Kunstwerk weder nach der Seite des "zu klein" noch pba_543.040
des "zu groß" überschreiten, ohne den Anspruch auf Schönheit zu ver-

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weitesten Sinne dieses Wortes. Jn der von Schiller definierten unmittelbar pba_543.002
sinnlichen Weise wirkt der Klang auf die Empfindung, und pba_543.003
doch ist er das Element der Musik und des verschönerten Ausdruckes pba_543.004
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„sinnliche Lust“ mächtigste und unentbehrliche Bundesgenossin der pba_543.007
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kann auch bis zu einem gewissen Grade „erkannt“ werden; pba_543.010
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eines theoretisch geschulten „Geschmackes“, nimmermehr jedoch die pba_543.012
Vorbedingung des unmittelbaren Genusses, der Kunstwirkung überhaupt.

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Als Konsequenz alles dessen nun die schlimmste Schlußfolgerung: pba_543.014
„Die allgemeine Quelle jedes, auch des sinnlichen Vergnügens, ist Zweckmäßigkeit. pba_543.015
Das Vergnügen ist sinnlich, wenn die Zweckmäßigkeit nicht pba_543.016
durch die Vorstellungskräfte erkannt
wird, sondern bloß durch das pba_543.017
Gesetz der Notwendigkeit die Empfindung des Vergnügens zur physischen pba_543.018
Folge hat. Das Vergnügen ist frei, wenn wir uns die Zweckmäßigkeit pba_543.019
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und die angenehme Empfindung die Vorstellung pba_543.020
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Es ist einer der häufigsten, aber auch gefährlichsten, logischen Fehler, pba_543.022
den Schiller hier gemacht hat, allerdings in Übereinstimmung mit einem pba_543.023
System, das in seiner Zeit herrschend war und noch heute seine Anhänger pba_543.024
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seiner Natur nach zukommen, für die Definition seines Wesens zu halten. pba_543.026
Wie wenn jemand mit Recht sagt, daß in einem schönen Musikstück keine pba_543.027
Fehler gegen Takt und Harmonie sein dürften, und man nun definieren pba_543.028
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/561>, abgerufen am 22.11.2024.