pba_550.001 das den Helden durch seine Hamartie in eine Lage verstrickt, die, ihn pba_550.002 rings mit Verderben umgebend, sogar jenen Sieg der Pflicht mit dem pba_550.003 Untergang verkettet.
pba_550.004 Was soll man vollends dazu sagen, wenn Schiller auch in dem pba_550.005 folgenden Zuge ein tragisches Motiv anerkannt wissen will: "Es ist nicht pba_550.006 nötig, daß ich lebe; aber es ist nötig, daß ich Rom vor dem Hunger pba_550.007 schütze, sagt der große Pompejus, da er nach Afrika schiffen soll und pba_550.008 seine Freunde ihm anliegen, seine Abfahrt zu verschieben, bis der Seesturm pba_550.009 vorüber sei!" Jn dieser Linie liegt eine der schlimmsten Gefahren pba_550.010 für die tragische Komposition: die Strenge des großen, einheitlichen pba_550.011 Gesetzes für den Aufbau der Tragödie dem vereinzelt pba_550.012 wirkenden moralischen Rührungseffekt aufzuopfern. Der pba_550.013 jugendliche Schiller ist an dieser Klippe oftmals gescheitert; sein zur pba_550.014 Vollkraft gelangtes Genie hielt die hohe See trotz mancher Fehler seiner pba_550.015 Karten und Meßinstrumente. Dem Halbtalente aber, das so gerne pba_550.016 gerade den jugendlichen Schiller sich zum Vorbilde erwählt, ist jene Gefahr pba_550.017 um so verderblicher, weil es so sehr viel leichter ist, heroischmoralische pba_550.018 Brillantwirkungen zu erzielen, als den künstlerischen Plan pba_550.019 anzulegen und unbeirrt durchzuführen, der durch das hohe Ziel pba_550.020 der ästhetischen Katharsis in jedem seiner Teile übereinstimmend bedingt pba_550.021 ist.
pba_550.022 Ebenso irreleitend für die tragische Dichtung ist die nach der pba_550.023 andern Seite gezogene Konsequenz: "nicht weniger tragischergötzend als pba_550.024 das Leiden des Tugendhaften ist das Leiden des Verbrechers." pba_550.025 "Reue, Selbstverdammung, selbst in ihrem höchsten Grade, in der Verzweiflung, pba_550.026 sind moralisch erhaben," weil sie Zeugnisse für die supreme pba_550.027 Hoheit des Sittengesetzes seien. Der weitere Erweis dürfte hier überflüssig pba_550.028 sein; es genügt, an die bedenkliche Verwandtschaft zu erinnern, pba_550.029 in der diese Theorie zu jener Praxis steht, die niemand schärfer gegeißelt pba_550.030 hat als Schiller selbst in den Versen von der Tugend, die zu pba_550.031 ihrem Teile kommt, wenn das Laster abgewirtschaftet hat. Das Beispiel pba_550.032 von Shakespeares Richard III., das Schiller in etwas anderm Zusammenhange pba_550.033 hierbei anführt, beweist, wie oben1 schon erörtert, nichts pba_550.034 für seine Behauptung. Die Handlung ist nicht tragisch, sondern sie pba_550.035 gehört dem Schauspiel an. Daß in diesem die Handlung eine Kette pba_550.036 von Verbrechen darstellen kann, die der Vergeltung auf irgend eine pba_550.037 Weise zueilen, ist unwidersprechlich; allein Aufgabe und Wirkungszweck pba_550.038 ist hier auf ebenso rein ästhetische Grundsätze gestellt wie in der Tragödie
1pba_550.039 S. S. 398 ff.
pba_550.001 das den Helden durch seine Hamartie in eine Lage verstrickt, die, ihn pba_550.002 rings mit Verderben umgebend, sogar jenen Sieg der Pflicht mit dem pba_550.003 Untergang verkettet.
pba_550.004 Was soll man vollends dazu sagen, wenn Schiller auch in dem pba_550.005 folgenden Zuge ein tragisches Motiv anerkannt wissen will: „Es ist nicht pba_550.006 nötig, daß ich lebe; aber es ist nötig, daß ich Rom vor dem Hunger pba_550.007 schütze, sagt der große Pompejus, da er nach Afrika schiffen soll und pba_550.008 seine Freunde ihm anliegen, seine Abfahrt zu verschieben, bis der Seesturm pba_550.009 vorüber sei!“ Jn dieser Linie liegt eine der schlimmsten Gefahren pba_550.010 für die tragische Komposition: die Strenge des großen, einheitlichen pba_550.011 Gesetzes für den Aufbau der Tragödie dem vereinzelt pba_550.012 wirkenden moralischen Rührungseffekt aufzuopfern. Der pba_550.013 jugendliche Schiller ist an dieser Klippe oftmals gescheitert; sein zur pba_550.014 Vollkraft gelangtes Genie hielt die hohe See trotz mancher Fehler seiner pba_550.015 Karten und Meßinstrumente. Dem Halbtalente aber, das so gerne pba_550.016 gerade den jugendlichen Schiller sich zum Vorbilde erwählt, ist jene Gefahr pba_550.017 um so verderblicher, weil es so sehr viel leichter ist, heroischmoralische pba_550.018 Brillantwirkungen zu erzielen, als den künstlerischen Plan pba_550.019 anzulegen und unbeirrt durchzuführen, der durch das hohe Ziel pba_550.020 der ästhetischen Katharsis in jedem seiner Teile übereinstimmend bedingt pba_550.021 ist.
pba_550.022 Ebenso irreleitend für die tragische Dichtung ist die nach der pba_550.023 andern Seite gezogene Konsequenz: „nicht weniger tragischergötzend als pba_550.024 das Leiden des Tugendhaften ist das Leiden des Verbrechers.“ pba_550.025 „Reue, Selbstverdammung, selbst in ihrem höchsten Grade, in der Verzweiflung, pba_550.026 sind moralisch erhaben,“ weil sie Zeugnisse für die supreme pba_550.027 Hoheit des Sittengesetzes seien. Der weitere Erweis dürfte hier überflüssig pba_550.028 sein; es genügt, an die bedenkliche Verwandtschaft zu erinnern, pba_550.029 in der diese Theorie zu jener Praxis steht, die niemand schärfer gegeißelt pba_550.030 hat als Schiller selbst in den Versen von der Tugend, die zu pba_550.031 ihrem Teile kommt, wenn das Laster abgewirtschaftet hat. Das Beispiel pba_550.032 von Shakespeares Richard III., das Schiller in etwas anderm Zusammenhange pba_550.033 hierbei anführt, beweist, wie oben1 schon erörtert, nichts pba_550.034 für seine Behauptung. Die Handlung ist nicht tragisch, sondern sie pba_550.035 gehört dem Schauspiel an. Daß in diesem die Handlung eine Kette pba_550.036 von Verbrechen darstellen kann, die der Vergeltung auf irgend eine pba_550.037 Weise zueilen, ist unwidersprechlich; allein Aufgabe und Wirkungszweck pba_550.038 ist hier auf ebenso rein ästhetische Grundsätze gestellt wie in der Tragödie
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von Shakespeares Richard III., das Schiller in etwas anderm Zusammenhange pba_550.033
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/568>, abgerufen am 31.10.2024.
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