pba_040.001 griff des "Jdeals in der Seele des Genies". Nein! alle Künste ahmen, pba_040.002 jede auf ihre Weise, dasselbe nach: die Seelenvorgänge, von denen doch pba_040.003 zuletzt alles uns Menschen faß- und darstellbare Leben ausgeht! Aber pba_040.004 diese Einheit umfaßt eine unendliche Mannigfaltigkeit, die es pba_040.005 gilt nach ihren Hauptgattungen zu zerlegen und im einzelnen genau zu pba_040.006 bestimmen. So ergibt sich mit der präcisen Bestimmung des Nachahmungs pba_040.007 objektes zugleich auch die eben so bestimmte Feststellung des pba_040.008 dadurch zu erreichenden Zweckes, woraus dann weiter die dazu anzuwendenden pba_040.009 Mittel und die Art und Weise ihrer Verwendung mit Sicherheit pba_040.010 abgeleitet werden können. Einzig und allein auf diese Weise kann pba_040.011 ein fester und zuverlässiger Maßstab für die Beurteilung ästhetischer pba_040.012 Fragen gewonnen werden; das einzige Gebiet, auf welchem dieser Maßstab pba_040.013 eine konsequent durchgeführte Anwendung gefunden hat, ist zugleich pba_040.014 das einzige, für das wir ein in den Grundzügen völlig ausgearbeitetes pba_040.015 Gesetzbuch besitzen, die Tragödie und ihre Gesetzgebung in der aristotelischen pba_040.016 Poetik!
pba_040.017 Die Untersuchung gelangt also hier zu demselben Endziel, zu welchem pba_040.018 sie auch in betreff der poetischen Nachahmung von Handlungen führte. pba_040.019 Wie der Poesie die Darstellung der äußeren Handlung, der Vorgänge pba_040.020 und Begebenheiten nur ein Mittel ist das geistige Moment der eigentlichen pba_040.021 inneren Handlung zur Erscheinung zu bringen, diese also das pba_040.022 Objekt der Nachahmung, jene die Art und Weise derselben (tropos pba_040.023 mimeseos) ist, so ist auch die Schilderung der Körperwelt ihr nur pba_040.024 eines von den Mitteln, das zweite Hauptobjekt ihrer Nachahmung, Empfindungen,pba_040.025 darzustellen, also auch nur eine von den Arten und Weisen pba_040.026 der Mimesis. Wenn die Poesie dabei mit Vorliebe die Körper durch pba_040.027 zeitliche Succession in fortschreitender Bewegung zu veranschaulichen sucht, pba_040.028 so liegt das allerdings an ihrem Material (ule), der Sprache; der pba_040.029 Grund dieser Vorliebe liegt aber nicht in dem äußeren Umstande, daß pba_040.030 in der Sprache die Worte zeitlich aufeinander folgen, sondern in der pba_040.031 innersten Natur dieser Art von Nachahmung, welche um ihren Zweck zu pba_040.032 erreichen keineswegs der Vollständigkeit des koexistierenden pba_040.033 Materials bei den von ihr als Mittel benützten Körpern bedarf, pba_040.034 sondern nur der Hervorhebung der einzelnen die Empfindung pba_040.035 erregenden Züge; das geschieht am sichersten und wirksamsten, pba_040.036 wenn ihnen als den Resultaten bewußten Seins, Wollens und Bewegens pba_040.037 durch die Poesie ein der Empfindung homogenes, psychisches pba_040.038 Leben geliehen wird.
pba_040.039 Daß es aber Fälle geben kann, wo die bloße Erwähnung der einzelnen pba_040.040 Züge, die bloße Aufzählung der Körperobjekte für die poetische Schilde-
pba_040.001 griff des „Jdeals in der Seele des Genies“. Nein! alle Künste ahmen, pba_040.002 jede auf ihre Weise, dasselbe nach: die Seelenvorgänge, von denen doch pba_040.003 zuletzt alles uns Menschen faß- und darstellbare Leben ausgeht! Aber pba_040.004 diese Einheit umfaßt eine unendliche Mannigfaltigkeit, die es pba_040.005 gilt nach ihren Hauptgattungen zu zerlegen und im einzelnen genau zu pba_040.006 bestimmen. So ergibt sich mit der präcisen Bestimmung des Nachahmungs pba_040.007 objektes zugleich auch die eben so bestimmte Feststellung des pba_040.008 dadurch zu erreichenden Zweckes, woraus dann weiter die dazu anzuwendenden pba_040.009 Mittel und die Art und Weise ihrer Verwendung mit Sicherheit pba_040.010 abgeleitet werden können. Einzig und allein auf diese Weise kann pba_040.011 ein fester und zuverlässiger Maßstab für die Beurteilung ästhetischer pba_040.012 Fragen gewonnen werden; das einzige Gebiet, auf welchem dieser Maßstab pba_040.013 eine konsequent durchgeführte Anwendung gefunden hat, ist zugleich pba_040.014 das einzige, für das wir ein in den Grundzügen völlig ausgearbeitetes pba_040.015 Gesetzbuch besitzen, die Tragödie und ihre Gesetzgebung in der aristotelischen pba_040.016 Poetik!
pba_040.017 Die Untersuchung gelangt also hier zu demselben Endziel, zu welchem pba_040.018 sie auch in betreff der poetischen Nachahmung von Handlungen führte. pba_040.019 Wie der Poesie die Darstellung der äußeren Handlung, der Vorgänge pba_040.020 und Begebenheiten nur ein Mittel ist das geistige Moment der eigentlichen pba_040.021 inneren Handlung zur Erscheinung zu bringen, diese also das pba_040.022 Objekt der Nachahmung, jene die Art und Weise derselben (τρόπος pba_040.023 μιμήσεως) ist, so ist auch die Schilderung der Körperwelt ihr nur pba_040.024 eines von den Mitteln, das zweite Hauptobjekt ihrer Nachahmung, Empfindungen,pba_040.025 darzustellen, also auch nur eine von den Arten und Weisen pba_040.026 der Mimesis. Wenn die Poesie dabei mit Vorliebe die Körper durch pba_040.027 zeitliche Succession in fortschreitender Bewegung zu veranschaulichen sucht, pba_040.028 so liegt das allerdings an ihrem Material (ὕλη), der Sprache; der pba_040.029 Grund dieser Vorliebe liegt aber nicht in dem äußeren Umstande, daß pba_040.030 in der Sprache die Worte zeitlich aufeinander folgen, sondern in der pba_040.031 innersten Natur dieser Art von Nachahmung, welche um ihren Zweck zu pba_040.032 erreichen keineswegs der Vollständigkeit des koexistierenden pba_040.033 Materials bei den von ihr als Mittel benützten Körpern bedarf, pba_040.034 sondern nur der Hervorhebung der einzelnen die Empfindung pba_040.035 erregenden Züge; das geschieht am sichersten und wirksamsten, pba_040.036 wenn ihnen als den Resultaten bewußten Seins, Wollens und Bewegens pba_040.037 durch die Poesie ein der Empfindung homogenes, psychisches pba_040.038 Leben geliehen wird.
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griff des „Jdeals in der Seele des Genies“. Nein! alle Künste ahmen, pba_040.002
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/58>, abgerufen am 21.11.2024.
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