pba_039.001 läßt und durch welche er seinerseits allein die Nachahmung jener pba_039.002 erreichen kann.
pba_039.003 Auch der Maler wird dazu noch nicht in den Stand gesetzt selbst pba_039.004 durch das treueste Studium der Natur, durch welches er ihre Erscheinungen pba_039.005 bis in die kleinsten Züge kennen lernen muß, ohne doch den pba_039.006 Blick für das Ganze dadurch zu verlieren. Das allein würde ihn pba_039.007 doch nur zum Kopisten machen, der bei der bloßen Virtuosität in der pba_039.008 Hervorbringung der Kunstmittel stehen bliebe: zum Künstler wird er pba_039.009 erst dadurch, daß er durch die sicherste Beobachtung der Wirkung pba_039.010 jedes der tausend Züge des großen Antlitzes der Natur auf das eigene pba_039.011 Jnnere es nun versteht, in absichtsvoller Komposition dieselben zu dem pba_039.012 einheitlichen Ausdruck eines selbst erfahrenen Seelenvorganges oder -Zustandes pba_039.013 zu gestalten; zu einer Nachahmung desselben, die eben darum pba_039.014 auch unfehlbar denselben Vorgang bei ihm ähnlich Gearteten hervorbringen pba_039.015 muß. Der große Künstler aber ist der, dessen Empfinden zugleich das pba_039.016 stärkste und reichste und das gesundeste ist, deshalb für die ganze Gattung pba_039.017 gültig, einen Jeden bewegend und sein individuelles Empfinden erweiternd, pba_039.018 läuternd und zu dem allgemein menschlichen erhebend.
pba_039.019 Das Gesetz also ist ein und dasselbe für die Poesie wie für pba_039.020 die bildenden Künste:
pba_039.021 Das Materielle der Körperwelt ist nicht Gegenstand der pba_039.022 künstlerischen Nachahmung, sondern Mittel.
pba_039.023 Jhr Gegenstand ist geistiger Natur und einheitlich, mag pba_039.024 sie sich nun des Mittels der Körperwelt bedienen oder pba_039.025 anderer, die ihr zu Gebot stehen, seien es Handlungen oder pba_039.026 Bewegungen oder Töne oder ganz frei erfundene Formen.
pba_039.027 Alle Kunst hat die Aufgabe, seelische Vorgänge im weitesten pba_039.028 Sinne darstellend hervorzubringen oder, wie die Alten sagten, sie nachzuahmen.pba_039.029 Was das Leben erfüllt als sein wesentlichster Jnhalt in pba_039.030 allen seinen Vorgängen und Erscheinungen, das reproduziert die pba_039.031 Kunst selbständig, sie stellt es dar, dem Leben folgend, diesen seinen pba_039.032 wesentlichen Jnhalt nachahmend mit den Mitteln, die sie jedesmal aufzuwenden pba_039.033 hat: ule kai tropois mimeseos diapherousin, telos d'apasin pba_039.034 \en upokeitai.
pba_039.035 So ist es denn auch ganz unberechtigt, obwohl es überall geschieht, pba_039.036 des Aristoteles Theorie der Mimesis damit bekämpfen zu wollen, daß pba_039.037 man sagt: Mag also die Poesie Handlungen, die Plastik Körper nachahmen, pba_039.038 welche Naturobjekte liegen denn aber der Musik oder der Architektur pba_039.039 zu Grunde? Damit meint man die Nachahmungstheorie kurzer pba_039.040 Hand beseitigt zu haben und an ihre Stelle tritt der unbestimmte Be-
pba_039.001 läßt und durch welche er seinerseits allein die Nachahmung jener pba_039.002 erreichen kann.
pba_039.003 Auch der Maler wird dazu noch nicht in den Stand gesetzt selbst pba_039.004 durch das treueste Studium der Natur, durch welches er ihre Erscheinungen pba_039.005 bis in die kleinsten Züge kennen lernen muß, ohne doch den pba_039.006 Blick für das Ganze dadurch zu verlieren. Das allein würde ihn pba_039.007 doch nur zum Kopisten machen, der bei der bloßen Virtuosität in der pba_039.008 Hervorbringung der Kunstmittel stehen bliebe: zum Künstler wird er pba_039.009 erst dadurch, daß er durch die sicherste Beobachtung der Wirkung pba_039.010 jedes der tausend Züge des großen Antlitzes der Natur auf das eigene pba_039.011 Jnnere es nun versteht, in absichtsvoller Komposition dieselben zu dem pba_039.012 einheitlichen Ausdruck eines selbst erfahrenen Seelenvorganges oder -Zustandes pba_039.013 zu gestalten; zu einer Nachahmung desselben, die eben darum pba_039.014 auch unfehlbar denselben Vorgang bei ihm ähnlich Gearteten hervorbringen pba_039.015 muß. Der große Künstler aber ist der, dessen Empfinden zugleich das pba_039.016 stärkste und reichste und das gesundeste ist, deshalb für die ganze Gattung pba_039.017 gültig, einen Jeden bewegend und sein individuelles Empfinden erweiternd, pba_039.018 läuternd und zu dem allgemein menschlichen erhebend.
pba_039.019 Das Gesetz also ist ein und dasselbe für die Poesie wie für pba_039.020 die bildenden Künste:
pba_039.021 Das Materielle der Körperwelt ist nicht Gegenstand der pba_039.022 künstlerischen Nachahmung, sondern Mittel.
pba_039.023 Jhr Gegenstand ist geistiger Natur und einheitlich, mag pba_039.024 sie sich nun des Mittels der Körperwelt bedienen oder pba_039.025 anderer, die ihr zu Gebot stehen, seien es Handlungen oder pba_039.026 Bewegungen oder Töne oder ganz frei erfundene Formen.
pba_039.027 Alle Kunst hat die Aufgabe, seelische Vorgänge im weitesten pba_039.028 Sinne darstellend hervorzubringen oder, wie die Alten sagten, sie nachzuahmen.pba_039.029 Was das Leben erfüllt als sein wesentlichster Jnhalt in pba_039.030 allen seinen Vorgängen und Erscheinungen, das reproduziert die pba_039.031 Kunst selbständig, sie stellt es dar, dem Leben folgend, diesen seinen pba_039.032 wesentlichen Jnhalt nachahmend mit den Mitteln, die sie jedesmal aufzuwenden pba_039.033 hat: ὕλῃ καὶ τρόποις μιμήσεως διαφέρουσιν, τέλος δ'ἅπασιν pba_039.034 \̔εν ὑπόκειται.
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Das Gesetz also ist ein und dasselbe für die Poesie wie für pba_039.020
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/57>, abgerufen am 21.11.2024.
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