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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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auf dem Bewußtsein, mit welchem die Art und Weise seiner Beurteilung pba_703.002
das Gemüt erfüllt. Ohne den Gegenstand, der uns als schön oder erhaben pba_703.003
erscheint, nach Begriffen zu bestimmen, ohne ihn nach irgend einem pba_703.004
Zwecke zu messen, sondern lediglich in der Vorstellung oder, wie Kant pba_703.005
es nennt, mit der Einbildungskraft, seine Teile zu einem Gesamtbilde pba_703.006
vereinigend, werden wir durch ein unmittelbar gefälltes Urteil uns seiner pba_703.007
Zusammenstimmung mit den Forderungen des Verstandes bewußt, pba_703.008
Forderungen, die, nach Kant, der Urteilskraft durch eine unbewußte pba_703.009
und unmittelbar sich vollziehende Reflexion auf die überhaupt geltenden pba_703.010
Gesetze des Verstandes immerfort gegenwärtig sind. So kommt das pba_703.011
zustande, was unter einem seltsam paradox klingenden Ausdruck in der pba_703.012
Kritik der Urteilskraft unaufhörlich wiederkehrt und den Eckstein des pba_703.013
ganzen Systems bildet: ein Urteil, welches auf Verstandeserkenntnis pba_703.014
reflektierend Bezug nimmt und doch ohne alle Begriffe gefällt wird, das pba_703.015
ferner eine Zweckmäßigkeit zu lebhaftestem Bewußtsein bringt, ohne pba_703.016
doch irgend einen Zweck dabei ins Auge zu fassen. Die bloße Harmonie pba_703.017
der durch die Einbildungskraft gewonnenen Vorstellung mit dem durch pba_703.018
jene allgemeine Reflexion ins Bewußtsein tretenden, das All beherrschenden pba_703.019
Verstandesgesetze erfülle das Gemüt mit dem Gefühl einer in diesem pba_703.020
Urteile gegebenen Zweckmäßigkeit, einer Zweckmäßigkeit also, die in der pba_703.021
Thätigkeit der Urteilskraft
selbst enthalten ist, nirgend anders pba_703.022
ihren Sitz hat. Jn dieser Zweckmäßigkeit, dieser Harmonie mit dem pba_703.023
allgemein gültigen Erkenntnisgesetz liegt das Princip a priori der Urteilskraft pba_703.024
und daher die allgemein verbindliche Gültigkeit der Geschmacksurteile pba_703.025
über das Schöne und Erhabene.

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Es ist leicht zu erkennen, was in diesem System den Jdealisten pba_703.027
Anstoß gibt, ja sie gelegentlich zur Empörung bringt, da sie das Wahre, pba_703.028
Gute, Schöne in den Eigenschaften der Dinge finden, den Jdeen desselben pba_703.029
daher ein von Uranfang her gegebenes Dasein zuschreiben und pba_703.030
die Lust an der Wahrnehmung derselben darauf zurückführen, daß die pba_703.031
Erinnerung oder Ahnung derselben, jedenfalls die Fähigkeit ihrer Aufnahme pba_703.032
eine durch die Erschaffung der Seele mitgeteilte Gabe sei, ein pba_703.033
Beweis ihres göttlichen Ursprungs.

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Allerdings läßt es sich nicht leugnen, daß Kant durch sein System pba_703.035
zu befremdenden Konsequenzen sich führen läßt: wenn er z. B. sehr pba_703.036
nachdrücklich behauptet, daß das Naturschöne einer jeden Art des Kunstschönen pba_703.037
weit überlegen sei; ferner, daß "das Gefühl fürs Schöne nicht pba_703.038
allein vom moralischen Gefühl specifisch unterschieden sei, sondern auch pba_703.039
das Jnteresse, welches man damit verbinden kann, mit dem moralischen pba_703.040
schwer, keineswegs aber durch innere Affinität, vereinbar zu

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auf dem Bewußtsein, mit welchem die Art und Weise seiner Beurteilung pba_703.002
das Gemüt erfüllt. Ohne den Gegenstand, der uns als schön oder erhaben pba_703.003
erscheint, nach Begriffen zu bestimmen, ohne ihn nach irgend einem pba_703.004
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es nennt, mit der Einbildungskraft, seine Teile zu einem Gesamtbilde pba_703.006
vereinigend, werden wir durch ein unmittelbar gefälltes Urteil uns seiner pba_703.007
Zusammenstimmung mit den Forderungen des Verstandes bewußt, pba_703.008
Forderungen, die, nach Kant, der Urteilskraft durch eine unbewußte pba_703.009
und unmittelbar sich vollziehende Reflexion auf die überhaupt geltenden pba_703.010
Gesetze des Verstandes immerfort gegenwärtig sind. So kommt das pba_703.011
zustande, was unter einem seltsam paradox klingenden Ausdruck in der pba_703.012
Kritik der Urteilskraft unaufhörlich wiederkehrt und den Eckstein des pba_703.013
ganzen Systems bildet: ein Urteil, welches auf Verstandeserkenntnis pba_703.014
reflektierend Bezug nimmt und doch ohne alle Begriffe gefällt wird, das pba_703.015
ferner eine Zweckmäßigkeit zu lebhaftestem Bewußtsein bringt, ohne pba_703.016
doch irgend einen Zweck dabei ins Auge zu fassen. Die bloße Harmonie pba_703.017
der durch die Einbildungskraft gewonnenen Vorstellung mit dem durch pba_703.018
jene allgemeine Reflexion ins Bewußtsein tretenden, das All beherrschenden pba_703.019
Verstandesgesetze erfülle das Gemüt mit dem Gefühl einer in diesem pba_703.020
Urteile gegebenen Zweckmäßigkeit, einer Zweckmäßigkeit also, die in der pba_703.021
Thätigkeit der Urteilskraft
selbst enthalten ist, nirgend anders pba_703.022
ihren Sitz hat. Jn dieser Zweckmäßigkeit, dieser Harmonie mit dem pba_703.023
allgemein gültigen Erkenntnisgesetz liegt das Princip a priori der Urteilskraft pba_703.024
und daher die allgemein verbindliche Gültigkeit der Geschmacksurteile pba_703.025
über das Schöne und Erhabene.

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Es ist leicht zu erkennen, was in diesem System den Jdealisten pba_703.027
Anstoß gibt, ja sie gelegentlich zur Empörung bringt, da sie das Wahre, pba_703.028
Gute, Schöne in den Eigenschaften der Dinge finden, den Jdeen desselben pba_703.029
daher ein von Uranfang her gegebenes Dasein zuschreiben und pba_703.030
die Lust an der Wahrnehmung derselben darauf zurückführen, daß die pba_703.031
Erinnerung oder Ahnung derselben, jedenfalls die Fähigkeit ihrer Aufnahme pba_703.032
eine durch die Erschaffung der Seele mitgeteilte Gabe sei, ein pba_703.033
Beweis ihres göttlichen Ursprungs.

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Allerdings läßt es sich nicht leugnen, daß Kant durch sein System pba_703.035
zu befremdenden Konsequenzen sich führen läßt: wenn er z. B. sehr pba_703.036
nachdrücklich behauptet, daß das Naturschöne einer jeden Art des Kunstschönen pba_703.037
weit überlegen sei; ferner, daß „das Gefühl fürs Schöne nicht pba_703.038
allein vom moralischen Gefühl specifisch unterschieden sei, sondern auch pba_703.039
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[703/0721] pba_703.001 auf dem Bewußtsein, mit welchem die Art und Weise seiner Beurteilung pba_703.002 das Gemüt erfüllt. Ohne den Gegenstand, der uns als schön oder erhaben pba_703.003 erscheint, nach Begriffen zu bestimmen, ohne ihn nach irgend einem pba_703.004 Zwecke zu messen, sondern lediglich in der Vorstellung oder, wie Kant pba_703.005 es nennt, mit der Einbildungskraft, seine Teile zu einem Gesamtbilde pba_703.006 vereinigend, werden wir durch ein unmittelbar gefälltes Urteil uns seiner pba_703.007 Zusammenstimmung mit den Forderungen des Verstandes bewußt, pba_703.008 Forderungen, die, nach Kant, der Urteilskraft durch eine unbewußte pba_703.009 und unmittelbar sich vollziehende Reflexion auf die überhaupt geltenden pba_703.010 Gesetze des Verstandes immerfort gegenwärtig sind. So kommt das pba_703.011 zustande, was unter einem seltsam paradox klingenden Ausdruck in der pba_703.012 Kritik der Urteilskraft unaufhörlich wiederkehrt und den Eckstein des pba_703.013 ganzen Systems bildet: ein Urteil, welches auf Verstandeserkenntnis pba_703.014 reflektierend Bezug nimmt und doch ohne alle Begriffe gefällt wird, das pba_703.015 ferner eine Zweckmäßigkeit zu lebhaftestem Bewußtsein bringt, ohne pba_703.016 doch irgend einen Zweck dabei ins Auge zu fassen. Die bloße Harmonie pba_703.017 der durch die Einbildungskraft gewonnenen Vorstellung mit dem durch pba_703.018 jene allgemeine Reflexion ins Bewußtsein tretenden, das All beherrschenden pba_703.019 Verstandesgesetze erfülle das Gemüt mit dem Gefühl einer in diesem pba_703.020 Urteile gegebenen Zweckmäßigkeit, einer Zweckmäßigkeit also, die in der pba_703.021 Thätigkeit der Urteilskraft selbst enthalten ist, nirgend anders pba_703.022 ihren Sitz hat. Jn dieser Zweckmäßigkeit, dieser Harmonie mit dem pba_703.023 allgemein gültigen Erkenntnisgesetz liegt das Princip a priori der Urteilskraft pba_703.024 und daher die allgemein verbindliche Gültigkeit der Geschmacksurteile pba_703.025 über das Schöne und Erhabene. pba_703.026 Es ist leicht zu erkennen, was in diesem System den Jdealisten pba_703.027 Anstoß gibt, ja sie gelegentlich zur Empörung bringt, da sie das Wahre, pba_703.028 Gute, Schöne in den Eigenschaften der Dinge finden, den Jdeen desselben pba_703.029 daher ein von Uranfang her gegebenes Dasein zuschreiben und pba_703.030 die Lust an der Wahrnehmung derselben darauf zurückführen, daß die pba_703.031 Erinnerung oder Ahnung derselben, jedenfalls die Fähigkeit ihrer Aufnahme pba_703.032 eine durch die Erschaffung der Seele mitgeteilte Gabe sei, ein pba_703.033 Beweis ihres göttlichen Ursprungs. pba_703.034 Allerdings läßt es sich nicht leugnen, daß Kant durch sein System pba_703.035 zu befremdenden Konsequenzen sich führen läßt: wenn er z. B. sehr pba_703.036 nachdrücklich behauptet, daß das Naturschöne einer jeden Art des Kunstschönen pba_703.037 weit überlegen sei; ferner, daß „das Gefühl fürs Schöne nicht pba_703.038 allein vom moralischen Gefühl specifisch unterschieden sei, sondern auch pba_703.039 das Jnteresse, welches man damit verbinden kann, mit dem moralischen pba_703.040 schwer, keineswegs aber durch innere Affinität, vereinbar zu

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/721>, abgerufen am 22.11.2024.