pba_074.001 Gewissermaßen zur Entschädigung jedoch sind ihr Gebiete geöffnet, welche pba_074.002 der Ballade fast ganz verschlossen sind. Das Sonderbare, Anekdotenhafte, pba_074.003 die witzige Pointe und sogar die Jronie haben in der Romanzendichtung pba_074.004 eine entschiedene Berechtigung, da sie insgesamt sehr wohl dazu pba_074.005 dienen die Seltsamkeit und damit das innere Wesen der die romantische pba_074.006 Gesellschaft kennzeichnenden "ethischen" Stimmungen nachahmend zu veranschaulichen. pba_074.007 Alle diese Merkmale finden sich bei den Mustern der pba_074.008 Gattung, in der provencalischen und spanischen Romanzenlitteratur und pba_074.009 so auch bei denjenigen unsrer modernen deutschen Dichter, welche diesen pba_074.010 Mustern am engsten sich angeschlossen haben: in Herders Umdichtungen pba_074.011 der Cid-Romanzen und in Uhlands an die französischen Vorbilder pba_074.012 sich haltenden Romanzen, wie "Bertran de Born", "Rudello", "der pba_074.013 Kastellan von Couci", "Don Massias", "Taillefer", ferner pba_074.014 in der ganze Reihe seiner Rolands- und König Karls -Lieder. Man pba_074.015 darf mit diesen Uhlandschen Romanzen nur Gedichte wie Schillerspba_074.016 "Kampf mit dem Drachen" und "Handschuh" zusammenhalten, pba_074.017 welche ja auch entschieden romantische Stoffe behandeln, um sofort die pba_074.018 Grenze zwischen der liedartigen und sangbaren Romanze und der bloßen pba_074.019 poetischen Erzählung zu erkennen, mag sie auch mit dem besten romantischen pba_074.020 Apparate geschmückt sein. Der epische Charakter ist in den letzteren pba_074.021 entschieden an die Stelle des lyrischen getreten. Die einzelne Handlung pba_074.022 interessiert durch sich und um ihrer selbst willen, sie ist keineswegs pba_074.023 nur dem Stimmungscharakter dienstbar und zu seinen Gunsten gewissermaßen pba_074.024 verflüchtigt.
pba_074.025 Es wäre ein nur scheinbarer Einwand, wenn man für die vermeintlich pba_074.026 epische Grundanlange der Romanze den Umstand ins Feld pba_074.027 führen wollte, daß sie die Tendenz hat zu einem Cyklus sich zu erweitern, pba_074.028 und wenn man einen solchen Romanzen-Cyklus als ein pba_074.029 Epos ansehen wollte.
pba_074.030 Jene Tendenz der Romanze erklärt sich nicht allein aus ihrem pba_074.031 Wesen, sondern sie ist als eine sich daraus mit Notwendigkeit ergebende pba_074.032 Konsequenz zu betrachten. Wenn es der Jnhalt jeder einzelnen Romanze pba_074.033 ist, irgend eine Seite des, sozusagen, romantischen Gesamtethos nachzuahmen, pba_074.034 so konnte das Bestreben nicht ausbleiben, diese Gesamtheitpba_074.035 nun auch in einer Reihe einzelner Gesänge, von denen jeder für sich gesonderten pba_074.036 Bestand hat, zum Ausdruck zu bringen. Die Einheit für diese pba_074.037 Reihe mußte sich ganz von selbst darbieten, da überall die Sage geschäftig pba_074.038 war, die Summe der den Zeitcharakter erfüllenden Eigenschaften pba_074.039 und Gesinnungen in einem Helden als ihrem Typus zusammenzutragen. pba_074.040 Nur die Person dieses Helden und der Faden des
pba_074.001 Gewissermaßen zur Entschädigung jedoch sind ihr Gebiete geöffnet, welche pba_074.002 der Ballade fast ganz verschlossen sind. Das Sonderbare, Anekdotenhafte, pba_074.003 die witzige Pointe und sogar die Jronie haben in der Romanzendichtung pba_074.004 eine entschiedene Berechtigung, da sie insgesamt sehr wohl dazu pba_074.005 dienen die Seltsamkeit und damit das innere Wesen der die romantische pba_074.006 Gesellschaft kennzeichnenden „ethischen“ Stimmungen nachahmend zu veranschaulichen. pba_074.007 Alle diese Merkmale finden sich bei den Mustern der pba_074.008 Gattung, in der provençalischen und spanischen Romanzenlitteratur und pba_074.009 so auch bei denjenigen unsrer modernen deutschen Dichter, welche diesen pba_074.010 Mustern am engsten sich angeschlossen haben: in Herders Umdichtungen pba_074.011 der Cid-Romanzen und in Uhlands an die französischen Vorbilder pba_074.012 sich haltenden Romanzen, wie „Bertran de Born“, „Rudello“, „der pba_074.013 Kastellan von Couci“, „Don Massias“, „Taillefer“, ferner pba_074.014 in der ganze Reihe seiner Rolands- und König Karls -Lieder. Man pba_074.015 darf mit diesen Uhlandschen Romanzen nur Gedichte wie Schillerspba_074.016 „Kampf mit dem Drachen“ und „Handschuh“ zusammenhalten, pba_074.017 welche ja auch entschieden romantische Stoffe behandeln, um sofort die pba_074.018 Grenze zwischen der liedartigen und sangbaren Romanze und der bloßen pba_074.019 poetischen Erzählung zu erkennen, mag sie auch mit dem besten romantischen pba_074.020 Apparate geschmückt sein. Der epische Charakter ist in den letzteren pba_074.021 entschieden an die Stelle des lyrischen getreten. Die einzelne Handlung pba_074.022 interessiert durch sich und um ihrer selbst willen, sie ist keineswegs pba_074.023 nur dem Stimmungscharakter dienstbar und zu seinen Gunsten gewissermaßen pba_074.024 verflüchtigt.
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pba_074.030 Jene Tendenz der Romanze erklärt sich nicht allein aus ihrem pba_074.031 Wesen, sondern sie ist als eine sich daraus mit Notwendigkeit ergebende pba_074.032 Konsequenz zu betrachten. Wenn es der Jnhalt jeder einzelnen Romanze pba_074.033 ist, irgend eine Seite des, sozusagen, romantischen Gesamtethos nachzuahmen, pba_074.034 so konnte das Bestreben nicht ausbleiben, diese Gesamtheitpba_074.035 nun auch in einer Reihe einzelner Gesänge, von denen jeder für sich gesonderten pba_074.036 Bestand hat, zum Ausdruck zu bringen. Die Einheit für diese pba_074.037 Reihe mußte sich ganz von selbst darbieten, da überall die Sage geschäftig pba_074.038 war, die Summe der den Zeitcharakter erfüllenden Eigenschaften pba_074.039 und Gesinnungen in einem Helden als ihrem Typus zusammenzutragen. pba_074.040 Nur die Person dieses Helden und der Faden des
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Gewissermaßen zur Entschädigung jedoch sind ihr Gebiete geöffnet, welche pba_074.002
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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