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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Gewissermaßen zur Entschädigung jedoch sind ihr Gebiete geöffnet, welche pba_074.002
der Ballade fast ganz verschlossen sind. Das Sonderbare, Anekdotenhafte, pba_074.003
die witzige Pointe und sogar die Jronie haben in der Romanzendichtung pba_074.004
eine entschiedene Berechtigung, da sie insgesamt sehr wohl dazu pba_074.005
dienen die Seltsamkeit und damit das innere Wesen der die romantische pba_074.006
Gesellschaft kennzeichnenden "ethischen" Stimmungen nachahmend zu veranschaulichen. pba_074.007
Alle diese Merkmale finden sich bei den Mustern der pba_074.008
Gattung, in der provencalischen und spanischen Romanzenlitteratur und pba_074.009
so auch bei denjenigen unsrer modernen deutschen Dichter, welche diesen pba_074.010
Mustern am engsten sich angeschlossen haben: in Herders Umdichtungen pba_074.011
der Cid-Romanzen und in Uhlands an die französischen Vorbilder pba_074.012
sich haltenden Romanzen, wie "Bertran de Born", "Rudello", "der pba_074.013
Kastellan von Couci
", "Don Massias", "Taillefer", ferner pba_074.014
in der ganze Reihe seiner Rolands- und König Karls -Lieder. Man pba_074.015
darf mit diesen Uhlandschen Romanzen nur Gedichte wie Schillers pba_074.016
"Kampf mit dem Drachen" und "Handschuh" zusammenhalten, pba_074.017
welche ja auch entschieden romantische Stoffe behandeln, um sofort die pba_074.018
Grenze zwischen der liedartigen und sangbaren Romanze und der bloßen pba_074.019
poetischen Erzählung zu erkennen, mag sie auch mit dem besten romantischen pba_074.020
Apparate geschmückt sein. Der epische Charakter ist in den letzteren pba_074.021
entschieden an die Stelle des lyrischen getreten. Die einzelne Handlung pba_074.022
interessiert durch sich und um ihrer selbst willen, sie ist keineswegs pba_074.023
nur dem Stimmungscharakter dienstbar und zu seinen Gunsten gewissermaßen pba_074.024
verflüchtigt.

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Es wäre ein nur scheinbarer Einwand, wenn man für die vermeintlich pba_074.026
epische Grundanlange der Romanze den Umstand ins Feld pba_074.027
führen wollte, daß sie die Tendenz hat zu einem Cyklus sich zu erweitern, pba_074.028
und wenn man einen solchen Romanzen-Cyklus als ein pba_074.029
Epos ansehen wollte.

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Jene Tendenz der Romanze erklärt sich nicht allein aus ihrem pba_074.031
Wesen, sondern sie ist als eine sich daraus mit Notwendigkeit ergebende pba_074.032
Konsequenz zu betrachten. Wenn es der Jnhalt jeder einzelnen Romanze pba_074.033
ist, irgend eine Seite des, sozusagen, romantischen Gesamtethos nachzuahmen, pba_074.034
so konnte das Bestreben nicht ausbleiben, diese Gesamtheit pba_074.035
nun auch in einer Reihe einzelner Gesänge, von denen jeder für sich gesonderten pba_074.036
Bestand hat, zum Ausdruck zu bringen. Die Einheit für diese pba_074.037
Reihe mußte sich ganz von selbst darbieten, da überall die Sage geschäftig pba_074.038
war, die Summe der den Zeitcharakter erfüllenden Eigenschaften pba_074.039
und Gesinnungen in einem Helden als ihrem Typus zusammenzutragen. pba_074.040
Nur die Person dieses Helden und der Faden des

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Gewissermaßen zur Entschädigung jedoch sind ihr Gebiete geöffnet, welche pba_074.002
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Mustern am engsten sich angeschlossen haben: in Herders Umdichtungen pba_074.011
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Kampf mit dem Drachen“ und „Handschuh“ zusammenhalten, pba_074.017
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Es wäre ein nur scheinbarer Einwand, wenn man für die vermeintlich pba_074.026
epische Grundanlange der Romanze den Umstand ins Feld pba_074.027
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und wenn man einen solchen Romanzen-Cyklus als ein pba_074.029
Epos ansehen wollte.

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Jene Tendenz der Romanze erklärt sich nicht allein aus ihrem pba_074.031
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/92>, abgerufen am 24.11.2024.