Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
wissenschaft, d. h. als eine Wissenschaft für den Staat oder Staatsbeamten betrachtet,
gleich als ob er nicht eine weitere Bedeutung habe. Man vergaß, daß es sehr
wichtige Einrichtungen im Verkehrsleben gibt, welchen der Staat ganz fremd bleiben
soll und für deren Stiftung die Nationalöconomie die Grundsätze und Maximen lehrt,
und daß der Staat diese blos zu befolgen nöthig hat, wenn er nothgedrungen z. B.
im Steuerwesen, oder zur Unterstützung der Volksgewerbsamkeit, wo die Kräfte der
Nation nicht mehr zureichen, in das Gewerbswesen und in den Verkehr eingreift,
während sie dem Einzelnen und den Gesellschaften im Gewerbswesen stets unent-
behrlich sind. Der Ausdruck volkswirthschaftliche Betriebslehre vermeidet
diese Abwege und bezeichnet die nahe Verknüpfung, in welcher die Volkswirth-
schaftslehre zum praktischen Leben steht.
§. 395.
Geschichtliches.

Die Wissenschaft von der Volkswirthschaft ist, obschon man
sie als die erste Bedingung für die Erforschung des Völker- und
Staatslebens betrachten muß, in ihrer jetzigen Gestalt erst ein
Erzeugniß der neueren und neuesten Zeit. Wenigstens ist so viel
gewiß, daß die neuern abendländischen Staaten und Völker darin
keinen wissenschaftlichen Unterricht von den alten südländischen
empfangen haben, sondern die Grundsätze aus eigenen Erfahrungen
und Studien sammelten. Hieraus und aus dem Wenigen, was
uns in den literarischen Resten aus der alten Zeit darüber zu-
gänglich wurde, zu schließen, daß die Alten davon so viel als
nichts gewußt oder gar geahnet hätten, muß als ein Fehlschluß
erscheinen1). Das älteste orientalische Völkerleben ist für uns noch
in ein sehr tiefes Dunkel gehüllt, allein was wir von demselben
wissen, das ermächtigt uns mehr zu der Annahme, daß sie den
Volkswohlstand auf eine tiefe nationale Weise zu befördern wußten.
Es ist hierher jedenfalls das phönizische Volk, Babylonien,
Aegypten und Karthago zu rechnen2). Die Griechen, ein
Handelsvolk, hatten verschiedene Einrichtungen zur Förderung des
Handels und der damit zusammenhängenden Gewerbe, wovon man
auf das Vollkommenste berechtigt ist zu dem Schlusse, daß sie es
recht gut verstanden, die Volksgewerb- und Betriebsamkeit so weit
zu unterstützen, als es nach ihren nationalen Ansichten geschehen
mußte3). Die auffallende Verschiedenheit des Charakters der
Griechen und Römer gestattet jedoch auch in dieser Hinsicht wenig
Aehnliches und Gleiches. Als ein kriegerisches und räuberisches
Volk konnten diese nicht auf die friedliche Verwaltung ihrer Colonien
und eroberten Länder in dem Grade kommen, wie Phönizier und
Griechen; ihre ganze Eigenthümlichkeit war dem Gewerbswesen
nicht so geneigt, wie jene Völker. Dennoch aber beschäftigte sich
bekanntlich ihre Gesetzgebung sehr angelegen mit der Leitung des
Ackerbaues und des Handels, der zwei Gewerbe, welche ihrer

wiſſenſchaft, d. h. als eine Wiſſenſchaft für den Staat oder Staatsbeamten betrachtet,
gleich als ob er nicht eine weitere Bedeutung habe. Man vergaß, daß es ſehr
wichtige Einrichtungen im Verkehrsleben gibt, welchen der Staat ganz fremd bleiben
ſoll und für deren Stiftung die Nationalöconomie die Grundſätze und Maximen lehrt,
und daß der Staat dieſe blos zu befolgen nöthig hat, wenn er nothgedrungen z. B.
im Steuerweſen, oder zur Unterſtützung der Volksgewerbſamkeit, wo die Kräfte der
Nation nicht mehr zureichen, in das Gewerbsweſen und in den Verkehr eingreift,
während ſie dem Einzelnen und den Geſellſchaften im Gewerbsweſen ſtets unent-
behrlich ſind. Der Ausdruck volkswirthſchaftliche Betriebslehre vermeidet
dieſe Abwege und bezeichnet die nahe Verknüpfung, in welcher die Volkswirth-
ſchaftslehre zum praktiſchen Leben ſteht.
§. 395.
Geſchichtliches.

Die Wiſſenſchaft von der Volkswirthſchaft iſt, obſchon man
ſie als die erſte Bedingung für die Erforſchung des Völker- und
Staatslebens betrachten muß, in ihrer jetzigen Geſtalt erſt ein
Erzeugniß der neueren und neueſten Zeit. Wenigſtens iſt ſo viel
gewiß, daß die neuern abendländiſchen Staaten und Völker darin
keinen wiſſenſchaftlichen Unterricht von den alten ſüdländiſchen
empfangen haben, ſondern die Grundſätze aus eigenen Erfahrungen
und Studien ſammelten. Hieraus und aus dem Wenigen, was
uns in den literariſchen Reſten aus der alten Zeit darüber zu-
gänglich wurde, zu ſchließen, daß die Alten davon ſo viel als
nichts gewußt oder gar geahnet hätten, muß als ein Fehlſchluß
erſcheinen1). Das älteſte orientaliſche Völkerleben iſt für uns noch
in ein ſehr tiefes Dunkel gehüllt, allein was wir von demſelben
wiſſen, das ermächtigt uns mehr zu der Annahme, daß ſie den
Volkswohlſtand auf eine tiefe nationale Weiſe zu befördern wußten.
Es iſt hierher jedenfalls das phöniziſche Volk, Babylonien,
Aegypten und Karthago zu rechnen2). Die Griechen, ein
Handelsvolk, hatten verſchiedene Einrichtungen zur Förderung des
Handels und der damit zuſammenhängenden Gewerbe, wovon man
auf das Vollkommenſte berechtigt iſt zu dem Schluſſe, daß ſie es
recht gut verſtanden, die Volksgewerb- und Betriebſamkeit ſo weit
zu unterſtützen, als es nach ihren nationalen Anſichten geſchehen
mußte3). Die auffallende Verſchiedenheit des Charakters der
Griechen und Römer geſtattet jedoch auch in dieſer Hinſicht wenig
Aehnliches und Gleiches. Als ein kriegeriſches und räuberiſches
Volk konnten dieſe nicht auf die friedliche Verwaltung ihrer Colonien
und eroberten Länder in dem Grade kommen, wie Phönizier und
Griechen; ihre ganze Eigenthümlichkeit war dem Gewerbsweſen
nicht ſo geneigt, wie jene Völker. Dennoch aber beſchäftigte ſich
bekanntlich ihre Geſetzgebung ſehr angelegen mit der Leitung des
Ackerbaues und des Handels, der zwei Gewerbe, welche ihrer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <note place="end" n="2)"><pb facs="#f0557" n="535"/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, d. h. als eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft für den Staat oder Staatsbeamten betrachtet,<lb/>
gleich als ob er nicht eine weitere Bedeutung habe. Man vergaß, daß es &#x017F;ehr<lb/>
wichtige Einrichtungen im Verkehrsleben gibt, welchen der Staat ganz fremd bleiben<lb/>
&#x017F;oll und für deren Stiftung die Nationalöconomie die Grund&#x017F;ätze und Maximen lehrt,<lb/>
und daß der Staat die&#x017F;e blos zu befolgen nöthig hat, wenn er nothgedrungen z. B.<lb/>
im Steuerwe&#x017F;en, oder zur Unter&#x017F;tützung der Volksgewerb&#x017F;amkeit, wo die Kräfte der<lb/>
Nation nicht mehr zureichen, in das Gewerbswe&#x017F;en und in den Verkehr eingreift,<lb/>
während &#x017F;ie dem Einzelnen und den Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften im Gewerbswe&#x017F;en &#x017F;tets unent-<lb/>
behrlich &#x017F;ind. Der Ausdruck <hi rendition="#g">volkswirth&#x017F;chaftliche Betriebslehre</hi> vermeidet<lb/>
die&#x017F;e Abwege und bezeichnet die nahe Verknüpfung, in welcher die Volkswirth-<lb/>
&#x017F;chaftslehre zum prakti&#x017F;chen Leben &#x017F;teht.</note>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#c">§. 395.<lb/><hi rendition="#g">Ge&#x017F;chichtliches</hi>.</hi> </head><lb/>
                <p>Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft von der Volkswirth&#x017F;chaft i&#x017F;t, ob&#x017F;chon man<lb/>
&#x017F;ie als die er&#x017F;te Bedingung für die Erfor&#x017F;chung des Völker- und<lb/>
Staatslebens betrachten muß, in ihrer jetzigen Ge&#x017F;talt er&#x017F;t ein<lb/>
Erzeugniß der neueren und neue&#x017F;ten Zeit. Wenig&#x017F;tens i&#x017F;t &#x017F;o viel<lb/>
gewiß, daß die neuern abendländi&#x017F;chen Staaten und Völker darin<lb/>
keinen wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Unterricht von den alten &#x017F;üdländi&#x017F;chen<lb/>
empfangen haben, &#x017F;ondern die Grund&#x017F;ätze aus eigenen Erfahrungen<lb/>
und Studien &#x017F;ammelten. Hieraus und aus dem Wenigen, was<lb/>
uns in den literari&#x017F;chen Re&#x017F;ten aus der alten Zeit darüber zu-<lb/>
gänglich wurde, zu &#x017F;chließen, daß die Alten davon &#x017F;o viel als<lb/>
nichts gewußt oder gar geahnet hätten, muß als ein Fehl&#x017F;chluß<lb/>
er&#x017F;cheinen<hi rendition="#sup">1</hi>). Das älte&#x017F;te orientali&#x017F;che Völkerleben i&#x017F;t für uns noch<lb/>
in ein &#x017F;ehr tiefes Dunkel gehüllt, allein was wir von dem&#x017F;elben<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, das ermächtigt uns mehr zu der Annahme, daß &#x017F;ie den<lb/>
Volkswohl&#x017F;tand auf eine tiefe nationale Wei&#x017F;e zu befördern wußten.<lb/>
Es i&#x017F;t hierher jedenfalls das <hi rendition="#g">phönizi&#x017F;che Volk</hi>, <hi rendition="#g">Babylonien</hi>,<lb/><hi rendition="#g">Aegypten</hi> und <hi rendition="#g">Karthago</hi> zu rechnen<hi rendition="#sup">2</hi>). Die <hi rendition="#g">Griechen</hi>, ein<lb/>
Handelsvolk, hatten ver&#x017F;chiedene Einrichtungen zur Förderung des<lb/>
Handels und der damit zu&#x017F;ammenhängenden Gewerbe, wovon man<lb/>
auf das Vollkommen&#x017F;te berechtigt i&#x017F;t zu dem Schlu&#x017F;&#x017F;e, daß &#x017F;ie es<lb/>
recht gut ver&#x017F;tanden, die Volksgewerb- und Betrieb&#x017F;amkeit &#x017F;o weit<lb/>
zu unter&#x017F;tützen, als es nach ihren nationalen An&#x017F;ichten ge&#x017F;chehen<lb/>
mußte<hi rendition="#sup">3</hi>). Die auffallende Ver&#x017F;chiedenheit des Charakters der<lb/><hi rendition="#g">Griechen</hi> und <hi rendition="#g">Römer</hi> ge&#x017F;tattet jedoch auch in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht wenig<lb/>
Aehnliches und Gleiches. Als ein kriegeri&#x017F;ches und räuberi&#x017F;ches<lb/>
Volk konnten die&#x017F;e nicht auf die friedliche Verwaltung ihrer Colonien<lb/>
und eroberten Länder in dem Grade kommen, wie Phönizier und<lb/>
Griechen; ihre ganze Eigenthümlichkeit war dem Gewerbswe&#x017F;en<lb/>
nicht &#x017F;o geneigt, wie jene Völker. Dennoch aber be&#x017F;chäftigte &#x017F;ich<lb/>
bekanntlich ihre Ge&#x017F;etzgebung &#x017F;ehr angelegen mit der Leitung des<lb/>
Ackerbaues und des Handels, der zwei Gewerbe, welche ihrer<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[535/0557] ²⁾ wiſſenſchaft, d. h. als eine Wiſſenſchaft für den Staat oder Staatsbeamten betrachtet, gleich als ob er nicht eine weitere Bedeutung habe. Man vergaß, daß es ſehr wichtige Einrichtungen im Verkehrsleben gibt, welchen der Staat ganz fremd bleiben ſoll und für deren Stiftung die Nationalöconomie die Grundſätze und Maximen lehrt, und daß der Staat dieſe blos zu befolgen nöthig hat, wenn er nothgedrungen z. B. im Steuerweſen, oder zur Unterſtützung der Volksgewerbſamkeit, wo die Kräfte der Nation nicht mehr zureichen, in das Gewerbsweſen und in den Verkehr eingreift, während ſie dem Einzelnen und den Geſellſchaften im Gewerbsweſen ſtets unent- behrlich ſind. Der Ausdruck volkswirthſchaftliche Betriebslehre vermeidet dieſe Abwege und bezeichnet die nahe Verknüpfung, in welcher die Volkswirth- ſchaftslehre zum praktiſchen Leben ſteht. §. 395. Geſchichtliches. Die Wiſſenſchaft von der Volkswirthſchaft iſt, obſchon man ſie als die erſte Bedingung für die Erforſchung des Völker- und Staatslebens betrachten muß, in ihrer jetzigen Geſtalt erſt ein Erzeugniß der neueren und neueſten Zeit. Wenigſtens iſt ſo viel gewiß, daß die neuern abendländiſchen Staaten und Völker darin keinen wiſſenſchaftlichen Unterricht von den alten ſüdländiſchen empfangen haben, ſondern die Grundſätze aus eigenen Erfahrungen und Studien ſammelten. Hieraus und aus dem Wenigen, was uns in den literariſchen Reſten aus der alten Zeit darüber zu- gänglich wurde, zu ſchließen, daß die Alten davon ſo viel als nichts gewußt oder gar geahnet hätten, muß als ein Fehlſchluß erſcheinen1). Das älteſte orientaliſche Völkerleben iſt für uns noch in ein ſehr tiefes Dunkel gehüllt, allein was wir von demſelben wiſſen, das ermächtigt uns mehr zu der Annahme, daß ſie den Volkswohlſtand auf eine tiefe nationale Weiſe zu befördern wußten. Es iſt hierher jedenfalls das phöniziſche Volk, Babylonien, Aegypten und Karthago zu rechnen2). Die Griechen, ein Handelsvolk, hatten verſchiedene Einrichtungen zur Förderung des Handels und der damit zuſammenhängenden Gewerbe, wovon man auf das Vollkommenſte berechtigt iſt zu dem Schluſſe, daß ſie es recht gut verſtanden, die Volksgewerb- und Betriebſamkeit ſo weit zu unterſtützen, als es nach ihren nationalen Anſichten geſchehen mußte3). Die auffallende Verſchiedenheit des Charakters der Griechen und Römer geſtattet jedoch auch in dieſer Hinſicht wenig Aehnliches und Gleiches. Als ein kriegeriſches und räuberiſches Volk konnten dieſe nicht auf die friedliche Verwaltung ihrer Colonien und eroberten Länder in dem Grade kommen, wie Phönizier und Griechen; ihre ganze Eigenthümlichkeit war dem Gewerbsweſen nicht ſo geneigt, wie jene Völker. Dennoch aber beſchäftigte ſich bekanntlich ihre Geſetzgebung ſehr angelegen mit der Leitung des Ackerbaues und des Handels, der zwei Gewerbe, welche ihrer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/557
Zitationshilfe: Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/557>, abgerufen am 22.11.2024.