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Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895.

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Bürgerthums, daher nichts leichter, als daß eine zielbewußte Reaktion die Lage
für sich ausnutzte. Als die neue zweite Kammer zusammentrat und sich heraus-
stellte, daß sie von der aufgelösten sich nur wenig unterschied, wurde sie am
27. April abermals nach Hause geschickt. Darauf erließ am 30. Mai 1849 die
Regierung eine neue Verordnung, durch welche das "elendeste und erbärmlichste
aller Wahlgesetze", das heute noch in Preußen giltig ist, das Dreiklassenwahlsystem,
ins Leben gerufen wurde.

Erbittert über diesen Staatsstreich, den die Oktroyirungsmaßregeln der Re-
gierung darstellten, beschloß die demokratische Linke unter Protest Enthaltung
von den Wahlen, womit sie der Regierung nur einen Gefallen erwies. Die neue
gefügige Kammer brachte mit der Regierung die Revision der Verfassung im
Dezember 1849 zu Stande. Zehn Jahre später, im Jahre 1859, als unter der
"Regentschaft" die sogenannte neue Aera begann, trat die bürgerliche Demokratie
endlich aus dem Schmollwinkel hervor und betheiligte sich wieder an den Wahlen.



Aehnlich wie dem preußischen erging es dem sächsischen Volke. Die März-
tage und was ihnen folgte hatten auch die sächsische Regierung zur Einlenkung in
neue Bahnen gezwungen. Sie vereinbarte mit dem Ständelandtag im Frühjahr 1848
ein Wahlgesetz, das die einzige Beschränkung enthielt, daß der Wähler "selbständig"
sein, d.h. einen eigenen Hausstand haben müsse. Jm übrigen war das Wahl-
gesetz allgemein, gleich und direkt. Als aber nach dem verunglückten Maiaufstand
in Dresden (1849) die Reaktion wieder Oberwasser erhielt und die Volksvertretung
Beschlüsse faßte, die der Regierung nicht genehm waren, wurde dieselbe am
1. Juni 1850 aufgelöst. Wider alles Recht und als hätten die letzten zwei
Jahre nicht existiert, berief die Regierung auf dem Verordnungswege die 1848
gesetzlich aufgehobenen Stände wieder zusammen (3. Juni 1850). Ebenso er-
gingen widerrechtlich Verordnungen, durch welche die bestehenden sehr freien
Vereins- und Versammlungsgesetze und das Preßgesetz aufgehoben und neue
reaktionäre Gesetze provisorisch an deren Stelle gesetzt wurden, die gut zu heißen
alsdann die reaktionären Stände sich beeilten.

Das Schicksal, das die Volkswahlrechte in Preußen, Sachsen und ander-
wärts getroffen hatte, ereilte auch das Wahlrecht für das deutsche Parlament zu
Frankfurt a. M. Das letztere hatte das Wahlrecht auf breitester demokratischer
Grundlage gutgeheißen und wurde dasselbe unter dem 12. April 1849 als
Reichsgesetz durch den Reichsverweser und die Reichsminister verkündet. Charakte-
ristischer Weise war es die Linke und die Rechte des Parlaments, welche gegen
den Widerstand der gemäßigten Liberalen, der späteren sogenannten Gothaer, als
deren Erben und Nachfolger man die heutigen Nationalliberalen ansehen muß,
das Reichstagswahlrecht beschloß.

Damals repräsentirten diese gemäßigten Liberalen, auch die Erbkaiserlichen
genannt - weil sie die Könige von Preußen als erbliche Kaiser an die Spitze
Deutschlands setzen wollten - die im Wachsen begriffene Bourgeoisie, wie heute
die Nationalliberalen die Vertreter der Bourgeoisie par excellence sind.

Diese Gesellschaftsklasse ist sich immer und überall gleich: sie ist mit der
liberalen Phrase im Munde volks- und arbeiterfeindlich bis ins innerste Mark
hinein. Jhre Vertreter sind stets und überall politische Mollusken, die sich durch
zwei Eigenschaften ihrer Klasse besonders auszeichnen, durch Feigheit und politische
Charakterlosigkeit.

Das Reichswahlgesetz für das deutsche Parlament bestimmte in seinem § 1:
Wähler ist jeder Deutsche, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt
hat. Wählbar zum Abgeordneten des Volkshauses - die Volksvertretung sollte
aus einem Staaten- und einem Volkshause bestehen - war jeder wahlberechtigte
Deutsche, der seit mindestens 3 Jahre einem deutschen Staate angehört hatte.
Ausgeschlossen von der Wahl und damit auch von der Wählbarkeit zum Ab-

Bürgerthums, daher nichts leichter, als daß eine zielbewußte Reaktion die Lage
für sich ausnutzte. Als die neue zweite Kammer zusammentrat und sich heraus-
stellte, daß sie von der aufgelösten sich nur wenig unterschied, wurde sie am
27. April abermals nach Hause geschickt. Darauf erließ am 30. Mai 1849 die
Regierung eine neue Verordnung, durch welche das „elendeste und erbärmlichste
aller Wahlgesetze“, das heute noch in Preußen giltig ist, das Dreiklassenwahlsystem,
ins Leben gerufen wurde.

Erbittert über diesen Staatsstreich, den die Oktroyirungsmaßregeln der Re-
gierung darstellten, beschloß die demokratische Linke unter Protest Enthaltung
von den Wahlen, womit sie der Regierung nur einen Gefallen erwies. Die neue
gefügige Kammer brachte mit der Regierung die Revision der Verfassung im
Dezember 1849 zu Stande. Zehn Jahre später, im Jahre 1859, als unter der
„Regentschaft“ die sogenannte neue Aera begann, trat die bürgerliche Demokratie
endlich aus dem Schmollwinkel hervor und betheiligte sich wieder an den Wahlen.



Aehnlich wie dem preußischen erging es dem sächsischen Volke. Die März-
tage und was ihnen folgte hatten auch die sächsische Regierung zur Einlenkung in
neue Bahnen gezwungen. Sie vereinbarte mit dem Ständelandtag im Frühjahr 1848
ein Wahlgesetz, das die einzige Beschränkung enthielt, daß der Wähler „selbständig“
sein, d.h. einen eigenen Hausstand haben müsse. Jm übrigen war das Wahl-
gesetz allgemein, gleich und direkt. Als aber nach dem verunglückten Maiaufstand
in Dresden (1849) die Reaktion wieder Oberwasser erhielt und die Volksvertretung
Beschlüsse faßte, die der Regierung nicht genehm waren, wurde dieselbe am
1. Juni 1850 aufgelöst. Wider alles Recht und als hätten die letzten zwei
Jahre nicht existiert, berief die Regierung auf dem Verordnungswege die 1848
gesetzlich aufgehobenen Stände wieder zusammen (3. Juni 1850). Ebenso er-
gingen widerrechtlich Verordnungen, durch welche die bestehenden sehr freien
Vereins- und Versammlungsgesetze und das Preßgesetz aufgehoben und neue
reaktionäre Gesetze provisorisch an deren Stelle gesetzt wurden, die gut zu heißen
alsdann die reaktionären Stände sich beeilten.

Das Schicksal, das die Volkswahlrechte in Preußen, Sachsen und ander-
wärts getroffen hatte, ereilte auch das Wahlrecht für das deutsche Parlament zu
Frankfurt a. M. Das letztere hatte das Wahlrecht auf breitester demokratischer
Grundlage gutgeheißen und wurde dasselbe unter dem 12. April 1849 als
Reichsgesetz durch den Reichsverweser und die Reichsminister verkündet. Charakte-
ristischer Weise war es die Linke und die Rechte des Parlaments, welche gegen
den Widerstand der gemäßigten Liberalen, der späteren sogenannten Gothaer, als
deren Erben und Nachfolger man die heutigen Nationalliberalen ansehen muß,
das Reichstagswahlrecht beschloß.

Damals repräsentirten diese gemäßigten Liberalen, auch die Erbkaiserlichen
genannt – weil sie die Könige von Preußen als erbliche Kaiser an die Spitze
Deutschlands setzen wollten – die im Wachsen begriffene Bourgeoisie, wie heute
die Nationalliberalen die Vertreter der Bourgeoisie par excellence sind.

Diese Gesellschaftsklasse ist sich immer und überall gleich: sie ist mit der
liberalen Phrase im Munde volks- und arbeiterfeindlich bis ins innerste Mark
hinein. Jhre Vertreter sind stets und überall politische Mollusken, die sich durch
zwei Eigenschaften ihrer Klasse besonders auszeichnen, durch Feigheit und politische
Charakterlosigkeit.

Das Reichswahlgesetz für das deutsche Parlament bestimmte in seinem § 1:
Wähler ist jeder Deutsche, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt
hat. Wählbar zum Abgeordneten des Volkshauses – die Volksvertretung sollte
aus einem Staaten- und einem Volkshause bestehen – war jeder wahlberechtigte
Deutsche, der seit mindestens 3 Jahre einem deutschen Staate angehört hatte.
Ausgeschlossen von der Wahl und damit auch von der Wählbarkeit zum Ab-

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[12/0016] Bürgerthums, daher nichts leichter, als daß eine zielbewußte Reaktion die Lage für sich ausnutzte. Als die neue zweite Kammer zusammentrat und sich heraus- stellte, daß sie von der aufgelösten sich nur wenig unterschied, wurde sie am 27. April abermals nach Hause geschickt. Darauf erließ am 30. Mai 1849 die Regierung eine neue Verordnung, durch welche das „elendeste und erbärmlichste aller Wahlgesetze“, das heute noch in Preußen giltig ist, das Dreiklassenwahlsystem, ins Leben gerufen wurde. Erbittert über diesen Staatsstreich, den die Oktroyirungsmaßregeln der Re- gierung darstellten, beschloß die demokratische Linke unter Protest Enthaltung von den Wahlen, womit sie der Regierung nur einen Gefallen erwies. Die neue gefügige Kammer brachte mit der Regierung die Revision der Verfassung im Dezember 1849 zu Stande. Zehn Jahre später, im Jahre 1859, als unter der „Regentschaft“ die sogenannte neue Aera begann, trat die bürgerliche Demokratie endlich aus dem Schmollwinkel hervor und betheiligte sich wieder an den Wahlen. Aehnlich wie dem preußischen erging es dem sächsischen Volke. Die März- tage und was ihnen folgte hatten auch die sächsische Regierung zur Einlenkung in neue Bahnen gezwungen. Sie vereinbarte mit dem Ständelandtag im Frühjahr 1848 ein Wahlgesetz, das die einzige Beschränkung enthielt, daß der Wähler „selbständig“ sein, d.h. einen eigenen Hausstand haben müsse. Jm übrigen war das Wahl- gesetz allgemein, gleich und direkt. Als aber nach dem verunglückten Maiaufstand in Dresden (1849) die Reaktion wieder Oberwasser erhielt und die Volksvertretung Beschlüsse faßte, die der Regierung nicht genehm waren, wurde dieselbe am 1. Juni 1850 aufgelöst. Wider alles Recht und als hätten die letzten zwei Jahre nicht existiert, berief die Regierung auf dem Verordnungswege die 1848 gesetzlich aufgehobenen Stände wieder zusammen (3. Juni 1850). Ebenso er- gingen widerrechtlich Verordnungen, durch welche die bestehenden sehr freien Vereins- und Versammlungsgesetze und das Preßgesetz aufgehoben und neue reaktionäre Gesetze provisorisch an deren Stelle gesetzt wurden, die gut zu heißen alsdann die reaktionären Stände sich beeilten. Das Schicksal, das die Volkswahlrechte in Preußen, Sachsen und ander- wärts getroffen hatte, ereilte auch das Wahlrecht für das deutsche Parlament zu Frankfurt a. M. Das letztere hatte das Wahlrecht auf breitester demokratischer Grundlage gutgeheißen und wurde dasselbe unter dem 12. April 1849 als Reichsgesetz durch den Reichsverweser und die Reichsminister verkündet. Charakte- ristischer Weise war es die Linke und die Rechte des Parlaments, welche gegen den Widerstand der gemäßigten Liberalen, der späteren sogenannten Gothaer, als deren Erben und Nachfolger man die heutigen Nationalliberalen ansehen muß, das Reichstagswahlrecht beschloß. Damals repräsentirten diese gemäßigten Liberalen, auch die Erbkaiserlichen genannt – weil sie die Könige von Preußen als erbliche Kaiser an die Spitze Deutschlands setzen wollten – die im Wachsen begriffene Bourgeoisie, wie heute die Nationalliberalen die Vertreter der Bourgeoisie par excellence sind. Diese Gesellschaftsklasse ist sich immer und überall gleich: sie ist mit der liberalen Phrase im Munde volks- und arbeiterfeindlich bis ins innerste Mark hinein. Jhre Vertreter sind stets und überall politische Mollusken, die sich durch zwei Eigenschaften ihrer Klasse besonders auszeichnen, durch Feigheit und politische Charakterlosigkeit. Das Reichswahlgesetz für das deutsche Parlament bestimmte in seinem § 1: Wähler ist jeder Deutsche, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat. Wählbar zum Abgeordneten des Volkshauses – die Volksvertretung sollte aus einem Staaten- und einem Volkshause bestehen – war jeder wahlberechtigte Deutsche, der seit mindestens 3 Jahre einem deutschen Staate angehört hatte. Ausgeschlossen von der Wahl und damit auch von der Wählbarkeit zum Ab-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-10-30T15:09:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-10-30T15:09:45Z)

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Zitationshilfe: Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/16>, abgerufen am 23.11.2024.