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Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895.

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bezahlt, in die zweite verwirft, wo seine Mitwähler mit 5 Thaler anfangen, und
von den bäuerlichen Besitzern mit 5 Thaler Steuern kommt wieder eine gewisse
Anzahl zu zwei; plötzlich zwischen Hans mit 4 Thaler 7 Sgr. und Kunz mit
4 Thaler 6 Sgr., reißt die Reihe ab, und die anderen werden mit dem Prole-
tariat zusammengeworfen. Wenn der Erfinder dieses Wahlgesetzes sich
die praktische Wirkung desselben vergegenwärtigt hätte, hätte er es
nie gemacht. Eine ähnliche Willkürlichkeit und zugleich eine Härte
liegt in jedem Zensus, eine Härte, die da am fühlbarsten wird, wo
dieser Zensus abreißt, wo die Ausschließung anfängt; wir können es
dem Ausgeschlossenen gegenüber doch wirklich schwer motiviren, daß
er deshalb, weil er nicht dieselbe Steuerquote wie sein Nachbar
zahlt
- und er würde sie gern bezahlen, denn sie bedingt ein größeres Ver-
mögen, das er aber nicht hat - er gerade Helot und politisch todt in
diesem Staatswesen sein solle
.

Diese Argumentation findet überall an jeder Stelle Anwendung, wo eben
die Reihe Derer, die politisch berichtigt bleiben sollen, abgebrochen wird."

Bismarck bestätigte also, daß man das allgemeine Wahlrecht als Erbtheil
der deutschen Einheitsbestrebungen aufgenommen habe, er erklärte aber auch weiter,
daß es das beste Wahlrecht sei, was er kenne, und insbesondere verurtheilte
er das preußische Klassenwahlsystem mit einer Schärfe, wie es der größte Gegner
nicht schärfer verurtheilen könnte. Er begnügte sich auch nicht blos mit der Ver-
urtheilung, er begründete auch diese Verurtheilung an der Hand un-
widerleglicher Thatsachen
. Daß Bismarck später dennoch mit diesem elendesten
und erbärmlichsten aller Wahlgesetze in Preußen weiter regierte, spricht nur für die
eigenthümliche Moral, die seiner Regierungsweise zu Grunde lag. Sein Urtheil
über das Dreiklassenwahlsystem bleibt richtig, auch wenn er später gegen seine
Ueberzeugung von der Erbärmlichkeit desselben es beibehielt. Seine Gründe dafür
sind ebenfalls kein Geheimniß.

Der Konflikt mit dem preußischen Abgeordnetenhaus, das nach dem
widersinnigsten und elendesten aller Wahlgesetze gewählt war, hatte in konser-
vativen Kreisen schon längst Zweifel an der Zweckmäßigkeit desselben hervor-
gerufen. Als nach der ersten Auflösung des Abgeordnetenhauses (1862) die
Wahlen noch oppositioneller ausfielen, befürwortete die "Konservative Korrespondenz"
offen die Einführung des allgemeinen direkten Wahlrechts, das Drei-
klassenwahlsystem bestehe nicht zu Recht
.

Die Erfahrungen bei den preußischen Dreiklassenwahlen trugen dazu bei,
auch Bismarck das allgemeine direkte Wahlsystem als das ihm günstigere erscheinen
zu lassen, wie das unverholen in der Zirkulardepesche vom 24. März 1866 an
den Gesandten München, Prinzen Reuß, zum Ausdruck kommt, in der er wört-
lich schreibt:

"Direkte Wahlen und allgemeines Stimmrecht halte ich für größere
Bürgschaften einer konservativen Haltung als irgend ein künstliches, auf Erzielung
gemachter Majoritäten berechnetes Wahlgesetz. Nach unseren Erfahrungen sind die
Massen ehrlicher bei der Erhaltung staatlicher Ordnung interessirt als die Führer
derjenigen Klassen, die man durch die Einführung irgend eines Zensus in der
aktiven Wahlberechtigung privilegiren möchte."

"Jch darf es wohl als eine auf langer Erfahrung begründete
Ueberzeugung aussprechen
" (schrieb Bismarck weiter, am 19. April 1866,
an den Grafen Bernsdorf nach London), daß das künstliche System indirekter und
Klassenwahlen ein viel gefährlicheres ist, indem es die Berührung der höchsten
Gewalt mit den gesunden Elementen, die den Kern und die Masse des Volkes
bilden, verhindert. Jn einem Lande mit monarchischen Traditionen und loyaler
Gesinnung wird das allgemeine Stimmrecht, indem es die Einflüsse der
liberalen Bourgeoisie-Klassen beseitigt
, auch zu monarchischen Wahlen
führen, ebenso wie in Ländern, wo die Massen revolutionär fühlen, zu anarchischen.

bezahlt, in die zweite verwirft, wo seine Mitwähler mit 5 Thaler anfangen, und
von den bäuerlichen Besitzern mit 5 Thaler Steuern kommt wieder eine gewisse
Anzahl zu zwei; plötzlich zwischen Hans mit 4 Thaler 7 Sgr. und Kunz mit
4 Thaler 6 Sgr., reißt die Reihe ab, und die anderen werden mit dem Prole-
tariat zusammengeworfen. Wenn der Erfinder dieses Wahlgesetzes sich
die praktische Wirkung desselben vergegenwärtigt hätte, hätte er es
nie gemacht. Eine ähnliche Willkürlichkeit und zugleich eine Härte
liegt in jedem Zensus, eine Härte, die da am fühlbarsten wird, wo
dieser Zensus abreißt, wo die Ausschließung anfängt; wir können es
dem Ausgeschlossenen gegenüber doch wirklich schwer motiviren, daß
er deshalb, weil er nicht dieselbe Steuerquote wie sein Nachbar
zahlt
– und er würde sie gern bezahlen, denn sie bedingt ein größeres Ver-
mögen, das er aber nicht hat – er gerade Helot und politisch todt in
diesem Staatswesen sein solle
.

Diese Argumentation findet überall an jeder Stelle Anwendung, wo eben
die Reihe Derer, die politisch berichtigt bleiben sollen, abgebrochen wird.“

Bismarck bestätigte also, daß man das allgemeine Wahlrecht als Erbtheil
der deutschen Einheitsbestrebungen aufgenommen habe, er erklärte aber auch weiter,
daß es das beste Wahlrecht sei, was er kenne, und insbesondere verurtheilte
er das preußische Klassenwahlsystem mit einer Schärfe, wie es der größte Gegner
nicht schärfer verurtheilen könnte. Er begnügte sich auch nicht blos mit der Ver-
urtheilung, er begründete auch diese Verurtheilung an der Hand un-
widerleglicher Thatsachen
. Daß Bismarck später dennoch mit diesem elendesten
und erbärmlichsten aller Wahlgesetze in Preußen weiter regierte, spricht nur für die
eigenthümliche Moral, die seiner Regierungsweise zu Grunde lag. Sein Urtheil
über das Dreiklassenwahlsystem bleibt richtig, auch wenn er später gegen seine
Ueberzeugung von der Erbärmlichkeit desselben es beibehielt. Seine Gründe dafür
sind ebenfalls kein Geheimniß.

Der Konflikt mit dem preußischen Abgeordnetenhaus, das nach dem
widersinnigsten und elendesten aller Wahlgesetze gewählt war, hatte in konser-
vativen Kreisen schon längst Zweifel an der Zweckmäßigkeit desselben hervor-
gerufen. Als nach der ersten Auflösung des Abgeordnetenhauses (1862) die
Wahlen noch oppositioneller ausfielen, befürwortete die „Konservative Korrespondenz“
offen die Einführung des allgemeinen direkten Wahlrechts, das Drei-
klassenwahlsystem bestehe nicht zu Recht
.

Die Erfahrungen bei den preußischen Dreiklassenwahlen trugen dazu bei,
auch Bismarck das allgemeine direkte Wahlsystem als das ihm günstigere erscheinen
zu lassen, wie das unverholen in der Zirkulardepesche vom 24. März 1866 an
den Gesandten München, Prinzen Reuß, zum Ausdruck kommt, in der er wört-
lich schreibt:

„Direkte Wahlen und allgemeines Stimmrecht halte ich für größere
Bürgschaften einer konservativen Haltung als irgend ein künstliches, auf Erzielung
gemachter Majoritäten berechnetes Wahlgesetz. Nach unseren Erfahrungen sind die
Massen ehrlicher bei der Erhaltung staatlicher Ordnung interessirt als die Führer
derjenigen Klassen, die man durch die Einführung irgend eines Zensus in der
aktiven Wahlberechtigung privilegiren möchte.“

„Jch darf es wohl als eine auf langer Erfahrung begründete
Ueberzeugung aussprechen
“ (schrieb Bismarck weiter, am 19. April 1866,
an den Grafen Bernsdorf nach London), daß das künstliche System indirekter und
Klassenwahlen ein viel gefährlicheres ist, indem es die Berührung der höchsten
Gewalt mit den gesunden Elementen, die den Kern und die Masse des Volkes
bilden, verhindert. Jn einem Lande mit monarchischen Traditionen und loyaler
Gesinnung wird das allgemeine Stimmrecht, indem es die Einflüsse der
liberalen Bourgeoisie-Klassen beseitigt
, auch zu monarchischen Wahlen
führen, ebenso wie in Ländern, wo die Massen revolutionär fühlen, zu anarchischen.

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[44/0048] bezahlt, in die zweite verwirft, wo seine Mitwähler mit 5 Thaler anfangen, und von den bäuerlichen Besitzern mit 5 Thaler Steuern kommt wieder eine gewisse Anzahl zu zwei; plötzlich zwischen Hans mit 4 Thaler 7 Sgr. und Kunz mit 4 Thaler 6 Sgr., reißt die Reihe ab, und die anderen werden mit dem Prole- tariat zusammengeworfen. Wenn der Erfinder dieses Wahlgesetzes sich die praktische Wirkung desselben vergegenwärtigt hätte, hätte er es nie gemacht. Eine ähnliche Willkürlichkeit und zugleich eine Härte liegt in jedem Zensus, eine Härte, die da am fühlbarsten wird, wo dieser Zensus abreißt, wo die Ausschließung anfängt; wir können es dem Ausgeschlossenen gegenüber doch wirklich schwer motiviren, daß er deshalb, weil er nicht dieselbe Steuerquote wie sein Nachbar zahlt – und er würde sie gern bezahlen, denn sie bedingt ein größeres Ver- mögen, das er aber nicht hat – er gerade Helot und politisch todt in diesem Staatswesen sein solle. Diese Argumentation findet überall an jeder Stelle Anwendung, wo eben die Reihe Derer, die politisch berichtigt bleiben sollen, abgebrochen wird.“ Bismarck bestätigte also, daß man das allgemeine Wahlrecht als Erbtheil der deutschen Einheitsbestrebungen aufgenommen habe, er erklärte aber auch weiter, daß es das beste Wahlrecht sei, was er kenne, und insbesondere verurtheilte er das preußische Klassenwahlsystem mit einer Schärfe, wie es der größte Gegner nicht schärfer verurtheilen könnte. Er begnügte sich auch nicht blos mit der Ver- urtheilung, er begründete auch diese Verurtheilung an der Hand un- widerleglicher Thatsachen. Daß Bismarck später dennoch mit diesem elendesten und erbärmlichsten aller Wahlgesetze in Preußen weiter regierte, spricht nur für die eigenthümliche Moral, die seiner Regierungsweise zu Grunde lag. Sein Urtheil über das Dreiklassenwahlsystem bleibt richtig, auch wenn er später gegen seine Ueberzeugung von der Erbärmlichkeit desselben es beibehielt. Seine Gründe dafür sind ebenfalls kein Geheimniß. Der Konflikt mit dem preußischen Abgeordnetenhaus, das nach dem widersinnigsten und elendesten aller Wahlgesetze gewählt war, hatte in konser- vativen Kreisen schon längst Zweifel an der Zweckmäßigkeit desselben hervor- gerufen. Als nach der ersten Auflösung des Abgeordnetenhauses (1862) die Wahlen noch oppositioneller ausfielen, befürwortete die „Konservative Korrespondenz“ offen die Einführung des allgemeinen direkten Wahlrechts, das Drei- klassenwahlsystem bestehe nicht zu Recht. Die Erfahrungen bei den preußischen Dreiklassenwahlen trugen dazu bei, auch Bismarck das allgemeine direkte Wahlsystem als das ihm günstigere erscheinen zu lassen, wie das unverholen in der Zirkulardepesche vom 24. März 1866 an den Gesandten München, Prinzen Reuß, zum Ausdruck kommt, in der er wört- lich schreibt: „Direkte Wahlen und allgemeines Stimmrecht halte ich für größere Bürgschaften einer konservativen Haltung als irgend ein künstliches, auf Erzielung gemachter Majoritäten berechnetes Wahlgesetz. Nach unseren Erfahrungen sind die Massen ehrlicher bei der Erhaltung staatlicher Ordnung interessirt als die Führer derjenigen Klassen, die man durch die Einführung irgend eines Zensus in der aktiven Wahlberechtigung privilegiren möchte.“ „Jch darf es wohl als eine auf langer Erfahrung begründete Ueberzeugung aussprechen“ (schrieb Bismarck weiter, am 19. April 1866, an den Grafen Bernsdorf nach London), daß das künstliche System indirekter und Klassenwahlen ein viel gefährlicheres ist, indem es die Berührung der höchsten Gewalt mit den gesunden Elementen, die den Kern und die Masse des Volkes bilden, verhindert. Jn einem Lande mit monarchischen Traditionen und loyaler Gesinnung wird das allgemeine Stimmrecht, indem es die Einflüsse der liberalen Bourgeoisie-Klassen beseitigt, auch zu monarchischen Wahlen führen, ebenso wie in Ländern, wo die Massen revolutionär fühlen, zu anarchischen.  

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-10-30T15:09:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-10-30T15:09:45Z)

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Zitationshilfe: Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/48>, abgerufen am 21.11.2024.