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Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895.

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nach heftigen Kämpfen, dasselbe durchzusetzen. Ein Staatenwesen, das einer
revolutionären Erhebung seine Existenz verdankte, zu dessen Gründung fast alle
Bewohner mit Einsetzung ihres Lebens beigetragen hatten, in dem es keine Stände
und geschlossenen Gesellschaftsschichten im Sinne europäischen Staats- und Gesell-
schaftswesens gab, das also im wahrsten Sinne des Wortes die Schöpfung einer
Demokratie war, konnte schließlich nur ein Stimmrecht einführen, das allen Bürgern
das gleiche Recht gewährte. Waren sonach die Vereinigten Staaten das erste
Staatswesen, in dem die Demokratie im modernen Sinne uneingeschränkt zur Herr-
schaft gelangte, so war dies Umständen geschuldet, die außer aller Regel liegen,
sie können nicht als Vergleich und als Maßstab für europäische Verhältnisse dienen.

Anders entwickelten sich die Dinge in Europa. Frankreich, das hier zu-
nächst in Betracht kommt, erhielt für seine große Revolution nicht zuletzt den
Anstoß durch die Vorgänge in den Vereinigten Staaten. Das Abbe Sieyes'sche
Diktum: "Was ist der dritte Stand? Nichts! Was soll er sein? Alles!" fand
in der Konstituante seine entsprechende Deutung. Nachdem das französische
Bürgerthum die Macht der beiden bevorrechteten Stände - Adel und Geist-
lichkeit - gebrochen und sich an deren Stelle gesetzt hatte, konstituirte es sofort
gesetzlich einen vierten Stand, der gesellschaftlich allerdings bereits vorhanden
war, den Stand der Dienstthuenden, der für Lohn Arbeitenden. Die Arbeiterklasse
wurde durch die Konstitution des Jahres 1791 ausdrücklich vom Wahlrecht aus-
geschlossen und außerdem wurde die Ausübung desselben von der Zahlung einer
direkten Steuer abhängig gemacht. An die Stelle der ständischen Rechte unter der
absoluten Monarchie - die durch die Geburt oder die Zugehörigkeit zu einem
der privilegirten Stände erworben wurden - trat jetzt im bürgerlich-konstitutionellen
Staat der Zensus, der Besitz. Damit erhielt die neue Devise von der Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit, die durch die Revolution proklamirt worden war,
drastisch und praktisch ihre Auslegung. Das Bürgerthum unterschied sich also
sofort durch eine vom Gesetz gezogene Scheidegrenze von den Habenichtsen, die
zwar das Recht und die Pflicht hatten, für das Bürgerthum zu arbeiten und sich
von ihm ausbeuten zu lassen, aber kein Recht besaßen, sich als vollwerthige Glieder
des bürgerlichen Staats anzusehen, den sie eben erst mit ihrem Blut erkämpft hatten.

Es war der erste, aber nicht der letzte Verrath, den das moderne Bürger-
thum an der Arbeiterklasse beging.

Zwar wurde durch die Verfassung, die nach der Auflösung der Konstituante
und nach Beseitigung des Königthums der Konvent beschloß, das allgemeine gleiche
Stimmrecht für alle männlichen mündigen Staatsangehörigen eingeführt, aber diese
Verfassung trat nicht in Geltung. Die Ereignisse überstürzten sich. Der Konvent
und seine Verfassung wurden beseitigt, und begünstigt von dem bedrohten Klassen-
interesse und der Feigheit der emporgekommenen Bourgeoisie bestieg, gestützt auf
seinen Schwertknauf und die Armee, in Napoleon Bonaparte der Cäsarismus den
Thron. Die Napoleonischen Raub- und Eroberungskriege, die von seiner Er-
nennung zum Konsul ab fast zwanzig Jahre ganz Europa in Athem hielten und
eine totale Veränderung der politischen Grenzen seines Ländergebiets zur Folge
hatten, ließen in Frankreich keine Kämpfe um Volksrechte zur Geltung kommen.

Diese Kämpfe beginnen erst wieder nach dem zweiten Pariser Frieden (1815)
und der Rückkehr der Bourbonen an die Spitze Frankreichs. Aber diese Kämpfe
waren ausschließlich parlamentarische Kämpfe der französischen Bourgeoisie, welchen
eine Erweiterung, aber keineswegs eine Verallgemeinerung des Stimmrechts mit
zu Grunde lag.

Jn der Julirevolution von 1830 halfen die französischen, speziell die Pariser
Arbeiter zum zweiten Male ihrer Bourgeoisie das Königthum stürzen, um nach
dieser Hilfe, genau wie das erste Mal, betrogen zu werden. An Stelle des fort-
gejagten Bourbonen, Karl X., trat der Herzog von Orleans, Louis Philipp,
den der Phrasendrechsler Lafayette den Parisern als "die beste Republik" zu
empfehlen die Stirne hatte. Damit hatte die Bourgeoisie den Thron bestiegen, sie

nach heftigen Kämpfen, dasselbe durchzusetzen. Ein Staatenwesen, das einer
revolutionären Erhebung seine Existenz verdankte, zu dessen Gründung fast alle
Bewohner mit Einsetzung ihres Lebens beigetragen hatten, in dem es keine Stände
und geschlossenen Gesellschaftsschichten im Sinne europäischen Staats- und Gesell-
schaftswesens gab, das also im wahrsten Sinne des Wortes die Schöpfung einer
Demokratie war, konnte schließlich nur ein Stimmrecht einführen, das allen Bürgern
das gleiche Recht gewährte. Waren sonach die Vereinigten Staaten das erste
Staatswesen, in dem die Demokratie im modernen Sinne uneingeschränkt zur Herr-
schaft gelangte, so war dies Umständen geschuldet, die außer aller Regel liegen,
sie können nicht als Vergleich und als Maßstab für europäische Verhältnisse dienen.

Anders entwickelten sich die Dinge in Europa. Frankreich, das hier zu-
nächst in Betracht kommt, erhielt für seine große Revolution nicht zuletzt den
Anstoß durch die Vorgänge in den Vereinigten Staaten. Das Abbé Sieyès'sche
Diktum: „Was ist der dritte Stand? Nichts! Was soll er sein? Alles!“ fand
in der Konstituante seine entsprechende Deutung. Nachdem das französische
Bürgerthum die Macht der beiden bevorrechteten Stände – Adel und Geist-
lichkeit – gebrochen und sich an deren Stelle gesetzt hatte, konstituirte es sofort
gesetzlich einen vierten Stand, der gesellschaftlich allerdings bereits vorhanden
war, den Stand der Dienstthuenden, der für Lohn Arbeitenden. Die Arbeiterklasse
wurde durch die Konstitution des Jahres 1791 ausdrücklich vom Wahlrecht aus-
geschlossen und außerdem wurde die Ausübung desselben von der Zahlung einer
direkten Steuer abhängig gemacht. An die Stelle der ständischen Rechte unter der
absoluten Monarchie – die durch die Geburt oder die Zugehörigkeit zu einem
der privilegirten Stände erworben wurden – trat jetzt im bürgerlich-konstitutionellen
Staat der Zensus, der Besitz. Damit erhielt die neue Devise von der Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit, die durch die Revolution proklamirt worden war,
drastisch und praktisch ihre Auslegung. Das Bürgerthum unterschied sich also
sofort durch eine vom Gesetz gezogene Scheidegrenze von den Habenichtsen, die
zwar das Recht und die Pflicht hatten, für das Bürgerthum zu arbeiten und sich
von ihm ausbeuten zu lassen, aber kein Recht besaßen, sich als vollwerthige Glieder
des bürgerlichen Staats anzusehen, den sie eben erst mit ihrem Blut erkämpft hatten.

Es war der erste, aber nicht der letzte Verrath, den das moderne Bürger-
thum an der Arbeiterklasse beging.

Zwar wurde durch die Verfassung, die nach der Auflösung der Konstituante
und nach Beseitigung des Königthums der Konvent beschloß, das allgemeine gleiche
Stimmrecht für alle männlichen mündigen Staatsangehörigen eingeführt, aber diese
Verfassung trat nicht in Geltung. Die Ereignisse überstürzten sich. Der Konvent
und seine Verfassung wurden beseitigt, und begünstigt von dem bedrohten Klassen-
interesse und der Feigheit der emporgekommenen Bourgeoisie bestieg, gestützt auf
seinen Schwertknauf und die Armee, in Napoleon Bonaparte der Cäsarismus den
Thron. Die Napoleonischen Raub- und Eroberungskriege, die von seiner Er-
nennung zum Konsul ab fast zwanzig Jahre ganz Europa in Athem hielten und
eine totale Veränderung der politischen Grenzen seines Ländergebiets zur Folge
hatten, ließen in Frankreich keine Kämpfe um Volksrechte zur Geltung kommen.

Diese Kämpfe beginnen erst wieder nach dem zweiten Pariser Frieden (1815)
und der Rückkehr der Bourbonen an die Spitze Frankreichs. Aber diese Kämpfe
waren ausschließlich parlamentarische Kämpfe der französischen Bourgeoisie, welchen
eine Erweiterung, aber keineswegs eine Verallgemeinerung des Stimmrechts mit
zu Grunde lag.

Jn der Julirevolution von 1830 halfen die französischen, speziell die Pariser
Arbeiter zum zweiten Male ihrer Bourgeoisie das Königthum stürzen, um nach
dieser Hilfe, genau wie das erste Mal, betrogen zu werden. An Stelle des fort-
gejagten Bourbonen, Karl X., trat der Herzog von Orleans, Louis Philipp,
den der Phrasendrechsler Lafayette den Parisern als „die beste Republik“ zu
empfehlen die Stirne hatte. Damit hatte die Bourgeoisie den Thron bestiegen, sie

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[4/0008] nach heftigen Kämpfen, dasselbe durchzusetzen. Ein Staatenwesen, das einer revolutionären Erhebung seine Existenz verdankte, zu dessen Gründung fast alle Bewohner mit Einsetzung ihres Lebens beigetragen hatten, in dem es keine Stände und geschlossenen Gesellschaftsschichten im Sinne europäischen Staats- und Gesell- schaftswesens gab, das also im wahrsten Sinne des Wortes die Schöpfung einer Demokratie war, konnte schließlich nur ein Stimmrecht einführen, das allen Bürgern das gleiche Recht gewährte. Waren sonach die Vereinigten Staaten das erste Staatswesen, in dem die Demokratie im modernen Sinne uneingeschränkt zur Herr- schaft gelangte, so war dies Umständen geschuldet, die außer aller Regel liegen, sie können nicht als Vergleich und als Maßstab für europäische Verhältnisse dienen. Anders entwickelten sich die Dinge in Europa. Frankreich, das hier zu- nächst in Betracht kommt, erhielt für seine große Revolution nicht zuletzt den Anstoß durch die Vorgänge in den Vereinigten Staaten. Das Abbé Sieyès'sche Diktum: „Was ist der dritte Stand? Nichts! Was soll er sein? Alles!“ fand in der Konstituante seine entsprechende Deutung. Nachdem das französische Bürgerthum die Macht der beiden bevorrechteten Stände – Adel und Geist- lichkeit – gebrochen und sich an deren Stelle gesetzt hatte, konstituirte es sofort gesetzlich einen vierten Stand, der gesellschaftlich allerdings bereits vorhanden war, den Stand der Dienstthuenden, der für Lohn Arbeitenden. Die Arbeiterklasse wurde durch die Konstitution des Jahres 1791 ausdrücklich vom Wahlrecht aus- geschlossen und außerdem wurde die Ausübung desselben von der Zahlung einer direkten Steuer abhängig gemacht. An die Stelle der ständischen Rechte unter der absoluten Monarchie – die durch die Geburt oder die Zugehörigkeit zu einem der privilegirten Stände erworben wurden – trat jetzt im bürgerlich-konstitutionellen Staat der Zensus, der Besitz. Damit erhielt die neue Devise von der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die durch die Revolution proklamirt worden war, drastisch und praktisch ihre Auslegung. Das Bürgerthum unterschied sich also sofort durch eine vom Gesetz gezogene Scheidegrenze von den Habenichtsen, die zwar das Recht und die Pflicht hatten, für das Bürgerthum zu arbeiten und sich von ihm ausbeuten zu lassen, aber kein Recht besaßen, sich als vollwerthige Glieder des bürgerlichen Staats anzusehen, den sie eben erst mit ihrem Blut erkämpft hatten. Es war der erste, aber nicht der letzte Verrath, den das moderne Bürger- thum an der Arbeiterklasse beging. Zwar wurde durch die Verfassung, die nach der Auflösung der Konstituante und nach Beseitigung des Königthums der Konvent beschloß, das allgemeine gleiche Stimmrecht für alle männlichen mündigen Staatsangehörigen eingeführt, aber diese Verfassung trat nicht in Geltung. Die Ereignisse überstürzten sich. Der Konvent und seine Verfassung wurden beseitigt, und begünstigt von dem bedrohten Klassen- interesse und der Feigheit der emporgekommenen Bourgeoisie bestieg, gestützt auf seinen Schwertknauf und die Armee, in Napoleon Bonaparte der Cäsarismus den Thron. Die Napoleonischen Raub- und Eroberungskriege, die von seiner Er- nennung zum Konsul ab fast zwanzig Jahre ganz Europa in Athem hielten und eine totale Veränderung der politischen Grenzen seines Ländergebiets zur Folge hatten, ließen in Frankreich keine Kämpfe um Volksrechte zur Geltung kommen. Diese Kämpfe beginnen erst wieder nach dem zweiten Pariser Frieden (1815) und der Rückkehr der Bourbonen an die Spitze Frankreichs. Aber diese Kämpfe waren ausschließlich parlamentarische Kämpfe der französischen Bourgeoisie, welchen eine Erweiterung, aber keineswegs eine Verallgemeinerung des Stimmrechts mit zu Grunde lag. Jn der Julirevolution von 1830 halfen die französischen, speziell die Pariser Arbeiter zum zweiten Male ihrer Bourgeoisie das Königthum stürzen, um nach dieser Hilfe, genau wie das erste Mal, betrogen zu werden. An Stelle des fort- gejagten Bourbonen, Karl X., trat der Herzog von Orleans, Louis Philipp, den der Phrasendrechsler Lafayette den Parisern als „die beste Republik“ zu empfehlen die Stirne hatte. Damit hatte die Bourgeoisie den Thron bestiegen, sie

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-10-30T15:09:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-10-30T15:09:45Z)

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Zitationshilfe: Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/8>, abgerufen am 21.11.2024.