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Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895.

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allein heimste alle Vortheile der Revolution ein. Das schamlose Wort Gnizol's:
"Enrichissez-vous!" (Bereichert Euch!) ließ sie sich nicht zwei Mal sagen; sie
beutete aus und stahl, soviel sie konnte, und trat nach wie vor das rechtlose Volk mit
Füßen. Erst die Februarrevolution (1848) gebot auf kurze Zeit ihrem Treiben Einhalt.

Die furchtbare Niederlage, die das französische Proletariat in der Juni-
schlacht erlitt (23.-25. Juni 1848) und die grausamen Verfolgungen, die daraus
resultirten, konnten ihm einen Erfolg der Februarrevolution nicht nehmen, die
Anerkennung und Aufrechterhaltung des allgemeinen gleichen Stimmrechts. Der
Gedanke der demokratischen Gleichheit, für den das französische Volk und ins-
besondere das französische Proletariat schon so oft sein Blut verspritzte, hatte
endlich sich die allgemeine Anerkennung erobert. Noch gab es zwar Gegner des-
selben in Menge, aber ihre Macht war nicht stark genug, dasselbe zu beseitigen.
Und wenn man es beseitigt hätte, was wollte man an seine Stelle setzen? Die
Bourgeoisie steht als Klasse dem Proletariat feindlich gegenüber, aber sie selbst zerfällt
wieder in eine Reihe von Jnteressengruppen, die sich auf bestimmte soziale Gruppen
stützen, die untereinander um die Herrschaft und um die Beute kämpfen. Wo
wollte man da für eine Beschränkung des Wahlrechts die Grenze ziehen? Außer-
dem hatten die politischen Kämpfe seit nahezu 60 Jahren, die begonnen hatten
mit einer Revolution und durch drei neue Revolutionen weiter zeitweilig sehr heftig
geworden waren, die herrschenden Klassen in so hohem Maße gespalten und
untereinander in Feindschaft versetzt, daß selbst der Haß gegen den gemeinsamen
Feind, das Proletariat, sie nicht dauernd zu einigen vermochte.

Diese Situation erkannte vor Allem Louis Napoleon. Obgleich er mit
geistigen Fähigkeiten sehr mäßig ausgestattet war, besaß er die nöthige Schlauheit
und Geriebenheit, um die Gegensätze einerseits innerhalb der herrschenden Klassen,
andererseits zwischen den herrschenden Klassen und dem Proletariat für seine
Zwecke auszunutzen. Was ihm selbst an Verstand und Geriebenheit abging,
ersetzten die Abenteurer, die sich um ihn geschaart hatten und ihn als Piedestal
für ihre habsüchtigen Zwecke brauchten. Hatte der erste Napoleon dem kon-
stitutionellen Spuck sehr rasch ein Ende bereitet, so erkannte sein Nachfolger zu
gut, daß die Entwicklung von fünf Jahrzehnten nicht ausgelöscht werden konnte.
Er bequemte sich den Umständen an. Das allgemeine Stimmrecht, angewandt
nach dem alten Grundsatz aller Despoten und Cäsaren: divide et impera (theile
und herrsche) sollte ihm als Mittel dienen, seine Herrschaft zu sichern und zu
befestigen. Auf der einen Seite stützte er sich auf die Bauern Frankreichs, die
der Name Napoleon blendete und deren Gunst er außerdem sich durch demagogische
Mittel und einen gefügigen Beamten-Apparat zu sichern wußte. Auf der andern
Seite mußte der Haß des französischen Proletariats gegen die Bourgeoisie, die so
grausam während und nach der Junischlacht gegen dasselbe gewüthet hatte, seinen
Herrschaftszwecken dienen. Drittens kam ihm die Gleichgiltigkeit zu statten, mit welcher
der französische Arbeiter später, nahezu zwei Jahrzehnte lang, allen innerpolitischen
Kämpfen gegenüber stand. Die Losung: Nichtbetheiligung an der Politik, welche
viele der vorgeschrittensten Köpfe ausgegeben hatten, wurde vielfach befolgt. Ein
anderer Theil der Arbeiter warf sich infolge mangelnder Führung und Aufklärung
den bürgerlichen Radikalen in die Arme. Eine kämpfende Arbeiterpartei gab es
nicht. Andererseits wäre gerade dieser Zustand der Dinge ein Grund gewesen,
das allgemeine Stimmrecht anzutasten. Aber Napoleon, der Kaiser von Plebiszits
Gnaden, der seinen Thron nur der allgemeinen Volksabstimmung verdankte, der Mann,
dessen Stärke einzig in seinem revolutionären Ursprung lag, durfte das nicht wagen.

So blieb das allgemeine Stimmrecht unangetastet. Als dann Napoleon, nach
den Schlägen im Kriege von 1870, das Feld räumen mußte und die dritte
Republik ins Leben trat, war das allgemeine Stimmrecht so in Fleisch und Blut
des französischen Volkes übergegangen, daß in ganz Frankreich nicht ein Mensch
sich befand, der seine Beschneidung oder Beseitigung für möglich gehalten hätte.
Es dachte daran nicht einmal Jemand. Daran änderte auch weder der Aufstand

allein heimste alle Vortheile der Revolution ein. Das schamlose Wort Gnizol's:
Enrichissez-vous!“ (Bereichert Euch!) ließ sie sich nicht zwei Mal sagen; sie
beutete aus und stahl, soviel sie konnte, und trat nach wie vor das rechtlose Volk mit
Füßen. Erst die Februarrevolution (1848) gebot auf kurze Zeit ihrem Treiben Einhalt.

Die furchtbare Niederlage, die das französische Proletariat in der Juni-
schlacht erlitt (23.-25. Juni 1848) und die grausamen Verfolgungen, die daraus
resultirten, konnten ihm einen Erfolg der Februarrevolution nicht nehmen, die
Anerkennung und Aufrechterhaltung des allgemeinen gleichen Stimmrechts. Der
Gedanke der demokratischen Gleichheit, für den das französische Volk und ins-
besondere das französische Proletariat schon so oft sein Blut verspritzte, hatte
endlich sich die allgemeine Anerkennung erobert. Noch gab es zwar Gegner des-
selben in Menge, aber ihre Macht war nicht stark genug, dasselbe zu beseitigen.
Und wenn man es beseitigt hätte, was wollte man an seine Stelle setzen? Die
Bourgeoisie steht als Klasse dem Proletariat feindlich gegenüber, aber sie selbst zerfällt
wieder in eine Reihe von Jnteressengruppen, die sich auf bestimmte soziale Gruppen
stützen, die untereinander um die Herrschaft und um die Beute kämpfen. Wo
wollte man da für eine Beschränkung des Wahlrechts die Grenze ziehen? Außer-
dem hatten die politischen Kämpfe seit nahezu 60 Jahren, die begonnen hatten
mit einer Revolution und durch drei neue Revolutionen weiter zeitweilig sehr heftig
geworden waren, die herrschenden Klassen in so hohem Maße gespalten und
untereinander in Feindschaft versetzt, daß selbst der Haß gegen den gemeinsamen
Feind, das Proletariat, sie nicht dauernd zu einigen vermochte.

Diese Situation erkannte vor Allem Louis Napoleon. Obgleich er mit
geistigen Fähigkeiten sehr mäßig ausgestattet war, besaß er die nöthige Schlauheit
und Geriebenheit, um die Gegensätze einerseits innerhalb der herrschenden Klassen,
andererseits zwischen den herrschenden Klassen und dem Proletariat für seine
Zwecke auszunutzen. Was ihm selbst an Verstand und Geriebenheit abging,
ersetzten die Abenteurer, die sich um ihn geschaart hatten und ihn als Piedestal
für ihre habsüchtigen Zwecke brauchten. Hatte der erste Napoleon dem kon-
stitutionellen Spuck sehr rasch ein Ende bereitet, so erkannte sein Nachfolger zu
gut, daß die Entwicklung von fünf Jahrzehnten nicht ausgelöscht werden konnte.
Er bequemte sich den Umständen an. Das allgemeine Stimmrecht, angewandt
nach dem alten Grundsatz aller Despoten und Cäsaren: divide et impera (theile
und herrsche) sollte ihm als Mittel dienen, seine Herrschaft zu sichern und zu
befestigen. Auf der einen Seite stützte er sich auf die Bauern Frankreichs, die
der Name Napoleon blendete und deren Gunst er außerdem sich durch demagogische
Mittel und einen gefügigen Beamten-Apparat zu sichern wußte. Auf der andern
Seite mußte der Haß des französischen Proletariats gegen die Bourgeoisie, die so
grausam während und nach der Junischlacht gegen dasselbe gewüthet hatte, seinen
Herrschaftszwecken dienen. Drittens kam ihm die Gleichgiltigkeit zu statten, mit welcher
der französische Arbeiter später, nahezu zwei Jahrzehnte lang, allen innerpolitischen
Kämpfen gegenüber stand. Die Losung: Nichtbetheiligung an der Politik, welche
viele der vorgeschrittensten Köpfe ausgegeben hatten, wurde vielfach befolgt. Ein
anderer Theil der Arbeiter warf sich infolge mangelnder Führung und Aufklärung
den bürgerlichen Radikalen in die Arme. Eine kämpfende Arbeiterpartei gab es
nicht. Andererseits wäre gerade dieser Zustand der Dinge ein Grund gewesen,
das allgemeine Stimmrecht anzutasten. Aber Napoleon, der Kaiser von Plebiszits
Gnaden, der seinen Thron nur der allgemeinen Volksabstimmung verdankte, der Mann,
dessen Stärke einzig in seinem revolutionären Ursprung lag, durfte das nicht wagen.

So blieb das allgemeine Stimmrecht unangetastet. Als dann Napoleon, nach
den Schlägen im Kriege von 1870, das Feld räumen mußte und die dritte
Republik ins Leben trat, war das allgemeine Stimmrecht so in Fleisch und Blut
des französischen Volkes übergegangen, daß in ganz Frankreich nicht ein Mensch
sich befand, der seine Beschneidung oder Beseitigung für möglich gehalten hätte.
Es dachte daran nicht einmal Jemand. Daran änderte auch weder der Aufstand

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-10-30T15:09:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-10-30T15:09:45Z)

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Zitationshilfe: Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/9>, abgerufen am 03.12.2024.