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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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der Erstere aber siebenzehnhundertvierundsechzig geboren, und sagte mit einem eigenthümlichen Lächeln: Vetter, Vetter! Du wirst entweder ein Diplomat oder ein Feldherr, jedenfalls weißt du deine Pläne gut zu verstecken. Ich verstand nur halb, was mein Vetter mit diesen Worten sagen wollte, denn ich fühle in mir weder die Gaben des Staatsmannes, noch des Kriegers, und erwiederte so gut als Nichts auf seine Rede, was, wie ich vermuthe, wieder für äußerst fein und diplomatisch galt, während es nur das Zeichen meiner grenzenlosen Verlegenheit war. Mir war vor Allem jetzt darum zu thun, an der Stelle meines ganz und gar bestürzten Leonardus zu handeln, und mich unserer armen leidenden Anges und des Kindes in solcher Weise schützend anzunehmen, wie es Freundespflicht war, und wie ich auch gethan haben würde ohne die Aufmunterungen, die mir von dem Erbprinzen und meinen beiden Vettern zu Theil wurden.

Meine Lage und Stimmung war die schrecklichste, schaltete Leonardus ein, und keine Hand nahm hülfreich das Damoklesschwert hinweg, das drohend über meinem Haupte hing. Die Abendgesellschaft ging auseinander. Mein Vetter, der Capellan, raunte mir zu: Leonardus, wenn ich dir mit meinem geistlichen Segen aufwarten kann, so stehe ich zu Dienst; außerdem will ich dich in den Schutz aller Heiligen, insbesondere aber in den der heiligen Theodora von Alexandrien empfehlen, welche ihren Mann verließ und sich in ein Mönchskloster begab, um darin Gelegenheit zu haben, ihre Enthaltsamkeit zu bewähren! Gehabe dich wohl, trauter Vetter! -- Meine so eben mir verlobte Braut, Jungfrau Sibylla Nikodema van Swammerdam, sagte zu mir: Ik hef zulkes myn leefdagen niet gezien -- die kost is te magtig voor my.*)

Meine Mutter schlug die Hände über den Kopf zusammen, sah mit starrem Schreck und rathlosem Erstaunen den allgemeinen Aufbruch und rief einmal über das anderemal: od wil dat den besten keeren!**)

Und gar mein Vater! Als alle Gäste hinweg waren und die Diener alle aus den Zimmern, ihnen hinabzuleuchten, da trat er vor mich

*) Mein Lebtag habe ich so etwas nicht gesehen, diese Kost ist mir zu ungenießbar!
**) Möge Gott dies zum Besten lenken!

der Erstere aber siebenzehnhundertvierundsechzig geboren, und sagte mit einem eigenthümlichen Lächeln: Vetter, Vetter! Du wirst entweder ein Diplomat oder ein Feldherr, jedenfalls weißt du deine Pläne gut zu verstecken. Ich verstand nur halb, was mein Vetter mit diesen Worten sagen wollte, denn ich fühle in mir weder die Gaben des Staatsmannes, noch des Kriegers, und erwiederte so gut als Nichts auf seine Rede, was, wie ich vermuthe, wieder für äußerst fein und diplomatisch galt, während es nur das Zeichen meiner grenzenlosen Verlegenheit war. Mir war vor Allem jetzt darum zu thun, an der Stelle meines ganz und gar bestürzten Leonardus zu handeln, und mich unserer armen leidenden Angés und des Kindes in solcher Weise schützend anzunehmen, wie es Freundespflicht war, und wie ich auch gethan haben würde ohne die Aufmunterungen, die mir von dem Erbprinzen und meinen beiden Vettern zu Theil wurden.

Meine Lage und Stimmung war die schrecklichste, schaltete Leonardus ein, und keine Hand nahm hülfreich das Damoklesschwert hinweg, das drohend über meinem Haupte hing. Die Abendgesellschaft ging auseinander. Mein Vetter, der Capellan, raunte mir zu: Leonardus, wenn ich dir mit meinem geistlichen Segen aufwarten kann, so stehe ich zu Dienst; außerdem will ich dich in den Schutz aller Heiligen, insbesondere aber in den der heiligen Theodora von Alexandrien empfehlen, welche ihren Mann verließ und sich in ein Mönchskloster begab, um darin Gelegenheit zu haben, ihre Enthaltsamkeit zu bewähren! Gehabe dich wohl, trauter Vetter! — Meine so eben mir verlobte Braut, Jungfrau Sibylla Nikodema van Swammerdam, sagte zu mir: Ik hef zulkes myn leefdagen niet gezien — die kost is te magtig voor my.*)

Meine Mutter schlug die Hände über den Kopf zusammen, sah mit starrem Schreck und rathlosem Erstaunen den allgemeinen Aufbruch und rief einmal über das anderemal: ód wil dat den besten keeren!**)

Und gar mein Vater! Als alle Gäste hinweg waren und die Diener alle aus den Zimmern, ihnen hinabzuleuchten, da trat er vor mich

*) Mein Lebtag habe ich so etwas nicht gesehen, diese Kost ist mir zu ungenießbar!
**) Möge Gott dies zum Besten lenken!
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[148/0152] der Erstere aber siebenzehnhundertvierundsechzig geboren, und sagte mit einem eigenthümlichen Lächeln: Vetter, Vetter! Du wirst entweder ein Diplomat oder ein Feldherr, jedenfalls weißt du deine Pläne gut zu verstecken. Ich verstand nur halb, was mein Vetter mit diesen Worten sagen wollte, denn ich fühle in mir weder die Gaben des Staatsmannes, noch des Kriegers, und erwiederte so gut als Nichts auf seine Rede, was, wie ich vermuthe, wieder für äußerst fein und diplomatisch galt, während es nur das Zeichen meiner grenzenlosen Verlegenheit war. Mir war vor Allem jetzt darum zu thun, an der Stelle meines ganz und gar bestürzten Leonardus zu handeln, und mich unserer armen leidenden Angés und des Kindes in solcher Weise schützend anzunehmen, wie es Freundespflicht war, und wie ich auch gethan haben würde ohne die Aufmunterungen, die mir von dem Erbprinzen und meinen beiden Vettern zu Theil wurden. Meine Lage und Stimmung war die schrecklichste, schaltete Leonardus ein, und keine Hand nahm hülfreich das Damoklesschwert hinweg, das drohend über meinem Haupte hing. Die Abendgesellschaft ging auseinander. Mein Vetter, der Capellan, raunte mir zu: Leonardus, wenn ich dir mit meinem geistlichen Segen aufwarten kann, so stehe ich zu Dienst; außerdem will ich dich in den Schutz aller Heiligen, insbesondere aber in den der heiligen Theodora von Alexandrien empfehlen, welche ihren Mann verließ und sich in ein Mönchskloster begab, um darin Gelegenheit zu haben, ihre Enthaltsamkeit zu bewähren! Gehabe dich wohl, trauter Vetter! — Meine so eben mir verlobte Braut, Jungfrau Sibylla Nikodema van Swammerdam, sagte zu mir: Ik hef zulkes myn leefdagen niet gezien — die kost is te magtig voor my. *) Meine Mutter schlug die Hände über den Kopf zusammen, sah mit starrem Schreck und rathlosem Erstaunen den allgemeinen Aufbruch und rief einmal über das anderemal: ód wil dat den besten keeren! **) Und gar mein Vater! Als alle Gäste hinweg waren und die Diener alle aus den Zimmern, ihnen hinabzuleuchten, da trat er vor mich *) Mein Lebtag habe ich so etwas nicht gesehen, diese Kost ist mir zu ungenießbar! **) Möge Gott dies zum Besten lenken!

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/152>, abgerufen am 24.11.2024.