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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Aengstlichkeit zu verhüllen gesucht hatte. Wenn aber Anges erwog, welche große Ansprüche auf Dank sich Windt und dessen gutmüthige und liebevolle Frau um sie verdienten, welch ein trauliches und gewiß auch sicheres Asyl sich ihr, der Heimathlosen und Flüchtigen, in Doorwerth erschlossen, und endlich, wie wenig eine Mittheilung an diese Freundin, welche wohl kaum deren Schicksal weit über die Grenzen Gelderns und höchstens wieder einmal in die ostfriesischen und oldenburgischen Gefilde führen werde, irgend ihr oder dem Kinde dereinst Schaden bringen könnte, zumal wenn sie jeden Namen sorglich verschweige, so hielt sie sich nicht nur für berechtigt, sondern sogar durch Dankbarkeit verpflichtet, in etwas dem Wunsche der älteren Freundin nachzugeben. Sie begann daher, wenn auch nicht ganz ohne Zagen:

Was Sie zu erfahren wünschen, beste Frau Windt, und was ich selbst weiß und sagen darf, sollen Sie erfahren. Ein junger, schöner und höchst liebenswürdiger Prinz aus einem sehr vornehmen Hause faßte eine glühende Neigung zu einer Prinzessin, die nur wenige Jahre älter ist als er selbst, und einer Familie entstammt ist, in welcher die Leidenschaft der Liebe stets ein vorwaltender Charakterzug der Träger ihres Namens war. Vorbedeutungsvoll ist auch jener Prinz gleich nach seiner Geburt durch Feuer und Flammen gegangen. Ihn wie seine heimlich angebetete Geliebte trieb die Revolution aus ihrem beiderseitigen Vaterlande, dem schönen Frankreich, hinweg, und die Einsamkeit eines verborgenen Zufluchtsortes nährte die wachsende Flammengluth der jungen stürmischen Herzen und riß sie völlig hin.

Nichts hätte unter andern Verhältnissen den gegenseitig Ebenbürtigen im Wege gestanden, sich mit einander zu vermählen, aber die Zeit des Jahres siebenzehnhundertundneunzig war nicht günstig für Freuden und Hochzeiten der armen Flüchtlinge; war es doch erst kaum ein Jahr, daß der Graf von Artois, dessen Sie, beste Frau Windt, vorhin erwähnten, wie auch die Prinzen Conde, Broglio, Bretueil und auch die Polignac's ihr Vaterland gemieden hatten; man vernichtete, das heißt man hob in Frankreich alle Vorrechte der Geburt und des Standes auf, und es war kaum zu wagen, an eine Rückkehr in das geliebte Vaterland, oder an eine Rückkehr der alten Ordnung zu denken. Der junge Prinz, welcher bisher mehrere Reisen gemacht hatte, von denen er immer wieder an den Ort seiner verborgenen

Aengstlichkeit zu verhüllen gesucht hatte. Wenn aber Angés erwog, welche große Ansprüche auf Dank sich Windt und dessen gutmüthige und liebevolle Frau um sie verdienten, welch ein trauliches und gewiß auch sicheres Asyl sich ihr, der Heimathlosen und Flüchtigen, in Doorwerth erschlossen, und endlich, wie wenig eine Mittheilung an diese Freundin, welche wohl kaum deren Schicksal weit über die Grenzen Gelderns und höchstens wieder einmal in die ostfriesischen und oldenburgischen Gefilde führen werde, irgend ihr oder dem Kinde dereinst Schaden bringen könnte, zumal wenn sie jeden Namen sorglich verschweige, so hielt sie sich nicht nur für berechtigt, sondern sogar durch Dankbarkeit verpflichtet, in etwas dem Wunsche der älteren Freundin nachzugeben. Sie begann daher, wenn auch nicht ganz ohne Zagen:

Was Sie zu erfahren wünschen, beste Frau Windt, und was ich selbst weiß und sagen darf, sollen Sie erfahren. Ein junger, schöner und höchst liebenswürdiger Prinz aus einem sehr vornehmen Hause faßte eine glühende Neigung zu einer Prinzessin, die nur wenige Jahre älter ist als er selbst, und einer Familie entstammt ist, in welcher die Leidenschaft der Liebe stets ein vorwaltender Charakterzug der Träger ihres Namens war. Vorbedeutungsvoll ist auch jener Prinz gleich nach seiner Geburt durch Feuer und Flammen gegangen. Ihn wie seine heimlich angebetete Geliebte trieb die Revolution aus ihrem beiderseitigen Vaterlande, dem schönen Frankreich, hinweg, und die Einsamkeit eines verborgenen Zufluchtsortes nährte die wachsende Flammengluth der jungen stürmischen Herzen und riß sie völlig hin.

Nichts hätte unter andern Verhältnissen den gegenseitig Ebenbürtigen im Wege gestanden, sich mit einander zu vermählen, aber die Zeit des Jahres siebenzehnhundertundneunzig war nicht günstig für Freuden und Hochzeiten der armen Flüchtlinge; war es doch erst kaum ein Jahr, daß der Graf von Artois, dessen Sie, beste Frau Windt, vorhin erwähnten, wie auch die Prinzen Condé, Broglio, Bretueil und auch die Polignac’s ihr Vaterland gemieden hatten; man vernichtete, das heißt man hob in Frankreich alle Vorrechte der Geburt und des Standes auf, und es war kaum zu wagen, an eine Rückkehr in das geliebte Vaterland, oder an eine Rückkehr der alten Ordnung zu denken. Der junge Prinz, welcher bisher mehrere Reisen gemacht hatte, von denen er immer wieder an den Ort seiner verborgenen

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Aengstlichkeit zu verhüllen gesucht hatte. Wenn aber Angés erwog, welche große Ansprüche auf Dank sich Windt und dessen gutmüthige und liebevolle Frau um sie verdienten, welch ein trauliches und gewiß auch sicheres Asyl sich ihr, der Heimathlosen und Flüchtigen, in Doorwerth erschlossen, und endlich, wie wenig eine Mittheilung an diese Freundin, welche wohl kaum deren Schicksal weit über die Grenzen Gelderns und höchstens wieder einmal in die ostfriesischen und oldenburgischen Gefilde führen werde, irgend ihr oder dem Kinde dereinst Schaden bringen könnte, zumal wenn sie jeden Namen sorglich verschweige, so hielt sie sich nicht nur für berechtigt, sondern sogar durch Dankbarkeit verpflichtet, in etwas dem Wunsche der älteren Freundin nachzugeben. Sie begann daher, wenn auch nicht ganz ohne Zagen:</p>
          <p>Was Sie zu erfahren wünschen, beste Frau Windt, und was ich selbst weiß und sagen darf, sollen Sie erfahren. Ein junger, schöner und höchst liebenswürdiger Prinz aus einem sehr vornehmen Hause faßte eine glühende Neigung zu einer Prinzessin, die nur wenige Jahre älter ist als er selbst, und einer Familie entstammt ist, in welcher die Leidenschaft der Liebe stets ein vorwaltender Charakterzug der Träger ihres Namens war. Vorbedeutungsvoll ist auch jener Prinz gleich nach seiner Geburt durch Feuer und Flammen gegangen. Ihn wie seine heimlich angebetete Geliebte trieb die Revolution aus ihrem beiderseitigen Vaterlande, dem schönen Frankreich, hinweg, und die Einsamkeit eines verborgenen Zufluchtsortes nährte die wachsende Flammengluth der jungen stürmischen Herzen und riß sie völlig hin.</p>
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[180/0184] Aengstlichkeit zu verhüllen gesucht hatte. Wenn aber Angés erwog, welche große Ansprüche auf Dank sich Windt und dessen gutmüthige und liebevolle Frau um sie verdienten, welch ein trauliches und gewiß auch sicheres Asyl sich ihr, der Heimathlosen und Flüchtigen, in Doorwerth erschlossen, und endlich, wie wenig eine Mittheilung an diese Freundin, welche wohl kaum deren Schicksal weit über die Grenzen Gelderns und höchstens wieder einmal in die ostfriesischen und oldenburgischen Gefilde führen werde, irgend ihr oder dem Kinde dereinst Schaden bringen könnte, zumal wenn sie jeden Namen sorglich verschweige, so hielt sie sich nicht nur für berechtigt, sondern sogar durch Dankbarkeit verpflichtet, in etwas dem Wunsche der älteren Freundin nachzugeben. Sie begann daher, wenn auch nicht ganz ohne Zagen: Was Sie zu erfahren wünschen, beste Frau Windt, und was ich selbst weiß und sagen darf, sollen Sie erfahren. Ein junger, schöner und höchst liebenswürdiger Prinz aus einem sehr vornehmen Hause faßte eine glühende Neigung zu einer Prinzessin, die nur wenige Jahre älter ist als er selbst, und einer Familie entstammt ist, in welcher die Leidenschaft der Liebe stets ein vorwaltender Charakterzug der Träger ihres Namens war. Vorbedeutungsvoll ist auch jener Prinz gleich nach seiner Geburt durch Feuer und Flammen gegangen. Ihn wie seine heimlich angebetete Geliebte trieb die Revolution aus ihrem beiderseitigen Vaterlande, dem schönen Frankreich, hinweg, und die Einsamkeit eines verborgenen Zufluchtsortes nährte die wachsende Flammengluth der jungen stürmischen Herzen und riß sie völlig hin. Nichts hätte unter andern Verhältnissen den gegenseitig Ebenbürtigen im Wege gestanden, sich mit einander zu vermählen, aber die Zeit des Jahres siebenzehnhundertundneunzig war nicht günstig für Freuden und Hochzeiten der armen Flüchtlinge; war es doch erst kaum ein Jahr, daß der Graf von Artois, dessen Sie, beste Frau Windt, vorhin erwähnten, wie auch die Prinzen Condé, Broglio, Bretueil und auch die Polignac’s ihr Vaterland gemieden hatten; man vernichtete, das heißt man hob in Frankreich alle Vorrechte der Geburt und des Standes auf, und es war kaum zu wagen, an eine Rückkehr in das geliebte Vaterland, oder an eine Rückkehr der alten Ordnung zu denken. Der junge Prinz, welcher bisher mehrere Reisen gemacht hatte, von denen er immer wieder an den Ort seiner verborgenen

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/184>, abgerufen am 21.11.2024.