Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Hund aus der Thür jagt, von Varel nach Kniphausen hinüber, um den Wunsch der sterbenden Erbherrin zu erfüllen. Aber es ergriff sie schwer, nicht auf dem Hinweg, nicht auf dem Herweg sprach sie mit mir und meiner Schwester auch nur ein Sterbenswort. Sobald die Wege winterhart wurden, reisten wir hierher, doch ist sie seitdem nicht wieder aus dem Hause gekommen und ich gebe Ihnen mein Wort, Herr Graf, daß sie lebend auch nicht wieder über dessen Pforte kommt. Sie sagen mir viel, o, allzuviel Trübes und Schmerzliches, liebster Windt! seufzte Ludwig. Wie hatte ich mich gefreut auf mein Hierherkommen, ich wollte der Großmutter eine Prinzessin wieder zuführen, die eine Verwandte und die ein Engel an Liebenswürdigkeit ist, die auch schon hier war, und jenes Kind, das Sie so liebevoll in Doorwerth gehalten, jene kleine Sophie, die jetzt eilf Jahre alt ist und noch Jemand. Anges! rief Windt voll ungeheuchelter Freude. So haben Sie sie gefunden, und sie hat endlich -- ihr Herz -- Ihnen --? Nein, da irren Sie, mein Lieber! erwiederte Ludwig ernst. Anges ist sich gleich geblieben, und ich habe überwunden. Es war ein herber Kampf mit Liebe und Leidenschaft, der Sieg war schwer, aber jene Strophe stärkte mich, die mein verklärter Freund mir einst zurief. "Wir müssen alle ringen, Des Kampfs bleibt Keiner frei; Doch soll ein Sieg gelingen, Frag' nicht, ob schwer er sei." Wir siegten und wandeln nun in treuer Freundschaft verbunden neben einander wie Bruder und Schwester. Windt ließ die alte Reichsgräfin durch seine Schwester auf das Erscheinen ihres Enkels vorbereiten, und die dem Todte nahe Frau fühlte sich dadurch neu belebt; sie sammelte nochmals ihre ganze Kraft und in der That war es das letzte Gefühl irdischer Freude, das sie hob und kräftigte; sie konnte mit voller Stimme und im Tone alter Herzlichkeit ihm zurufen: Sei mir tausendmal willkommen, mein geliebtester Enkel! Du heißersehnter Liebling! Dich noch einmal zu sehen, ist Wonne meinen alten fünfundachtzigjährigen Augen, ist mir eine köstliche Arzenei, heilsamer als Alles, was Doctor Reimarus in der Apotheke für mich zusammenbrauen läßt! Hund aus der Thür jagt, von Varel nach Kniphausen hinüber, um den Wunsch der sterbenden Erbherrin zu erfüllen. Aber es ergriff sie schwer, nicht auf dem Hinweg, nicht auf dem Herweg sprach sie mit mir und meiner Schwester auch nur ein Sterbenswort. Sobald die Wege winterhart wurden, reisten wir hierher, doch ist sie seitdem nicht wieder aus dem Hause gekommen und ich gebe Ihnen mein Wort, Herr Graf, daß sie lebend auch nicht wieder über dessen Pforte kommt. Sie sagen mir viel, o, allzuviel Trübes und Schmerzliches, liebster Windt! seufzte Ludwig. Wie hatte ich mich gefreut auf mein Hierherkommen, ich wollte der Großmutter eine Prinzessin wieder zuführen, die eine Verwandte und die ein Engel an Liebenswürdigkeit ist, die auch schon hier war, und jenes Kind, das Sie so liebevoll in Doorwerth gehalten, jene kleine Sophie, die jetzt eilf Jahre alt ist und noch Jemand. Angés! rief Windt voll ungeheuchelter Freude. So haben Sie sie gefunden, und sie hat endlich — ihr Herz — Ihnen —? Nein, da irren Sie, mein Lieber! erwiederte Ludwig ernst. Angés ist sich gleich geblieben, und ich habe überwunden. Es war ein herber Kampf mit Liebe und Leidenschaft, der Sieg war schwer, aber jene Strophe stärkte mich, die mein verklärter Freund mir einst zurief. »Wir müssen alle ringen, Des Kampfs bleibt Keiner frei; Doch soll ein Sieg gelingen, Frag’ nicht, ob schwer er sei.“ Wir siegten und wandeln nun in treuer Freundschaft verbunden neben einander wie Bruder und Schwester. Windt ließ die alte Reichsgräfin durch seine Schwester auf das Erscheinen ihres Enkels vorbereiten, und die dem Todte nahe Frau fühlte sich dadurch neu belebt; sie sammelte nochmals ihre ganze Kraft und in der That war es das letzte Gefühl irdischer Freude, das sie hob und kräftigte; sie konnte mit voller Stimme und im Tone alter Herzlichkeit ihm zurufen: Sei mir tausendmal willkommen, mein geliebtester Enkel! Du heißersehnter Liebling! Dich noch einmal zu sehen, ist Wonne meinen alten fünfundachtzigjährigen Augen, ist mir eine köstliche Arzenei, heilsamer als Alles, was Doctor Reimarus in der Apotheke für mich zusammenbrauen läßt! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0358" n="354"/> Hund aus der Thür jagt, von Varel nach Kniphausen hinüber, um den Wunsch der sterbenden Erbherrin zu erfüllen. Aber es ergriff sie schwer, nicht auf dem Hinweg, nicht auf dem Herweg sprach sie mit mir und meiner Schwester auch nur ein Sterbenswort. Sobald die Wege winterhart wurden, reisten wir hierher, doch ist sie seitdem nicht wieder aus dem Hause gekommen und ich gebe Ihnen mein Wort, Herr Graf, daß sie lebend auch nicht wieder über dessen Pforte kommt.</p> <p>Sie sagen mir viel, o, allzuviel Trübes und Schmerzliches, liebster Windt! seufzte Ludwig. Wie hatte ich mich gefreut auf mein Hierherkommen, ich wollte der Großmutter eine Prinzessin wieder zuführen, die eine Verwandte und die ein Engel an Liebenswürdigkeit ist, die auch schon hier war, und jenes Kind, das Sie so liebevoll in Doorwerth gehalten, jene kleine Sophie, die jetzt eilf Jahre alt ist und noch Jemand.</p> <p>Angés! rief Windt voll ungeheuchelter Freude. So haben Sie sie gefunden, und sie hat endlich — ihr Herz — Ihnen —?</p> <p>Nein, da irren Sie, mein Lieber! erwiederte Ludwig ernst. Angés ist sich gleich geblieben, und ich habe überwunden. Es war ein herber Kampf mit Liebe und Leidenschaft, der Sieg war schwer, aber jene Strophe stärkte mich, die mein verklärter Freund mir einst zurief.</p> <lg type="poem"> <l>»Wir müssen alle ringen,<lb/></l> <l>Des Kampfs bleibt Keiner frei;<lb/></l> <l>Doch soll ein Sieg gelingen,<lb/></l> <l>Frag’ nicht, ob schwer er sei.“<lb/></l> </lg> <p>Wir siegten und wandeln nun in treuer Freundschaft verbunden neben einander wie Bruder und Schwester.</p> <p>Windt ließ die alte Reichsgräfin durch seine Schwester auf das Erscheinen ihres Enkels vorbereiten, und die dem Todte nahe Frau fühlte sich dadurch neu belebt; sie sammelte nochmals ihre ganze Kraft und in der That war es das letzte Gefühl irdischer Freude, das sie hob und kräftigte; sie konnte mit voller Stimme und im Tone alter Herzlichkeit ihm zurufen: Sei mir tausendmal willkommen, mein geliebtester Enkel! Du heißersehnter Liebling! Dich noch einmal zu sehen, ist Wonne meinen alten fünfundachtzigjährigen Augen, ist mir eine köstliche Arzenei, heilsamer als Alles, was Doctor Reimarus in der Apotheke für mich zusammenbrauen läßt!</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [354/0358]
Hund aus der Thür jagt, von Varel nach Kniphausen hinüber, um den Wunsch der sterbenden Erbherrin zu erfüllen. Aber es ergriff sie schwer, nicht auf dem Hinweg, nicht auf dem Herweg sprach sie mit mir und meiner Schwester auch nur ein Sterbenswort. Sobald die Wege winterhart wurden, reisten wir hierher, doch ist sie seitdem nicht wieder aus dem Hause gekommen und ich gebe Ihnen mein Wort, Herr Graf, daß sie lebend auch nicht wieder über dessen Pforte kommt.
Sie sagen mir viel, o, allzuviel Trübes und Schmerzliches, liebster Windt! seufzte Ludwig. Wie hatte ich mich gefreut auf mein Hierherkommen, ich wollte der Großmutter eine Prinzessin wieder zuführen, die eine Verwandte und die ein Engel an Liebenswürdigkeit ist, die auch schon hier war, und jenes Kind, das Sie so liebevoll in Doorwerth gehalten, jene kleine Sophie, die jetzt eilf Jahre alt ist und noch Jemand.
Angés! rief Windt voll ungeheuchelter Freude. So haben Sie sie gefunden, und sie hat endlich — ihr Herz — Ihnen —?
Nein, da irren Sie, mein Lieber! erwiederte Ludwig ernst. Angés ist sich gleich geblieben, und ich habe überwunden. Es war ein herber Kampf mit Liebe und Leidenschaft, der Sieg war schwer, aber jene Strophe stärkte mich, die mein verklärter Freund mir einst zurief.
»Wir müssen alle ringen,
Des Kampfs bleibt Keiner frei;
Doch soll ein Sieg gelingen,
Frag’ nicht, ob schwer er sei.“
Wir siegten und wandeln nun in treuer Freundschaft verbunden neben einander wie Bruder und Schwester.
Windt ließ die alte Reichsgräfin durch seine Schwester auf das Erscheinen ihres Enkels vorbereiten, und die dem Todte nahe Frau fühlte sich dadurch neu belebt; sie sammelte nochmals ihre ganze Kraft und in der That war es das letzte Gefühl irdischer Freude, das sie hob und kräftigte; sie konnte mit voller Stimme und im Tone alter Herzlichkeit ihm zurufen: Sei mir tausendmal willkommen, mein geliebtester Enkel! Du heißersehnter Liebling! Dich noch einmal zu sehen, ist Wonne meinen alten fünfundachtzigjährigen Augen, ist mir eine köstliche Arzenei, heilsamer als Alles, was Doctor Reimarus in der Apotheke für mich zusammenbrauen läßt!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML.
(2013-01-22T14:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-01-22T14:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |