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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Ludwig stand bewegt am Lager der gänzlich abgezehrten Greisin, deren Augen aber immer noch hell blickten, deren Gedanken immer noch klar waren.

Nach einer Pause, die der augenblicklichen Aufregung folgte, sprach sie in Gegenwart von Windt's Schwester, die auf den Wink der Herrin bleiben mußte: Du kommst noch eben recht, um dir ein Andenken zu holen, das außerdem nicht in deine Hände gekommen wäre, es ist ein Doppelandenken und Ottoline bestimmte dir's, rathe, Ludwig, was es ist?

Ottoline mir ein Andenken? Wie sollt' ich das errathen, beste Großmutter!

Die kranke Reichsgräfin winkte ihrer Kammerfrau, und diese brachte ein Lederfutteral herein.

Nun öffne lieber Ludwig, und schaue das Andenken an, das ich und Ottoline, die mich in ihrer Sterbestunde bat, dir dieses Kleinod zu gönnen, dir bestimmt haben, ein Andenken an sie und mich.

Ludwig öffnete die Hülle, und die Juwelenpracht des einzigen Kunstwerks strahlte ihm entgegen. Der Falk von Kniphausen! rief er, starr vor Staunen.

Von nun an dein Eigenthum, flüsterte die Kranke.

Das kann nicht sein, rief Ludwig: dies Kunstwerk ist eine Grafschaft werth, ach -- und für mich -- noch unendlich mehr -- o jener Tag -- ach, Ottoline!

Und wenn es zehn Grafschaften werth wäre, sprach die Gräfin: so wird es dir auch werth bleiben -- du wirst es nicht verschachern und verschleudern, wie meine herrliche Münzsammlung dereinst verschleift und verschleudert werden wird, über die ich bethörter Weise schon früher verfügte. Dir -- dir hätte ich sie geben und hinterlassen sollen!

Sie haben mich ja schon so überreich begabt, beste Großmutter! fiel Ludwig ein.

Mache keine vielen Worte und nimm den Falken an dich -- die Andern sollen ihn nicht haben -- sie sollen nicht wieder daraus trinken -- du -- nur du -- und die, welcher du dein Herz schenkest! Nimm ihn -- behalte ihn. Die Urkunde, daß ich dir den Falken

Ludwig stand bewegt am Lager der gänzlich abgezehrten Greisin, deren Augen aber immer noch hell blickten, deren Gedanken immer noch klar waren.

Nach einer Pause, die der augenblicklichen Aufregung folgte, sprach sie in Gegenwart von Windt’s Schwester, die auf den Wink der Herrin bleiben mußte: Du kommst noch eben recht, um dir ein Andenken zu holen, das außerdem nicht in deine Hände gekommen wäre, es ist ein Doppelandenken und Ottoline bestimmte dir’s, rathe, Ludwig, was es ist?

Ottoline mir ein Andenken? Wie sollt’ ich das errathen, beste Großmutter!

Die kranke Reichsgräfin winkte ihrer Kammerfrau, und diese brachte ein Lederfutteral herein.

Nun öffne lieber Ludwig, und schaue das Andenken an, das ich und Ottoline, die mich in ihrer Sterbestunde bat, dir dieses Kleinod zu gönnen, dir bestimmt haben, ein Andenken an sie und mich.

Ludwig öffnete die Hülle, und die Juwelenpracht des einzigen Kunstwerks strahlte ihm entgegen. Der Falk von Kniphausen! rief er, starr vor Staunen.

Von nun an dein Eigenthum, flüsterte die Kranke.

Das kann nicht sein, rief Ludwig: dies Kunstwerk ist eine Grafschaft werth, ach — und für mich — noch unendlich mehr — o jener Tag — ach, Ottoline!

Und wenn es zehn Grafschaften werth wäre, sprach die Gräfin: so wird es dir auch werth bleiben — du wirst es nicht verschachern und verschleudern, wie meine herrliche Münzsammlung dereinst verschleift und verschleudert werden wird, über die ich bethörter Weise schon früher verfügte. Dir — dir hätte ich sie geben und hinterlassen sollen!

Sie haben mich ja schon so überreich begabt, beste Großmutter! fiel Ludwig ein.

Mache keine vielen Worte und nimm den Falken an dich — die Andern sollen ihn nicht haben — sie sollen nicht wieder daraus trinken — du — nur du — und die, welcher du dein Herz schenkest! Nimm ihn — behalte ihn. Die Urkunde, daß ich dir den Falken

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[355/0359] Ludwig stand bewegt am Lager der gänzlich abgezehrten Greisin, deren Augen aber immer noch hell blickten, deren Gedanken immer noch klar waren. Nach einer Pause, die der augenblicklichen Aufregung folgte, sprach sie in Gegenwart von Windt’s Schwester, die auf den Wink der Herrin bleiben mußte: Du kommst noch eben recht, um dir ein Andenken zu holen, das außerdem nicht in deine Hände gekommen wäre, es ist ein Doppelandenken und Ottoline bestimmte dir’s, rathe, Ludwig, was es ist? Ottoline mir ein Andenken? Wie sollt’ ich das errathen, beste Großmutter! Die kranke Reichsgräfin winkte ihrer Kammerfrau, und diese brachte ein Lederfutteral herein. Nun öffne lieber Ludwig, und schaue das Andenken an, das ich und Ottoline, die mich in ihrer Sterbestunde bat, dir dieses Kleinod zu gönnen, dir bestimmt haben, ein Andenken an sie und mich. Ludwig öffnete die Hülle, und die Juwelenpracht des einzigen Kunstwerks strahlte ihm entgegen. Der Falk von Kniphausen! rief er, starr vor Staunen. Von nun an dein Eigenthum, flüsterte die Kranke. Das kann nicht sein, rief Ludwig: dies Kunstwerk ist eine Grafschaft werth, ach — und für mich — noch unendlich mehr — o jener Tag — ach, Ottoline! Und wenn es zehn Grafschaften werth wäre, sprach die Gräfin: so wird es dir auch werth bleiben — du wirst es nicht verschachern und verschleudern, wie meine herrliche Münzsammlung dereinst verschleift und verschleudert werden wird, über die ich bethörter Weise schon früher verfügte. Dir — dir hätte ich sie geben und hinterlassen sollen! Sie haben mich ja schon so überreich begabt, beste Großmutter! fiel Ludwig ein. Mache keine vielen Worte und nimm den Falken an dich — die Andern sollen ihn nicht haben — sie sollen nicht wieder daraus trinken — du — nur du — und die, welcher du dein Herz schenkest! Nimm ihn — behalte ihn. Die Urkunde, daß ich dir den Falken

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/359>, abgerufen am 29.09.2024.