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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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die niederländischen Republikaner keineswegs eine Revolution wollten. Der Herr Graf ist als Oberrichter stets gerecht und unparteiisch erschienen; er hat darauf das wachsamste Auge, daß Niemand Unrecht erleide, er hilft Allen, denen er nur irgend helfen kann, seien es sogenannte Patrioten, oder keine, und viele Unglückliche hat er als geschickter und rechtskundiger Anwalt so vertheidigt, daß sie schweren Strafen entgingen, denen sie ohne ihn anheim gefallen wären; daher verdient sein Benehmen, als das eines Mannes von Wort und von Ehre, weder Tadel noch Mißtrauen. Und was endlich meine "elende Demokratie" betrifft, wie Excellenz sich auszudrücken beliebten, so gebe ich dem Wunsche Worte, es möchte das ganze heilige römische Reich so glücklich sein, lauter Demokraten meines Schlages zu besitzen, dann würde überall Ruhe, Friede und Ordnung, und nirgend Empörung gegen Obere sein. Aber jeder Mensch hat minder oder mehr Gefühl für die Freiheit; wer dieses läugnet oder verläugnet, ist ein feiler Sclave, oder in seiner eigenen Seele selbst ein Stück von einem Despoten; ich bin keins von beiden. Derjenige jedoch, welcher an der gegenwärtigen, fanatischen, wahnsinnigen französischen Freiheitsraserei Theil nimmt und Behagen daran findet, ist ein Jacobiner, ein Anarchist, ein Verbrecher: das bin ich auch nicht, sondern stets zu Ihrer Excellenz Diensten.

Wackerer Windt -- vergeben Sie mir, wenn ich Sie kränkte! sprach die Reichsgräfin mit ernstem Gefühl, und immer höher stieg der Mann in ihrer Achtung, der mit dem redlichsten Diensteifer die Würde des Hauses wie seine eigene nicht einen Augenblick aus den Augen setzte.

Der Eintritt des jungen Herrn, der schon fast völlig reisefertig erschien, unterbrach das Gespräch der Gebieterin und des Dieners. Ludwig brachte seiner Gönnerin den üblichen Handkuß als Morgengruß dar und ihr Herz, so fest und stark es war, hart geworden durch die Jahre und die Fülle bitterer und schmerzlicher Erfahrungen, wallte auf bei dem Andenken an die Trennung von dem Liebling, der heute ihr so bleich und trauervoll nahte.

Ein freundlich bittender Augenwink der Reichsgräfin entließ Windt, und gleich nach dessen Entfernung redete sie den Enkel mütterlich liebevoll an.

die niederländischen Republikaner keineswegs eine Revolution wollten. Der Herr Graf ist als Oberrichter stets gerecht und unparteiisch erschienen; er hat darauf das wachsamste Auge, daß Niemand Unrecht erleide, er hilft Allen, denen er nur irgend helfen kann, seien es sogenannte Patrioten, oder keine, und viele Unglückliche hat er als geschickter und rechtskundiger Anwalt so vertheidigt, daß sie schweren Strafen entgingen, denen sie ohne ihn anheim gefallen wären; daher verdient sein Benehmen, als das eines Mannes von Wort und von Ehre, weder Tadel noch Mißtrauen. Und was endlich meine „elende Demokratie“ betrifft, wie Excellenz sich auszudrücken beliebten, so gebe ich dem Wunsche Worte, es möchte das ganze heilige römische Reich so glücklich sein, lauter Demokraten meines Schlages zu besitzen, dann würde überall Ruhe, Friede und Ordnung, und nirgend Empörung gegen Obere sein. Aber jeder Mensch hat minder oder mehr Gefühl für die Freiheit; wer dieses läugnet oder verläugnet, ist ein feiler Sclave, oder in seiner eigenen Seele selbst ein Stück von einem Despoten; ich bin keins von beiden. Derjenige jedoch, welcher an der gegenwärtigen, fanatischen, wahnsinnigen französischen Freiheitsraserei Theil nimmt und Behagen daran findet, ist ein Jacobiner, ein Anarchist, ein Verbrecher: das bin ich auch nicht, sondern stets zu Ihrer Excellenz Diensten.

Wackerer Windt — vergeben Sie mir, wenn ich Sie kränkte! sprach die Reichsgräfin mit ernstem Gefühl, und immer höher stieg der Mann in ihrer Achtung, der mit dem redlichsten Diensteifer die Würde des Hauses wie seine eigene nicht einen Augenblick aus den Augen setzte.

Der Eintritt des jungen Herrn, der schon fast völlig reisefertig erschien, unterbrach das Gespräch der Gebieterin und des Dieners. Ludwig brachte seiner Gönnerin den üblichen Handkuß als Morgengruß dar und ihr Herz, so fest und stark es war, hart geworden durch die Jahre und die Fülle bitterer und schmerzlicher Erfahrungen, wallte auf bei dem Andenken an die Trennung von dem Liebling, der heute ihr so bleich und trauervoll nahte.

Ein freundlich bittender Augenwink der Reichsgräfin entließ Windt, und gleich nach dessen Entfernung redete sie den Enkel mütterlich liebevoll an.

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die niederländischen Republikaner keineswegs eine Revolution wollten. Der Herr Graf ist als Oberrichter stets gerecht und unparteiisch erschienen; er hat darauf das wachsamste Auge, daß Niemand Unrecht erleide, er hilft Allen, denen er nur irgend helfen kann, seien es sogenannte Patrioten, oder keine, und viele Unglückliche hat er als geschickter und rechtskundiger Anwalt so vertheidigt, daß sie schweren Strafen entgingen, denen sie ohne ihn anheim gefallen wären; daher verdient sein Benehmen, als das eines Mannes von Wort und von Ehre, weder Tadel noch Mißtrauen. Und was endlich meine &#x201E;elende Demokratie&#x201C;  betrifft, wie Excellenz sich auszudrücken beliebten, so gebe ich dem Wunsche Worte, es möchte das ganze heilige römische Reich so glücklich sein, lauter Demokraten meines Schlages zu besitzen, dann würde überall Ruhe, Friede und Ordnung, und nirgend Empörung gegen Obere sein. Aber jeder Mensch hat minder oder mehr Gefühl für die <hi rendition="#g">Freiheit</hi>; wer dieses läugnet oder verläugnet, ist ein feiler Sclave, oder in seiner eigenen Seele selbst ein Stück von einem Despoten; ich bin keins von beiden. Derjenige jedoch, welcher an der gegenwärtigen, fanatischen, wahnsinnigen französischen Freiheitsraserei Theil nimmt und Behagen daran findet, ist ein Jacobiner, ein Anarchist, ein Verbrecher: das bin ich auch nicht, sondern stets zu Ihrer Excellenz Diensten.</p>
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[33/0037] die niederländischen Republikaner keineswegs eine Revolution wollten. Der Herr Graf ist als Oberrichter stets gerecht und unparteiisch erschienen; er hat darauf das wachsamste Auge, daß Niemand Unrecht erleide, er hilft Allen, denen er nur irgend helfen kann, seien es sogenannte Patrioten, oder keine, und viele Unglückliche hat er als geschickter und rechtskundiger Anwalt so vertheidigt, daß sie schweren Strafen entgingen, denen sie ohne ihn anheim gefallen wären; daher verdient sein Benehmen, als das eines Mannes von Wort und von Ehre, weder Tadel noch Mißtrauen. Und was endlich meine „elende Demokratie“ betrifft, wie Excellenz sich auszudrücken beliebten, so gebe ich dem Wunsche Worte, es möchte das ganze heilige römische Reich so glücklich sein, lauter Demokraten meines Schlages zu besitzen, dann würde überall Ruhe, Friede und Ordnung, und nirgend Empörung gegen Obere sein. Aber jeder Mensch hat minder oder mehr Gefühl für die Freiheit; wer dieses läugnet oder verläugnet, ist ein feiler Sclave, oder in seiner eigenen Seele selbst ein Stück von einem Despoten; ich bin keins von beiden. Derjenige jedoch, welcher an der gegenwärtigen, fanatischen, wahnsinnigen französischen Freiheitsraserei Theil nimmt und Behagen daran findet, ist ein Jacobiner, ein Anarchist, ein Verbrecher: das bin ich auch nicht, sondern stets zu Ihrer Excellenz Diensten. Wackerer Windt — vergeben Sie mir, wenn ich Sie kränkte! sprach die Reichsgräfin mit ernstem Gefühl, und immer höher stieg der Mann in ihrer Achtung, der mit dem redlichsten Diensteifer die Würde des Hauses wie seine eigene nicht einen Augenblick aus den Augen setzte. Der Eintritt des jungen Herrn, der schon fast völlig reisefertig erschien, unterbrach das Gespräch der Gebieterin und des Dieners. Ludwig brachte seiner Gönnerin den üblichen Handkuß als Morgengruß dar und ihr Herz, so fest und stark es war, hart geworden durch die Jahre und die Fülle bitterer und schmerzlicher Erfahrungen, wallte auf bei dem Andenken an die Trennung von dem Liebling, der heute ihr so bleich und trauervoll nahte. Ein freundlich bittender Augenwink der Reichsgräfin entließ Windt, und gleich nach dessen Entfernung redete sie den Enkel mütterlich liebevoll an.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/37>, abgerufen am 30.04.2024.