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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Du bist heute so blaß, mein Ludwig Carl -- du fühlst was ich fühle. Du willst fort, und die Trennung von mir thut deinem kindlichen Herzen weh?

Theuerste Großmutter! antwortete der Enkel: ich wollte, der Erbherr hätte seine That gegen mich gestern vollbracht; glauben Sie mir, mir wäre besser. Mir wurde eine Wunde geschlagen, die niemals heilen wird -- Gedanken stürmen in meiner Seele, die ich niemals dachte -- ich kannte nicht den Haß, nicht das brennende Gefühl der Rache, nicht die Schaam über einen Makel, den ich ohne Schuld mit mir durchs Leben tragen soll. Beste Großmutter! Ich beschwöre Sie, entdecken Sie mir Alles -- bin ich ein Edelmann, gehöre ich zu Ihrer Familie, oder bin ich --?

Wie du kindisch fragst, mein liebes Kind! war die Antwort. Würde ich dich laut und offen meinen Enkel nennen? Würde ich dich mit Sorgfalt und Liebe auferzogen haben? Würde ich dir gestattet haben, unser Wappen zu führen? Glaube das Eine fest, und lasse dich durch das Andere nicht beugen. Du bist auf dem Wege ein Mann zu werden, sei ein Mann! Vergiß das Herbe und Peinliche der gestrigen Stunde; vergieb dem Grafen: er war gereizt, er wußte nicht, was er that.

An ihm wird es daher sein, mich um Vergebung zu bitten, entgegnete der Jüngling, dessen Wangen neu auflodernde Schaam mit Zorn im Bunde wieder röthete.

Lass' das jetzt, sprach die Gräfin. Entdecken kann und darf ich dir nichts, mein geliebtes Kind! Du mußt das Dunkel deiner Geburt mit dir nehmen als deinen Schatten, denn ich bin nicht berechtigt, die Geheimnisse gewisser Personen zu lösen, die jene mir anvertraut und die mit sieben Siegeln verschlossen und mit den dichtesten Schleiern überhüllt sind. Aber etwas Tröstliches kann und will ich dir sagen. Es ist ein mächtiger Unterschied, den aber die Befangenheit, Mangelhaftigkeit und Starrheit der Gesetzgebung niemals anerkannt hat, zwischen den zur Welt gebrachten Früchten böser Lust und wilder Sinnengier, die ein Rausch des Augenblicks von dem Lebensbaume abschüttelte, und zwischen jenen Kindern hoher und reiner Liebe, gegen deren gesetzliche Einigung gebieterische Verhältnisse unübersteigliche Schranken zogen. Oft verjüngten sich durch solche Sprößlinge uralte bedeutende Geschlechter, und die Welt hat

Du bist heute so blaß, mein Ludwig Carl — du fühlst was ich fühle. Du willst fort, und die Trennung von mir thut deinem kindlichen Herzen weh?

Theuerste Großmutter! antwortete der Enkel: ich wollte, der Erbherr hätte seine That gegen mich gestern vollbracht; glauben Sie mir, mir wäre besser. Mir wurde eine Wunde geschlagen, die niemals heilen wird — Gedanken stürmen in meiner Seele, die ich niemals dachte — ich kannte nicht den Haß, nicht das brennende Gefühl der Rache, nicht die Schaam über einen Makel, den ich ohne Schuld mit mir durchs Leben tragen soll. Beste Großmutter! Ich beschwöre Sie, entdecken Sie mir Alles — bin ich ein Edelmann, gehöre ich zu Ihrer Familie, oder bin ich —?

Wie du kindisch fragst, mein liebes Kind! war die Antwort. Würde ich dich laut und offen meinen Enkel nennen? Würde ich dich mit Sorgfalt und Liebe auferzogen haben? Würde ich dir gestattet haben, unser Wappen zu führen? Glaube das Eine fest, und lasse dich durch das Andere nicht beugen. Du bist auf dem Wege ein Mann zu werden, sei ein Mann! Vergiß das Herbe und Peinliche der gestrigen Stunde; vergieb dem Grafen: er war gereizt, er wußte nicht, was er that.

An ihm wird es daher sein, mich um Vergebung zu bitten, entgegnete der Jüngling, dessen Wangen neu auflodernde Schaam mit Zorn im Bunde wieder röthete.

Lass’ das jetzt, sprach die Gräfin. Entdecken kann und darf ich dir nichts, mein geliebtes Kind! Du mußt das Dunkel deiner Geburt mit dir nehmen als deinen Schatten, denn ich bin nicht berechtigt, die Geheimnisse gewisser Personen zu lösen, die jene mir anvertraut und die mit sieben Siegeln verschlossen und mit den dichtesten Schleiern überhüllt sind. Aber etwas Tröstliches kann und will ich dir sagen. Es ist ein mächtiger Unterschied, den aber die Befangenheit, Mangelhaftigkeit und Starrheit der Gesetzgebung niemals anerkannt hat, zwischen den zur Welt gebrachten Früchten böser Lust und wilder Sinnengier, die ein Rausch des Augenblicks von dem Lebensbaume abschüttelte, und zwischen jenen Kindern hoher und reiner Liebe, gegen deren gesetzliche Einigung gebieterische Verhältnisse unübersteigliche Schranken zogen. Oft verjüngten sich durch solche Sprößlinge uralte bedeutende Geschlechter, und die Welt hat

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[34/0038] Du bist heute so blaß, mein Ludwig Carl — du fühlst was ich fühle. Du willst fort, und die Trennung von mir thut deinem kindlichen Herzen weh? Theuerste Großmutter! antwortete der Enkel: ich wollte, der Erbherr hätte seine That gegen mich gestern vollbracht; glauben Sie mir, mir wäre besser. Mir wurde eine Wunde geschlagen, die niemals heilen wird — Gedanken stürmen in meiner Seele, die ich niemals dachte — ich kannte nicht den Haß, nicht das brennende Gefühl der Rache, nicht die Schaam über einen Makel, den ich ohne Schuld mit mir durchs Leben tragen soll. Beste Großmutter! Ich beschwöre Sie, entdecken Sie mir Alles — bin ich ein Edelmann, gehöre ich zu Ihrer Familie, oder bin ich —? Wie du kindisch fragst, mein liebes Kind! war die Antwort. Würde ich dich laut und offen meinen Enkel nennen? Würde ich dich mit Sorgfalt und Liebe auferzogen haben? Würde ich dir gestattet haben, unser Wappen zu führen? Glaube das Eine fest, und lasse dich durch das Andere nicht beugen. Du bist auf dem Wege ein Mann zu werden, sei ein Mann! Vergiß das Herbe und Peinliche der gestrigen Stunde; vergieb dem Grafen: er war gereizt, er wußte nicht, was er that. An ihm wird es daher sein, mich um Vergebung zu bitten, entgegnete der Jüngling, dessen Wangen neu auflodernde Schaam mit Zorn im Bunde wieder röthete. Lass’ das jetzt, sprach die Gräfin. Entdecken kann und darf ich dir nichts, mein geliebtes Kind! Du mußt das Dunkel deiner Geburt mit dir nehmen als deinen Schatten, denn ich bin nicht berechtigt, die Geheimnisse gewisser Personen zu lösen, die jene mir anvertraut und die mit sieben Siegeln verschlossen und mit den dichtesten Schleiern überhüllt sind. Aber etwas Tröstliches kann und will ich dir sagen. Es ist ein mächtiger Unterschied, den aber die Befangenheit, Mangelhaftigkeit und Starrheit der Gesetzgebung niemals anerkannt hat, zwischen den zur Welt gebrachten Früchten böser Lust und wilder Sinnengier, die ein Rausch des Augenblicks von dem Lebensbaume abschüttelte, und zwischen jenen Kindern hoher und reiner Liebe, gegen deren gesetzliche Einigung gebieterische Verhältnisse unübersteigliche Schranken zogen. Oft verjüngten sich durch solche Sprößlinge uralte bedeutende Geschlechter, und die Welt hat

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/38>, abgerufen am 30.04.2024.