Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Enkel schwieg zu dieser Rede und blickte mit träumerischem Sinnen auf die Werke seines spielenden Fleißes, die Münztafeln.

Du willst reisen, und du mußt reisen -- fuhr die Reichsgräfin fort. Längst fühlte ich das, aber die große Liebe zu dir, die trauliche Macht der Gewohnheit unseres täglichen Beisammenseins, mein Alter, der Gedanke, daß unsere erste Trennung wohl eine Trennung für immer ist, bewältigte meine Einsicht und machte mich schwach und allzu nachgiebig gegen mich selbst. Das Schicksal führte diesen Anstoß herbei, ich muß dich von mir lassen, du liebes Schmerzenskind! Setze dich, höre mich weiter an, und vergiß nie in deinem ganzen Leben -- möge es ein langes und glückliches sein -- dieser heutigen ernsten und wichtigen Stunde! Wie ich auch gepeinigt, gedrückt, bedrängt und so zu sagen fast ausgezogen worden bin, arm haben sie mich, trotz ihres allerbesten Willens und trotz herzoglich oldenburgischer und königlich dänischer Hülfe doch nicht machen können; es hätte so gar wenig gefehlt, so wäre der deutsche Kaiser vermocht worden, gegen die alte eigensinnige Frau, die ihr Geld nicht alle hergeben wollte, einige Reichstruppen marschiren zu lassen. -- Da fast Alles von mir kommt, ist's zuletzt kein Wunder, daß man es von mir haben will, denn von den Schätzen des Hauses habe ich noch nichts gesehen, und die Lehengüter im Mond tragen höchstens einmal einen Steinregen ein. Gleichwohl will ich ihnen nichts vergeben, nicht auf's Neue den Vorwurf unüberlegter Schenkungen auf mich laden, wie ich allerdings gethan. Ich selbst bedarf wenig mehr; ich werde keine Bücher, keine Münzen und Medaillen mehr sammeln -- ich werde nur für dich leben, so lange der Himmel mir noch meine bereits gezählten Tage fristet.

O gütigste aller Großmütter! rief Ludwig Carl aus, und beugte sich tief auf die treuen Hände, die seine Jugend gepflegt, und jetzt erhoben wurden, um sich segnend auf sein schönes Haupt zu legen.

Nach einer Pause stiller und unaussprechlicher Rührung winkte die Reichsgräfin dem Enkel, ihr ein nahe stehendes, verschlossenes kupfernes Schatzkästchen zu bringen, während sie aus einer zusammengebundenen Anzahl kleiner Schlüssel den rechten suchte. Das Kästchen war leicht, baares Geld augenscheinlich nicht darin. Die Herrin erschloß es, es enthielt nur Papiere. Eines nach dem andern dieser Papiere

Der Enkel schwieg zu dieser Rede und blickte mit träumerischem Sinnen auf die Werke seines spielenden Fleißes, die Münztafeln.

Du willst reisen, und du mußt reisen — fuhr die Reichsgräfin fort. Längst fühlte ich das, aber die große Liebe zu dir, die trauliche Macht der Gewohnheit unseres täglichen Beisammenseins, mein Alter, der Gedanke, daß unsere erste Trennung wohl eine Trennung für immer ist, bewältigte meine Einsicht und machte mich schwach und allzu nachgiebig gegen mich selbst. Das Schicksal führte diesen Anstoß herbei, ich muß dich von mir lassen, du liebes Schmerzenskind! Setze dich, höre mich weiter an, und vergiß nie in deinem ganzen Leben — möge es ein langes und glückliches sein — dieser heutigen ernsten und wichtigen Stunde! Wie ich auch gepeinigt, gedrückt, bedrängt und so zu sagen fast ausgezogen worden bin, arm haben sie mich, trotz ihres allerbesten Willens und trotz herzoglich oldenburgischer und königlich dänischer Hülfe doch nicht machen können; es hätte so gar wenig gefehlt, so wäre der deutsche Kaiser vermocht worden, gegen die alte eigensinnige Frau, die ihr Geld nicht alle hergeben wollte, einige Reichstruppen marschiren zu lassen. — Da fast Alles von mir kommt, ist’s zuletzt kein Wunder, daß man es von mir haben will, denn von den Schätzen des Hauses habe ich noch nichts gesehen, und die Lehengüter im Mond tragen höchstens einmal einen Steinregen ein. Gleichwohl will ich ihnen nichts vergeben, nicht auf’s Neue den Vorwurf unüberlegter Schenkungen auf mich laden, wie ich allerdings gethan. Ich selbst bedarf wenig mehr; ich werde keine Bücher, keine Münzen und Medaillen mehr sammeln — ich werde nur für dich leben, so lange der Himmel mir noch meine bereits gezählten Tage fristet.

O gütigste aller Großmütter! rief Ludwig Carl aus, und beugte sich tief auf die treuen Hände, die seine Jugend gepflegt, und jetzt erhoben wurden, um sich segnend auf sein schönes Haupt zu legen.

Nach einer Pause stiller und unaussprechlicher Rührung winkte die Reichsgräfin dem Enkel, ihr ein nahe stehendes, verschlossenes kupfernes Schatzkästchen zu bringen, während sie aus einer zusammengebundenen Anzahl kleiner Schlüssel den rechten suchte. Das Kästchen war leicht, baares Geld augenscheinlich nicht darin. Die Herrin erschloß es, es enthielt nur Papiere. Eines nach dem andern dieser Papiere

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0040" n="36"/>
          <p>Der Enkel schwieg zu dieser Rede und blickte mit träumerischem Sinnen auf die Werke seines spielenden Fleißes, die Münztafeln.</p>
          <p>Du willst reisen, und du mußt reisen &#x2014; fuhr die Reichsgräfin fort. Längst fühlte ich das, aber die große Liebe zu dir, die trauliche Macht der Gewohnheit unseres täglichen Beisammenseins, mein Alter, der Gedanke, daß unsere erste Trennung wohl eine Trennung für immer ist, bewältigte meine Einsicht und machte mich schwach und allzu nachgiebig gegen mich selbst. Das Schicksal führte diesen Anstoß herbei, ich muß dich von mir lassen, du liebes Schmerzenskind! Setze dich, höre mich weiter an, und vergiß nie in deinem ganzen Leben &#x2014; möge es ein langes und glückliches sein &#x2014; dieser heutigen ernsten und wichtigen Stunde! Wie ich auch gepeinigt, gedrückt, bedrängt und so zu sagen fast ausgezogen worden bin, arm haben sie mich, trotz ihres allerbesten Willens und trotz herzoglich oldenburgischer und königlich dänischer Hülfe doch nicht machen können; es hätte so gar wenig gefehlt, so wäre der deutsche Kaiser vermocht worden, gegen die alte eigensinnige Frau, die ihr Geld nicht alle hergeben wollte, einige Reichstruppen marschiren zu lassen. &#x2014; Da fast Alles von mir kommt, ist&#x2019;s zuletzt kein Wunder, daß man es von mir haben will, denn von den Schätzen des Hauses habe ich noch nichts gesehen, und die Lehengüter im Mond tragen höchstens einmal einen Steinregen ein. Gleichwohl will ich ihnen nichts vergeben, nicht auf&#x2019;s Neue den Vorwurf unüberlegter Schenkungen auf mich laden, wie ich allerdings gethan. Ich selbst bedarf wenig mehr; ich werde keine Bücher, keine Münzen und Medaillen mehr sammeln &#x2014; ich werde nur für dich leben, so lange der Himmel mir noch meine bereits gezählten Tage fristet.</p>
          <p>O gütigste aller Großmütter! rief Ludwig Carl aus, und beugte sich tief auf die treuen Hände, die seine Jugend gepflegt, und jetzt erhoben wurden, um sich segnend auf sein schönes Haupt zu legen.</p>
          <p>Nach einer Pause stiller und unaussprechlicher Rührung winkte die Reichsgräfin dem Enkel, ihr ein nahe stehendes, verschlossenes kupfernes Schatzkästchen zu bringen, während sie aus einer zusammengebundenen Anzahl kleiner Schlüssel den rechten suchte. Das Kästchen war leicht, baares Geld augenscheinlich nicht darin. Die Herrin erschloß es, es enthielt nur Papiere. Eines nach dem andern dieser Papiere
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0040] Der Enkel schwieg zu dieser Rede und blickte mit träumerischem Sinnen auf die Werke seines spielenden Fleißes, die Münztafeln. Du willst reisen, und du mußt reisen — fuhr die Reichsgräfin fort. Längst fühlte ich das, aber die große Liebe zu dir, die trauliche Macht der Gewohnheit unseres täglichen Beisammenseins, mein Alter, der Gedanke, daß unsere erste Trennung wohl eine Trennung für immer ist, bewältigte meine Einsicht und machte mich schwach und allzu nachgiebig gegen mich selbst. Das Schicksal führte diesen Anstoß herbei, ich muß dich von mir lassen, du liebes Schmerzenskind! Setze dich, höre mich weiter an, und vergiß nie in deinem ganzen Leben — möge es ein langes und glückliches sein — dieser heutigen ernsten und wichtigen Stunde! Wie ich auch gepeinigt, gedrückt, bedrängt und so zu sagen fast ausgezogen worden bin, arm haben sie mich, trotz ihres allerbesten Willens und trotz herzoglich oldenburgischer und königlich dänischer Hülfe doch nicht machen können; es hätte so gar wenig gefehlt, so wäre der deutsche Kaiser vermocht worden, gegen die alte eigensinnige Frau, die ihr Geld nicht alle hergeben wollte, einige Reichstruppen marschiren zu lassen. — Da fast Alles von mir kommt, ist’s zuletzt kein Wunder, daß man es von mir haben will, denn von den Schätzen des Hauses habe ich noch nichts gesehen, und die Lehengüter im Mond tragen höchstens einmal einen Steinregen ein. Gleichwohl will ich ihnen nichts vergeben, nicht auf’s Neue den Vorwurf unüberlegter Schenkungen auf mich laden, wie ich allerdings gethan. Ich selbst bedarf wenig mehr; ich werde keine Bücher, keine Münzen und Medaillen mehr sammeln — ich werde nur für dich leben, so lange der Himmel mir noch meine bereits gezählten Tage fristet. O gütigste aller Großmütter! rief Ludwig Carl aus, und beugte sich tief auf die treuen Hände, die seine Jugend gepflegt, und jetzt erhoben wurden, um sich segnend auf sein schönes Haupt zu legen. Nach einer Pause stiller und unaussprechlicher Rührung winkte die Reichsgräfin dem Enkel, ihr ein nahe stehendes, verschlossenes kupfernes Schatzkästchen zu bringen, während sie aus einer zusammengebundenen Anzahl kleiner Schlüssel den rechten suchte. Das Kästchen war leicht, baares Geld augenscheinlich nicht darin. Die Herrin erschloß es, es enthielt nur Papiere. Eines nach dem andern dieser Papiere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/40
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/40>, abgerufen am 30.04.2024.