Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.ausmachen, und ich werde stets dem Himmel dafür danken, daß mir vergönnt wurde -- was wir gewiß für eine Fügung Gottes halten dürfen -- Ihnen den heutigen Dienst mit Hülfe eines treuen Dieners zu leisten -- aber bleiben kann und darf ich hier nun einmal nicht! Es ist die feurigste aller feurigen Kohlen, die wohl je auf eines Feindes Haupt gesammelt ward, entgegnete die Gräfin: aber mein lieber Cousin, Sie sind nun schon in meinem Bann, hier bin ich Herrin und Verweserin der Herrlichkeit Kniphausen, ich lasse Sie nicht los, Sie sind jetzt mein mir auf Gnade und Ungnade ergebener Gefangener. Wo wollten Sie denn nun auch noch hin -- da der Abend schon anbricht? Und Sie wissen ja, daß in unserm Hause die Ungnade als Ahnfrau umherspukt! Wie befindet sich denn unsere noch lebende Ungnade, die Alte? Wenn diese Frage ihrer Excellenz der alten Frau Reichsgräfin Charlotte Sophie gilt, versetzte Ludwig, in etwas durch die spöttische Weise verletzt, welche die letzte Rede Ottolinens zu einer Spitze schliff, so kann ich berichten, daß hochdieselbe nach den Umständen, die deren hohes Alter mit manchem Weh begleiten, sich leidlich wohl befinden. Ich höre das immer gern, lenkte die Gräfin ein. Wie schroff und wunderlich auch diese alte Frau erscheinen mag, wie wenig Grund wir auch haben, sie zu lieben, achtungswürdig ist sie mir stets erschienen. Auch ist sie Pathe meiner Marie Antoinette Charlotte. -- Wir alle werden nicht besser mit den wachsenden Jahren, und ändern kann sich nun einmal eine Frau von neunundsiebenzig Jahren nicht mehr. Wie auch immer das Urtheil der hohen Familie über diese würdige Greisin gefällt werde, hold oder abhold, günstig oder ungünstig -- versetzte Ludwig: mir steht sie hoch und gilt sie viel. Meine dankbare und liebende Verehrung gegen sie kann und wird nur mit meinem Leben enden -- und das eben war es, was ich gegen Ihren Herrn Gemahl äußerte, daß ich nicht glaube, sie werde ihm Ungerechtes ansinnen, und was ihn so furchtbar gegen mich in Harnisch brachte, daß er seiner selbst vergaß. Lassen Sie uns von all diesem doch lieber jetzt ganz schweigen, mein lieber Cousin! erwiederte die Gräfin ernst und voll der mildesten Freundlichkeit. Es kann sich alles wieder zum Guten und Rechten lenken ausmachen, und ich werde stets dem Himmel dafür danken, daß mir vergönnt wurde — was wir gewiß für eine Fügung Gottes halten dürfen — Ihnen den heutigen Dienst mit Hülfe eines treuen Dieners zu leisten — aber bleiben kann und darf ich hier nun einmal nicht! Es ist die feurigste aller feurigen Kohlen, die wohl je auf eines Feindes Haupt gesammelt ward, entgegnete die Gräfin: aber mein lieber Cousin, Sie sind nun schon in meinem Bann, hier bin ich Herrin und Verweserin der Herrlichkeit Kniphausen, ich lasse Sie nicht los, Sie sind jetzt mein mir auf Gnade und Ungnade ergebener Gefangener. Wo wollten Sie denn nun auch noch hin — da der Abend schon anbricht? Und Sie wissen ja, daß in unserm Hause die Ungnade als Ahnfrau umherspukt! Wie befindet sich denn unsere noch lebende Ungnade, die Alte? Wenn diese Frage ihrer Excellenz der alten Frau Reichsgräfin Charlotte Sophie gilt, versetzte Ludwig, in etwas durch die spöttische Weise verletzt, welche die letzte Rede Ottolinens zu einer Spitze schliff, so kann ich berichten, daß hochdieselbe nach den Umständen, die deren hohes Alter mit manchem Weh begleiten, sich leidlich wohl befinden. Ich höre das immer gern, lenkte die Gräfin ein. Wie schroff und wunderlich auch diese alte Frau erscheinen mag, wie wenig Grund wir auch haben, sie zu lieben, achtungswürdig ist sie mir stets erschienen. Auch ist sie Pathe meiner Marie Antoinette Charlotte. — Wir alle werden nicht besser mit den wachsenden Jahren, und ändern kann sich nun einmal eine Frau von neunundsiebenzig Jahren nicht mehr. Wie auch immer das Urtheil der hohen Familie über diese würdige Greisin gefällt werde, hold oder abhold, günstig oder ungünstig — versetzte Ludwig: mir steht sie hoch und gilt sie viel. Meine dankbare und liebende Verehrung gegen sie kann und wird nur mit meinem Leben enden — und das eben war es, was ich gegen Ihren Herrn Gemahl äußerte, daß ich nicht glaube, sie werde ihm Ungerechtes ansinnen, und was ihn so furchtbar gegen mich in Harnisch brachte, daß er seiner selbst vergaß. Lassen Sie uns von all diesem doch lieber jetzt ganz schweigen, mein lieber Cousin! erwiederte die Gräfin ernst und voll der mildesten Freundlichkeit. 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Wie befindet sich denn unsere noch lebende Ungnade, die Alte?</p> <p>Wenn diese Frage ihrer Excellenz der alten Frau Reichsgräfin Charlotte Sophie gilt, versetzte Ludwig, in etwas durch die spöttische Weise verletzt, welche die letzte Rede Ottolinens zu einer Spitze schliff, so kann ich berichten, daß hochdieselbe nach den Umständen, die deren hohes Alter mit manchem Weh begleiten, sich leidlich wohl befinden.</p> <p>Ich höre das immer gern, lenkte die Gräfin ein. Wie schroff und wunderlich auch diese alte Frau erscheinen mag, wie wenig Grund wir auch haben, sie zu lieben, achtungswürdig ist sie mir stets erschienen. Auch ist sie Pathe meiner Marie Antoinette Charlotte. — Wir alle werden nicht besser mit den wachsenden Jahren, und ändern kann sich nun einmal eine Frau von neunundsiebenzig Jahren nicht mehr.</p> <p>Wie auch immer das Urtheil der hohen Familie über diese würdige Greisin gefällt werde, hold oder abhold, günstig oder ungünstig — versetzte Ludwig: mir steht sie hoch und gilt sie viel. Meine dankbare und liebende Verehrung gegen sie kann und wird nur mit meinem Leben enden — und das eben war es, was ich gegen Ihren Herrn Gemahl äußerte, daß ich nicht glaube, sie werde ihm Ungerechtes ansinnen, und was ihn so furchtbar gegen mich in Harnisch brachte, daß er seiner selbst vergaß.</p> <p>Lassen Sie uns von all diesem doch lieber jetzt ganz schweigen, mein lieber Cousin! erwiederte die Gräfin ernst und voll der mildesten Freundlichkeit. Es kann sich alles wieder zum Guten und Rechten lenken </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0062]
ausmachen, und ich werde stets dem Himmel dafür danken, daß mir vergönnt wurde — was wir gewiß für eine Fügung Gottes halten dürfen — Ihnen den heutigen Dienst mit Hülfe eines treuen Dieners zu leisten — aber bleiben kann und darf ich hier nun einmal nicht!
Es ist die feurigste aller feurigen Kohlen, die wohl je auf eines Feindes Haupt gesammelt ward, entgegnete die Gräfin: aber mein lieber Cousin, Sie sind nun schon in meinem Bann, hier bin ich Herrin und Verweserin der Herrlichkeit Kniphausen, ich lasse Sie nicht los, Sie sind jetzt mein mir auf Gnade und Ungnade ergebener Gefangener. Wo wollten Sie denn nun auch noch hin — da der Abend schon anbricht? Und Sie wissen ja, daß in unserm Hause die Ungnade als Ahnfrau umherspukt! Wie befindet sich denn unsere noch lebende Ungnade, die Alte?
Wenn diese Frage ihrer Excellenz der alten Frau Reichsgräfin Charlotte Sophie gilt, versetzte Ludwig, in etwas durch die spöttische Weise verletzt, welche die letzte Rede Ottolinens zu einer Spitze schliff, so kann ich berichten, daß hochdieselbe nach den Umständen, die deren hohes Alter mit manchem Weh begleiten, sich leidlich wohl befinden.
Ich höre das immer gern, lenkte die Gräfin ein. Wie schroff und wunderlich auch diese alte Frau erscheinen mag, wie wenig Grund wir auch haben, sie zu lieben, achtungswürdig ist sie mir stets erschienen. Auch ist sie Pathe meiner Marie Antoinette Charlotte. — Wir alle werden nicht besser mit den wachsenden Jahren, und ändern kann sich nun einmal eine Frau von neunundsiebenzig Jahren nicht mehr.
Wie auch immer das Urtheil der hohen Familie über diese würdige Greisin gefällt werde, hold oder abhold, günstig oder ungünstig — versetzte Ludwig: mir steht sie hoch und gilt sie viel. Meine dankbare und liebende Verehrung gegen sie kann und wird nur mit meinem Leben enden — und das eben war es, was ich gegen Ihren Herrn Gemahl äußerte, daß ich nicht glaube, sie werde ihm Ungerechtes ansinnen, und was ihn so furchtbar gegen mich in Harnisch brachte, daß er seiner selbst vergaß.
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/62>, abgerufen am 16.02.2025. |