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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Die Semiten.
thros und nahmen ihn in den Himmel auf; seine Nachkommen zogen
wieder nach Süden und gruben die heiligen Bücher in der Stadt Syp-
para, wo Xisuthros sie auf Befehl der Götter vor der Flut vergraben
hatte, wieder auf.

Die Überlieferung dieser grossen Flut findet sich bei allen semi-
tischen. Völkern. Die Geschichte des Oan ist in sofern für uns von
besonderem Interesse, als sie den Ausgangspunkt der Kultur in den
südlichsten Teil des Euphratgebietes, an das Gestade des Meeres, ver-
legt. Auch die Bibel schreibt die erste Blüte einer Herrschaft in Ba-
bylonien nicht den Semiten, sondern Nimrod dem Sohne des Kusch,
der ein Nachkomme Hams war, zu. Unter den Kindern Kuschs ver-
stehen aber die heiligen Schriften der Hebräer durchgehends südlich
wohnende Völkerschaften. Diese Thatsache, dass das erste zivilisierte
Volk mit geordneter Staatseinrichtung an dem unteren Laufe des
Euphrat ansässig und seine Abstammung noch den Semiten fremd war,
wird auch durch die Thatsachen bestätigt, welche die zahlreichen assy-
rischen Inschriften auf Ziegeln und Steintafeln enthüllt haben. Aus
diesen geht hervor, dass, ehe die Semiten die Herrschaft des Landes
gewannen, im untern Euphratgebiete ein Volk ansässig war, welches
bereits neben mancherlei technischen Kenntnissen mit der Schrift be-
kannt war. Dieses Volk war nicht semitischer Abstammung, sondern
gehörte einer andern Völkerfamilie, wie einige meinen, der turanischen
(altaischen) an. Die Zeit der Selbständigkeit dieses Volkes geht über
2500 v. Chr. hinaus und mag wohl bis zum Jahre 3000 v. Chr. hinauf-
reichen. Die Semiten wanderten wahrscheinlich von Süden her, aus
Arabien, in das Euphratland ein, sie lernten die Schrift und mancherlei
Künste von den Eingeborenen, die sie nach und nach absorbierten, doch
nicht so vollständig, dass sich nicht nach Jahrtausenden noch Reste
der alten Sprache erhalten hätten. Besonders scheinen sich im Gebiete
von Susa auch in späterer Zeit noch Volksgemeinschaften dieser Ur-
bewohner erhalten zu haben, indem die in Susa aufgefundenen In-
schriften diesem turanischen Volke angehören. Aber auch in dem
übrigen Reiche war ihre Sprache nicht gänzlich verschwunden, was
daraus hervorgeht, dass noch in den späteren assyrischen Inschriften
die Monatsbezeichnungen neben einander in assyrischer, babylonischer
und turanischer (akkadische) Sprache angeführt werden. Semiten
aus Arabien eroberten nach und nach das untere Stromland und
gründeten Städte und Königreiche, die sich unter einander bekämpf-
ten. Die ältesten dieser Königsstädte, welche die alten Inschriften
wie die Bibel anführen, waren Arak, Ur und Nipur. Daneben werden

Die Semiten.
thros und nahmen ihn in den Himmel auf; seine Nachkommen zogen
wieder nach Süden und gruben die heiligen Bücher in der Stadt Syp-
para, wo Xisuthros sie auf Befehl der Götter vor der Flut vergraben
hatte, wieder auf.

Die Überlieferung dieser groſsen Flut findet sich bei allen semi-
tischen. Völkern. Die Geschichte des Oan ist in sofern für uns von
besonderem Interesse, als sie den Ausgangspunkt der Kultur in den
südlichsten Teil des Euphratgebietes, an das Gestade des Meeres, ver-
legt. Auch die Bibel schreibt die erste Blüte einer Herrschaft in Ba-
bylonien nicht den Semiten, sondern Nimrod dem Sohne des Kusch,
der ein Nachkomme Hams war, zu. Unter den Kindern Kuschs ver-
stehen aber die heiligen Schriften der Hebräer durchgehends südlich
wohnende Völkerschaften. Diese Thatsache, daſs das erste zivilisierte
Volk mit geordneter Staatseinrichtung an dem unteren Laufe des
Euphrat ansäſsig und seine Abstammung noch den Semiten fremd war,
wird auch durch die Thatsachen bestätigt, welche die zahlreichen assy-
rischen Inschriften auf Ziegeln und Steintafeln enthüllt haben. Aus
diesen geht hervor, daſs, ehe die Semiten die Herrschaft des Landes
gewannen, im untern Euphratgebiete ein Volk ansäſsig war, welches
bereits neben mancherlei technischen Kenntnissen mit der Schrift be-
kannt war. Dieses Volk war nicht semitischer Abstammung, sondern
gehörte einer andern Völkerfamilie, wie einige meinen, der turanischen
(altaischen) an. Die Zeit der Selbständigkeit dieses Volkes geht über
2500 v. Chr. hinaus und mag wohl bis zum Jahre 3000 v. Chr. hinauf-
reichen. Die Semiten wanderten wahrscheinlich von Süden her, aus
Arabien, in das Euphratland ein, sie lernten die Schrift und mancherlei
Künste von den Eingeborenen, die sie nach und nach absorbierten, doch
nicht so vollständig, daſs sich nicht nach Jahrtausenden noch Reste
der alten Sprache erhalten hätten. Besonders scheinen sich im Gebiete
von Susa auch in späterer Zeit noch Volksgemeinschaften dieser Ur-
bewohner erhalten zu haben, indem die in Susa aufgefundenen In-
schriften diesem turanischen Volke angehören. Aber auch in dem
übrigen Reiche war ihre Sprache nicht gänzlich verschwunden, was
daraus hervorgeht, daſs noch in den späteren assyrischen Inschriften
die Monatsbezeichnungen neben einander in assyrischer, babylonischer
und turanischer (akkadische) Sprache angeführt werden. Semiten
aus Arabien eroberten nach und nach das untere Stromland und
gründeten Städte und Königreiche, die sich unter einander bekämpf-
ten. Die ältesten dieser Königsstädte, welche die alten Inschriften
wie die Bibel anführen, waren Arak, Ur und Nipur. Daneben werden

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[106/0128] Die Semiten. thros und nahmen ihn in den Himmel auf; seine Nachkommen zogen wieder nach Süden und gruben die heiligen Bücher in der Stadt Syp- para, wo Xisuthros sie auf Befehl der Götter vor der Flut vergraben hatte, wieder auf. Die Überlieferung dieser groſsen Flut findet sich bei allen semi- tischen. Völkern. Die Geschichte des Oan ist in sofern für uns von besonderem Interesse, als sie den Ausgangspunkt der Kultur in den südlichsten Teil des Euphratgebietes, an das Gestade des Meeres, ver- legt. Auch die Bibel schreibt die erste Blüte einer Herrschaft in Ba- bylonien nicht den Semiten, sondern Nimrod dem Sohne des Kusch, der ein Nachkomme Hams war, zu. Unter den Kindern Kuschs ver- stehen aber die heiligen Schriften der Hebräer durchgehends südlich wohnende Völkerschaften. Diese Thatsache, daſs das erste zivilisierte Volk mit geordneter Staatseinrichtung an dem unteren Laufe des Euphrat ansäſsig und seine Abstammung noch den Semiten fremd war, wird auch durch die Thatsachen bestätigt, welche die zahlreichen assy- rischen Inschriften auf Ziegeln und Steintafeln enthüllt haben. Aus diesen geht hervor, daſs, ehe die Semiten die Herrschaft des Landes gewannen, im untern Euphratgebiete ein Volk ansäſsig war, welches bereits neben mancherlei technischen Kenntnissen mit der Schrift be- kannt war. Dieses Volk war nicht semitischer Abstammung, sondern gehörte einer andern Völkerfamilie, wie einige meinen, der turanischen (altaischen) an. Die Zeit der Selbständigkeit dieses Volkes geht über 2500 v. Chr. hinaus und mag wohl bis zum Jahre 3000 v. Chr. hinauf- reichen. Die Semiten wanderten wahrscheinlich von Süden her, aus Arabien, in das Euphratland ein, sie lernten die Schrift und mancherlei Künste von den Eingeborenen, die sie nach und nach absorbierten, doch nicht so vollständig, daſs sich nicht nach Jahrtausenden noch Reste der alten Sprache erhalten hätten. Besonders scheinen sich im Gebiete von Susa auch in späterer Zeit noch Volksgemeinschaften dieser Ur- bewohner erhalten zu haben, indem die in Susa aufgefundenen In- schriften diesem turanischen Volke angehören. Aber auch in dem übrigen Reiche war ihre Sprache nicht gänzlich verschwunden, was daraus hervorgeht, daſs noch in den späteren assyrischen Inschriften die Monatsbezeichnungen neben einander in assyrischer, babylonischer und turanischer (akkadische) Sprache angeführt werden. Semiten aus Arabien eroberten nach und nach das untere Stromland und gründeten Städte und Königreiche, die sich unter einander bekämpf- ten. Die ältesten dieser Königsstädte, welche die alten Inschriften wie die Bibel anführen, waren Arak, Ur und Nipur. Daneben werden

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/128>, abgerufen am 27.04.2024.