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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Die Semiten.
Wichtigkeit für den Wohlstand und die Sicherheit des Landes die
alten chaldäischen Könige so durchdrungen waren, dass sie in Auf-
zählung ihrer Grossthaten die Kanäle, die sie erbaut haben, immer
ganz besonders hervorhoben. Dadurch war aber auch das ganze
Euphrat- und Tigrisgebiet, welches jetzt zum grössten Teil Wüste ist,
ein blühender Garten, dessen Anmut und Reichtum alle Schriftsteller
des Altertums, die es kannten, überschwenglich preisen.

Schon Hammurabi rühmt sich, dem Lande Sumir und Akkad
Wasser durch Kanäle zugeführt zu haben. Er legte auch viele Re-
servoirs und Kanäle an, die sowohl dem Verkehr als der Bodenkultur
dienten. Und seine Nachfolger überboten ihn in künstlichen Kanal-
anlagen, in Quaibauten, Wassertunnels u. s. w. Es sind dies die Wasser-
bäche Babylons, an denen die Juden ihre Gefangenschaft beweinten.

Zur Verteilung des Wassers in Gärten und Feldern dienten künst-
liche Maschinen, Schöpfräder, die teils von Menschen, teils von Tieren
gedreht wurden und die Gewässer in dem flachen Terrain von einem
Niveau zum andern emporhoben.

Auch im Brückenbau leisteten bereits die Babylonier Bemerkens-
wertes. Die sogenannte Brücke der Nikotris, welche aber, wie wir
bereits erwähnt haben, ein Werk des Königs Nebukadnezars war, ver-
band die beiden Königsburgen Babylons und soll nach dem Bericht des
Ktesias eine Länge von 5 Radien (3000 Fuss) gehabt haben. Steinpfeiler,
die 12 Fuss von einander abstanden, trugen den hölzernen Oberbau.
Die Strompfeiler waren kunstvoll fundamentiert; um sie einbauen zu
können, war der Strom während der Bauzeit abgeleitet worden. Sie
bestanden aus grossen Bruchsteinen, die mit eisernen Klammern, die
eingebleit waren, zusammengehalten wurden. Der Holzbelag war 30 Fuss
breit und bestand aus Palmenstämmen und langen Balken von Zedern
und Cypressen. Am Tage waren die Balkenaufzüge der Brücke nieder-
gelassen, so dass die Babylonier hinübergehen konnten, bei Nacht aber
wurde sie aufgezogen 1).

Es lässt sich von vornherein erwarten, dass, wo uns eine so ent-
wickelte Bauthätigkeit entgegentritt, auch die übrigen Zweige der
Technik auf einer vorgeschrittenen Stufe gestanden haben müssen.

Dies wird uns sowohl durch die Überlieferung der alten Schrift-
steller, durch erhaltene Inschriften, als auch durch die mannigfaltigen
Reliefdarstellungen in den Palästen bestätigt. Vor allem standen die
Bekleidungsgewerbe auf einer hohen Stufe. Das rauhere Klima be-
dingte schon eine vollständigere Bekleidung als in Ägypten. Bei dem

1) Herodot I., 186 und Diodor 2, 8.

Die Semiten.
Wichtigkeit für den Wohlstand und die Sicherheit des Landes die
alten chaldäischen Könige so durchdrungen waren, daſs sie in Auf-
zählung ihrer Groſsthaten die Kanäle, die sie erbaut haben, immer
ganz besonders hervorhoben. Dadurch war aber auch das ganze
Euphrat- und Tigrisgebiet, welches jetzt zum gröſsten Teil Wüste ist,
ein blühender Garten, dessen Anmut und Reichtum alle Schriftsteller
des Altertums, die es kannten, überschwenglich preisen.

Schon Hammurabi rühmt sich, dem Lande Sumir und Akkad
Wasser durch Kanäle zugeführt zu haben. Er legte auch viele Re-
servoirs und Kanäle an, die sowohl dem Verkehr als der Bodenkultur
dienten. Und seine Nachfolger überboten ihn in künstlichen Kanal-
anlagen, in Quaibauten, Wassertunnels u. s. w. Es sind dies die Wasser-
bäche Babylons, an denen die Juden ihre Gefangenschaft beweinten.

Zur Verteilung des Wassers in Gärten und Feldern dienten künst-
liche Maschinen, Schöpfräder, die teils von Menschen, teils von Tieren
gedreht wurden und die Gewässer in dem flachen Terrain von einem
Niveau zum andern emporhoben.

Auch im Brückenbau leisteten bereits die Babylonier Bemerkens-
wertes. Die sogenannte Brücke der Nikotris, welche aber, wie wir
bereits erwähnt haben, ein Werk des Königs Nebukadnezars war, ver-
band die beiden Königsburgen Babylons und soll nach dem Bericht des
Ktesias eine Länge von 5 Radien (3000 Fuſs) gehabt haben. Steinpfeiler,
die 12 Fuſs von einander abstanden, trugen den hölzernen Oberbau.
Die Strompfeiler waren kunstvoll fundamentiert; um sie einbauen zu
können, war der Strom während der Bauzeit abgeleitet worden. Sie
bestanden aus groſsen Bruchsteinen, die mit eisernen Klammern, die
eingebleit waren, zusammengehalten wurden. Der Holzbelag war 30 Fuſs
breit und bestand aus Palmenstämmen und langen Balken von Zedern
und Cypressen. Am Tage waren die Balkenaufzüge der Brücke nieder-
gelassen, so daſs die Babylonier hinübergehen konnten, bei Nacht aber
wurde sie aufgezogen 1).

Es läſst sich von vornherein erwarten, daſs, wo uns eine so ent-
wickelte Bauthätigkeit entgegentritt, auch die übrigen Zweige der
Technik auf einer vorgeschrittenen Stufe gestanden haben müssen.

Dies wird uns sowohl durch die Überlieferung der alten Schrift-
steller, durch erhaltene Inschriften, als auch durch die mannigfaltigen
Reliefdarstellungen in den Palästen bestätigt. Vor allem standen die
Bekleidungsgewerbe auf einer hohen Stufe. Das rauhere Klima be-
dingte schon eine vollständigere Bekleidung als in Ägypten. Bei dem

1) Herodot I., 186 und Diodor 2, 8.
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[119/0141] Die Semiten. Wichtigkeit für den Wohlstand und die Sicherheit des Landes die alten chaldäischen Könige so durchdrungen waren, daſs sie in Auf- zählung ihrer Groſsthaten die Kanäle, die sie erbaut haben, immer ganz besonders hervorhoben. Dadurch war aber auch das ganze Euphrat- und Tigrisgebiet, welches jetzt zum gröſsten Teil Wüste ist, ein blühender Garten, dessen Anmut und Reichtum alle Schriftsteller des Altertums, die es kannten, überschwenglich preisen. Schon Hammurabi rühmt sich, dem Lande Sumir und Akkad Wasser durch Kanäle zugeführt zu haben. Er legte auch viele Re- servoirs und Kanäle an, die sowohl dem Verkehr als der Bodenkultur dienten. Und seine Nachfolger überboten ihn in künstlichen Kanal- anlagen, in Quaibauten, Wassertunnels u. s. w. Es sind dies die Wasser- bäche Babylons, an denen die Juden ihre Gefangenschaft beweinten. Zur Verteilung des Wassers in Gärten und Feldern dienten künst- liche Maschinen, Schöpfräder, die teils von Menschen, teils von Tieren gedreht wurden und die Gewässer in dem flachen Terrain von einem Niveau zum andern emporhoben. Auch im Brückenbau leisteten bereits die Babylonier Bemerkens- wertes. Die sogenannte Brücke der Nikotris, welche aber, wie wir bereits erwähnt haben, ein Werk des Königs Nebukadnezars war, ver- band die beiden Königsburgen Babylons und soll nach dem Bericht des Ktesias eine Länge von 5 Radien (3000 Fuſs) gehabt haben. Steinpfeiler, die 12 Fuſs von einander abstanden, trugen den hölzernen Oberbau. Die Strompfeiler waren kunstvoll fundamentiert; um sie einbauen zu können, war der Strom während der Bauzeit abgeleitet worden. Sie bestanden aus groſsen Bruchsteinen, die mit eisernen Klammern, die eingebleit waren, zusammengehalten wurden. Der Holzbelag war 30 Fuſs breit und bestand aus Palmenstämmen und langen Balken von Zedern und Cypressen. Am Tage waren die Balkenaufzüge der Brücke nieder- gelassen, so daſs die Babylonier hinübergehen konnten, bei Nacht aber wurde sie aufgezogen 1). Es läſst sich von vornherein erwarten, daſs, wo uns eine so ent- wickelte Bauthätigkeit entgegentritt, auch die übrigen Zweige der Technik auf einer vorgeschrittenen Stufe gestanden haben müssen. Dies wird uns sowohl durch die Überlieferung der alten Schrift- steller, durch erhaltene Inschriften, als auch durch die mannigfaltigen Reliefdarstellungen in den Palästen bestätigt. Vor allem standen die Bekleidungsgewerbe auf einer hohen Stufe. Das rauhere Klima be- dingte schon eine vollständigere Bekleidung als in Ägypten. Bei dem 1) Herodot I., 186 und Diodor 2, 8.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/141>, abgerufen am 28.04.2024.